Statt Akademie: Hygiene auf der Himmelsleiter

Gastbeitrag von Margarete Preis
Kirchengemeinde Urdenbach, Mitglied des Kreissynodalvorstandes

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Foto: Thomas.Götz.jpg

Lagebericht von der Himmelsleiter, Mai 2020 (orientiert am Eckpunkte-papier der Landeskirche zur verantwortlichen Gestaltung von Gottes-diensten in den Gliedkirchen der EKD):

  • Der Sitz- bzw. Stehabstand zwischen den Personen auf der Leiter muss eineinhalb bis zwei Meter in jede Richtung betragen, so dass eine Höchstzahl von Teilnehmenden je nach Höhe der Leiter festgelegt wird.
  • Die einzunehmenden Plätze werden markiert.
  • Emporen werden nicht genutzt (wie kommt man dann „nach oben“??)
  • Das Betreten und Verlassen der Leiter muss geordnet organisiert werden.
  • Berührungen (Begrüßung / Friedensgruß) sind zu vermeiden.
  • Informationen erfolgen über Beamer.
  • Mund-Nasen-Schutz wird dringend empfohlen.
  • Um Gedränge vor der Leiter zu vermeiden, sollen im Bedarfsfall Zugangsbeschränkungen definiert werden.
  • Hygienespender zur Handdesinfektion sind am Fuß der Leiter aufzustellen.
  • Gemeinsames Singen birgt besonders hohe Infektionsrisiken, deshalb sollte darauf wie auch auf Blasinstrumente bis auf Weiteres verzichtet werden…

Als Jakob von der Himmelsleiter träumte (Gen.28,10-22), muss er ein anderes Bild vor Augen gehabt haben: Ein reges Treiben zwischen Himmel und Erde, eine vertikale Verbindung des Herrschaftsbereichs Gottes mit dem Boden, auf dem er, Jakob, liegt, und der ihm durch die Gottesbegegnung zum heiligen Boden wird. Auch die Engel dürften enttäuscht sein: Kein Posaunenspiel, keine himmlischen Chöre, keine Gesangbücher.

Ein 86jähriger Herr aus der Gemeinde schreibt mir per Mail: Einen schönen Sonntag! Ich mache mir Gedanken, wie  es mit dem Virus bei den Kirchengemeinden weiter gehen wird? Für die Kirchenleitung eine schwierige Aufgabe. Der Heilige findet einen Weg für Jung und Alt. Ein bisschen Gottvertrauen kann auch helfen. Ich schaue mir den Gottesdienst im Fernseher an!“ 

Dass derzeit keine Gottesdienste im üblichen Sinne gefeiert werden, macht uns auf radikale Weise deutlich, worauf es ankommt. Und die Diskussion, ob man sich ohne Lieder und Abendmahl – dafür mit Abstand und Mundschutz – einen Segen „to go“ abholen möchte – oder ob man einfach abwarten kann, bis Gemeinde wieder „richtig“ Gemeinde sein kann – ist echt spannend! Was macht uns aus? Wann nehmen wir uns wieder in den Arm? Wo sind Gottesbegegnungen möglich? Was bin ich zu opfern bereit? Und wie lang ist unser Atem im Vergleich zu Gottes langem Atem, der schon so manche Krise mit uns Menschen aus- und durchhalten musste im Lauf der Geschichte – und trotzdem seinen Regenbogen an der Himmel setzt?!

Leben „auf Abstand“ ist blöd, wenn es um die beste Freundin geht – aber wenn es um diejenigen geht, die uns den Einkaufswagen in die Hacken rammen, warum nicht? Abstand halten kann auch sein wie getrennte Flure in der Jugendherberge – die Spannung steigt: Wann und wie kommen wir zusammen (übrigens auch eine schöne Frage an die christlichen Konfessionen)? Wann trinken wir wieder auf der Terrasse ein Glas Wein zusammen? Wann singen wir wieder im Chor, sitzen wir gemeinsam im Konzert, treffen wir uns in der Gemeinde, feiern wir ausgelassen das Fest des Lebens?

Krisen sind Wendepunkte. Es gibt ein „davor“ und ein „danach“. Aber noch sind wir mittendrin: Alte, Junge, Gefährdete, sich in Sicherheit Wiegende, Geduldige, Ungeduldige, Beschäftigte, Ausgebremste. Die einen sind tief verunsichert, die anderen drängen und sehnen die Lockerungen herbei. Alles hat zwei Seiten. Und ohne die Corona-Krise schönreden zu wollen – Gott bewahre! – eines muss man ihr  lassen: Ich hatte noch nie so viel Zeit für Dinge, für die ich in der Regel zu wenig Zeit habe! Und ich bin schon lange nicht so oft abends mit dem entspannten Gefühl zu Bett gegangen: Was du heute nicht geschafft hast, das machst du einfach morgen!

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Auch ich sorge mich um Angehörige und Freunde: Die alte Mutter, der Sohn in der Wohngruppe, die nicht besucht werden dürfen. Doch macht Not nicht erfinderisch? Ein Kollege bemalt den ganzen Bürgersteig vor dem Pflegeheim mit bunten Blumen! Der Sohn bekommt eine Maske, auf der ein breites Grinsen zu sehen ist! Und dank Homeoffice ist es möglich, trotz aller Verrenkungen aus einem Wochenende ein paar Wochen „Familienurlaub zu Hause“ zu machen, in der alle sich zum Glück nicht nur auf den Wecker gehen, sondern mit allen Stärken und Schwächen mal wieder richtig schätzen lernen.

Alles hat zwei Seiten – und Klopapier ist nicht alles, Gott sei Dank! Die pflegenden Berufe werden endlich als systemrelevant erkannt – das muss sich künftig auch in barer Münze auszahlen! Politiker verschiedener Parteien ziehen zumindest vorübergehend an einem Strang. Und vielleicht liegen auch sie abends im Bett und sagen sich: Das mit dem Klima haben wir noch immer nicht geschafft, aber das könnten wir doch auch morgen gleich mal angehen! Läuft ja nicht weg, leider, bleibt ja relevant, jeden Tag.

Herr, höre und sei mir gnädig! Herr, sei mein Helfer! Du hast meine Klage verwandelt in einen Reigen! Du hast mir das Trauergewand ausgezogen und mich mit Freude gegürtet. (aus Psalm 30)

Alles hat zwei Seiten. Auch das Klagen. Denn es baut darauf, dass es gehört wird – und beantwortet. Dann wendet sich das Blatt. Dann kann aus dem starren Blick nach vorne Einsicht werden, aus dem halbleeren ein halbvolles Glas, aus der Quarantäne eine sinnhafte Auszeit und aus der Gottesferne eine WG mit Familienanschluss.

Das ist sie dann: Die Sehnsucht nach dem Wesentlichen und nach einem Leben, das nicht nur profitorientiert, sondern doppelseitig gut ist, jetzt u n d auf lange Sicht: Für uns, für andere, für die Erde – für die Gemeinschaft der Heiligen. Das heißt eben auch: Eigeninteressen zurückstellen und Solidarität üben. Das geht bis hin zu der Frage, wann wir unsere Kirchen wieder öffnen und was wir verantworten können im Blick auf die Menschen, die uns anvertraut sind.

In Jakobs Traum von der Himmelsleiter spricht Gott zu Jakob. Aber Gott ist nicht „oben“ und muss Stufe für Stufe erklommen werden. Gott ist in den Pflegeheimen, auf den Balkonen, in leeren Fußballstadien ebenso wie in leeren Kirchen. Schon Herman van Veen (Songtext: Eine Geschichte von Gott) wusste, dass Gott auch gerne mal vor der Kirche auf einer Bank sitzt und sich die Sonne auf den Bart scheinen lässt…

Auch ich freue mich darauf, wieder im Kreis der Gemeinde Gottesdienste zu feiern. Aber es ist nicht nur eine auszuführende Praxis, sondern auch eine Haltung. Geduld ist auch eine Tugend. „Der Heilige findet einen Weg!“ schrieb der ältere Herr aus der Gemeinde! Oder wie eine Dame sagte: „Wenn wir schon feiern, dann muss es auch schön sein!“ Bis dahin bleiben wir behutsam und umsichtig. Vielleicht mit offenen Kirchentüren, aus denen Musik erschallt und wir sitzen draußen auf der Bank in der Sonne… neben IHM!

Bleiben Sie geduldig und vielfältig behütet!

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