Entdeckungen im nordöstlichen Sinai

Dr Dietrich Knapp
von Dr. Dietrich Knapp

Studienreisen sind in diesen Zeiten – wie vieles andere auch – wegen der Corona-Pandemie nicht möglich. Das ist bedauerlich, da man manche interessanten Entdeckungen eigentlich nur direkt vor Ort machen kann. Als Ersatz möchte ich mit Ihnen eine kleine gedankliche Reise in den Sinai unternehmen.

Foto: Sinai-Halbinsel-NASA-wkimedia_commons.jpg

Normalerweise stehen  der Berg Sinai und das Katharinenkloster im Mittelpunkt. Bei meiner Tour (mit archäologischem Schwerpunkt) soll es aber nicht in den Süden der Halbinsel gehen, sondern in den nordöstlichen Sinai nach Kuntillet Ajrud (übersetzt: einsamer Hügel der Wasserquellen), einer kleinen Erhebung etwa 50 km südlich von Kadesch-Barnea zwischen Gaza und Eilat am Golf von Akaba.

In dieser unwirtlichen Gegend haben Archäologen der Universität Tel Aviv Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine Karawanserei aus dem 8. Jh. v. Chr. entdeckt. Die Ergebnisse hat der Leiter des Unternehmens, Ze’ev Meshel, erst vor wenigen Jahren komplett veröffentlicht. Auf dem Plateau des Hügels lag eine gut befestigte Anlage, in der Handelsreisende mit ihren Tieren auf dem Weg von Gaza nach Eilat Rast machen und übernachten konnten. In diesem Gebäudekomplex sind verschiedene Abbildungen und Inschriften entdeckt worden, die die Forschung regelrecht elektrisiert haben.

Großes Interesse haben die Überreste zweier Tonkrüge aus dem Torbereich gefunden. Einer der beiden, Pithos A, soll hier ein wenig genauer in den Blick genommen werden:

Foto: Kuntillet Ajrud Pithos-A-wikimedia_commons.jpg

Auf ihm ist vielerlei zu entdecken: Links oben ist bei genauem Hinschauen ein Teil eines Pferdes zu erkennen; wahrscheinlich ist der Kontext – wie damals bei Pferden immer der Fall – ein militärischer gewesen. Rechts sitzt eine (Frauen-)Figur auf einem besonderen, wohl kostbaren Sitz und spielt Leier. Möglicherweise stellt sie eine hochstehende Persönlichkeit dar. Links vorn hat jemand in einem ganz anderen Stil eine Kuh gezeichnet, die ihr Junges säugt und sich ihm in besonderer Weise zuwendet. Bei diesem Motiv geht es um Fruchtbarkeit und Gedeihen, was man oft mit einer weiblichen vorderorientalischen Gottheit in Verbindung brachte.

Was ist von den beiden Gestalten in der Mitte zu halten, die schon ein wenig seltsam und ungemütlich aussehen? Aller Wahrscheinlichkeit nach ist hier zweimal (von zwei verschiedenen Händen gezeichnet) der ägyptische Gott oder Dämon Bes abgebildet. Bes trägt einen Kopfschmuck (Blüte und/oder Federkrone), er hat ein fratzenartiges Gesicht mit abstehenden Ohren. Darunter einen Bart oder Kragen und seine nach außen gebogenen Arme sind auf die Hüften gestemmt. Schließlich fallen auch seine  krummen und kurzen Beine auf. Bes ist in der damaligen Zeit in der Kleinkunst sehr beliebt gewesen, weil man sich von ihm Hilfe im Alltag erhoffte. Er galt als Beschützer von Schwangerschaft, Geburt und Kindbett, dann aber allgemein als unheilabwehrende Schutzmacht, u. a. auch vor Schlangenbissen. Dass er hier in der Wüste abgebildet wurde, macht Sinn, da man glaubte, durch ihn könne man vor den überall lauernden Gefahren bewahrt werden.

Wer diese beiden Bes-Figuren gezeichnet hat, ist unbekannt. Wahrscheinlich werden es Menschen gewesen sein, die als Händler zwischen Gaza und Eilat unterwegs waren. Schaut man sich die Inschriften an, die in Kuntillet Ajrud gefunden wurden, zeigt sich, dass man auch Schutz von anderen Göttern erhoffte. So gibt es Segenssprüche, in denen Jahwe, der Gott Israels, erwähnt wird, aber auch eine weibliche Gottheit an seiner Seite, Aschera. Darüber hinaus taucht ebenfalls der kanaanäische Gott Baal auf, von dem im Alten Testament an vielen Stellen die Rede ist. Die Gefahren in der Wüste waren groß; auf den Schutz des eigenen Gottes oder auch anderer Götter war man daher angewiesen. Sicher wieder nach Hause zu kommen, war keine Selbstverständlichkeit. Durch die Grabungen in Kuntillet Ajrud haben wir interessante Einblicke in die Ängste und Hoffnungen von Menschen bekommen, die im 8. vorchristlichen Jahrhundert im Sinai unterwegs waren. Es ist eine vielfältige und bunte Religiosität, die sich hier zeigt. Das Leben mit seinen Herausforderungen und Gefahren konnte nach ihrer Auffassung nur bestanden werden, wenn man unter göttlichem Schutz steht. Daran sollten die Abbildungen und Inschriften in der Karawanserei in Kuntillet Ajrud im nordöstlichen Sinai erinnern.

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