
Anton Wilhelm Amo – ein afrodeutscher Philosoph des achtzehnten Jahrhunderts
Im Rahmen der Black-lives-matter-Bewegung wurde kürzlich die Forderung erhoben, die Berliner Mohrenstraße solle umbenannt werden in Anton-Wilhelm-Amo-Straße.

Amo? Ein aus Afrika stammender an den Universitäten Halle, Jena und Wittenberg lehrender Philosoph der Frühaufklärung? Noch nie gehört. Ich habe nachgelesen. Die meisten seiner Bücher sind inzwischen online.
Amo ist wahrscheinlich ein transkribierter afrikanischer Name. Er wurde ungefähr 1700 in Nkubeam bei Axim, heute Ghana, geboren. Etwa im Alter von acht Jahren wurde er nach Amsterdam verschickt, vielleicht als Sklave, und von dort an den Hof von Braunschweig-Wolfenbüttel weitergeleitet. Üblicherweise hätte er damit als ‚Hofmohr‘ zu den exotischen Requisiten gehört, die die Weltläufigkeit des Herrscherhauses demonstrierten. Allerdings wurde er 1708 mit zwei Herzögen als Paten getauft. Sofern er je Sklave im rechtlichen Sinne gewesen war, wurde er mit der Taufe freigelassen. Abrechnungen beweisen, dass er zwischen 1716 und 1721 als Knecht am Hof einen kleinen Sold erhielt und daneben zur Schule ging. 1721 wurde er konfirmiert. Der Herzog schickte ihn auf eigene Kosten zur Ausbildung an die Ritterakademie Wolfenbüttels, anschließend an die Universität Helmstedt, wo Amo Latein, griechisch, hebräisch, niederländisch und französisch lernte. Dort erhielt er seinen Baccalaureus als Abschluss. Ab 1727 studierte er Philosophie und Rechtswissenschaften in Halle. In Deutschland war er damit, soweit bekannt, der erste Student afrikanischer Herkunft. Halle war eine vergleichsweise international ausgerichtete Universität, denn es studierten dort auch ein Inder (Soltan Gün Achmet aus Ahmedabad) ein Araber (Salomon Negri aus Damaskus) und mehrere Griechen, wenn auch nicht alle gleichzeitig. Zudem wurde 1724 mit Moyses Sobernheim aus Bingen der erste jüdische Arzt in Deutschland promoviert, 1754 mit Dorothea Christiane Erxleben (verh. Leporin) die erste Frau https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10731980_00001.html.

Der Hallenser Philosoph Christian Wolff hatte sich weit vorgewagt, als er unter Verweis auf eine Übersetzung von Schriften des Konfuzius in einer „Rede über die praktische Philosophie der Chinesen“ Tugendethik auch ohne Christentum für möglich hielt und Konfuzius als Philosophen würdigte. Daraufhin hatte ihn der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. aus Preußen ausgewiesen; Wolff hatte eine neue Stelle an der Universität Marburg angetreten, praktischerweise in Hessen gelegen. Als Amo in Halle zu studieren anfing, war Wolff schon fort. Dennoch wird Amo 1738 in einem „Ausführlichen Entwurf einer vollständigen Historie der Wolffschen Philosophie“ unter die Wolffianer gerechnet (Ludovici Bd. III, S. 230 u. 361f).
Im November 1729 verteidigte Amo seine Disputation (Magister) in Jura. Leider ist der Text nicht überliefert; es existiert aber eine bemerkenswerte Inhaltsangabe des Kanzlers Johann Peter von Ludewig, der zu den Förderern Amos zählte:

„In diesem Monat hielte auf der Friedrichs-Universität Halle, als ein seltsames Exempel, Antonius Wilhelmus Amo, ein getauffter Mohr, welchen der regierende Herzog zu Braunschweig-Wolfenbüttel studieren lassen, eine Disputation, unter dem Vorsitz des Joh. Peter von Ludevig, de iure maurorum in Europa, oder vom Mohren-Recht. Er hat darin ex LL & Historia gezeiget, daß der Mohren ihr König bey dem römischen Kaiser ehedem zu Lehen gegangen, und jeder von denselben ein Königs-Patent, welches auch Justinian ausgetheilet, holen müssen. Hiernechst untersuchet er, wie weit der von Christen erkaufte Mohren in Europa Ihre Freyheit oder Dienstbarkeit sich nach denen üblichen Rechten erstrecke.“
Demnach untersuchte Amo das „Mohren-Recht“ in Europa „ex LL & Historia“ – seine Quellen waren also die beiden Rechte („leges“ abgekürzt „LL“), das Kirchenrecht und das weltliche römische Recht, sowie „Historia“, geschichtliche Präzedenzfälle. Wofür Amo eintrat, lässt sich ungefähr erahnen: Der römische Kaiser Justinian galt als Sammler des römischen Zivilrechtes (Corpus Iuris Civilis) und deshalb als zitierfähige Autorität. Überliefert waren Kontakte zwischen dem König von Aksum im heutigen Äthiophien („der Mohren ihr König“) und Justinian, die auch die Entsendung eines römischen Gesandten nach Aksum einschlossen. Luther hatte das hebräische Land „Kusch“, griechisch „Aithiops“ mit „Mohrenland“ übersetzt. Amo deutete also das Verhältnis der kuschitischen Könige zum römischen Kaiser als Lehnsverhältnis im Sinne mittelalterlichen Reichsrechts: Wenn „der Mohren ihr König“ im sechsten Jahrhundert bei Justinian im Rahmen römischen Rechtes ein „Königs-Patent“ erwerben konnte, hatte Justinian ihn als Edlen und nicht als Sklaven behandelt, was Rechtsfolgen für die „Mohren“ im „Heiligen Römischen Reich deutscher Nationen“ nach sich ziehen musste. Im Anschluss daran erläuterte Amo das Recht „erkaufter Mohren“, die Frage, in wie weit deren „Freyheit oder Dienstbarkeit“ sich nach „denen üblichen Rechten“ bemaß. Die Frage ist präzise gestellt, allerdings in der kurzen Notiz nicht eindeutig beantwortet. Dennoch kann man sich durchaus vorstellen, dass Amo die Freiheitsrechte importierter Sklaven an die für Europäer „üblichen Rechte“ angeglichen sehen wollte. Ein explizites Reichsgesetz neueren Datums lag nicht vor, weder über die Versklavung, noch über eine etwaige Freilassung; die „Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie“ war in den Sklavenhandel verwickelt, verkaufte ihre ‚Ware‘ allerdings meist von Afrika direkt in die Karibik, und nur wenige Sklaven gelangten als ‚exotisches Mitbringsel‘ an die Höfe deutscher Fürsten, häufiger wohl an Kaufleute oder Reeder. Dass Sklaven in Deutschland bei der Taufe freizulassen waren, war keineswegs herrschende Praxis, allerdings auch nicht völlig ungewöhnlich und entsprach einer von Teilen der Theologie oft im Anschluss an den Brief des Paulus an Philemon vertretenen Position. Deshalb war auch das Kirchenrecht für diesen Zusammenhang von großer Bedeutung.
Mit einem Magister für Jura wechselte Amo nach Wittenberg, wo er Philosophie studierte, an einer Dissertation arbeitete und gleichzeitig Vorlesung für die noch nicht Graduierten anbot. In Wittenberg gehörte er zu den Vorzeigestudenten, wenn man auch fragen kann, ob er diese Rolle als ‚Exot‘ zugewiesen bekam. Den „Hamburgischen Berichte der neuesten Gelehrten Sachen“ zufolge führte er beim Besuch des Kurfürsten August II. von Sachsen, König von Polen, die studentische Prozession an, war mit einem ausführlich beschriebenen besonderen Gewand gekleidet und trug seiner Majestät ein Gedicht vor.
Der einzig erhaltene deutschsprachige Text von Amo (aber so ganz richtig scheint man immer noch nicht gesucht zu haben) ist ein Sonett von 1737, mit dem er in Halle Moses Abraham Wolff, einem der frühen jüdischen Studenten, später Leibarzt des Kurfürsten und Erzbischofs von Köln, alles Gute für die Zukunft wünschte. Es wurde, wie damals üblich, am Ende der auf Latein verfassten medizinischen Dissertation gedruckt:
„Dein aufgeklärter Geist im klugen Meditieren,
und unermüdter Geist im gründlichen Studieren
Hoch Edler, macht, dass Du in der gelehrten Orden,
ein Stern, ein heller Stern, der ersten Größe worden.
Der immer heller wird in neuer Ehren Schein
So einen großen Lohn giebt Weisheit ihren Söhnen
Genug. Vom Himmel muss die Lust, die ungemeyn,
Dich und die Deinigen in lauter Segen kröhnen!“
Ein „getaufter Mohr“ wünschte einem Sohne Abrahams öffentlich Gottes Segen; das war gewiss ein ungewöhnlicher Vorgang. Möglicherweise hatten sich da zwei gesellschaftliche Außenseiter zusammengetan. Das Gedicht ist unterzeichnet mit „Dieses setzend seinem hochgelehrten Freunde Glückwünschend hierzu Anton Wilhelm Amo von Guinea in Afrika, der Philosophie und Freyen Künste Magister legens“.
Im gleichen Jahr promovierte Amo in Philosophie. Seine Dissertation behandelte das Leib-Seele-Problem – in lateinischer Sprache, was mich davon abschreckte, das Original nachzulesen. Es ging um die Frage, ob Empfindungen und Gefühle im Rahmen des durch die Philosophen Wolff und Leibniz gesteckten philosophischen Rahmens eher der Seele oder dem Körper zuzuordnen seien. Amo trat für letzteres ein. Jetzt hätte er einen Lehrstuhl mit Festanstellung einnehmen können; der Ruf erging allerdings nicht und er schlug sich als Privatdozent in Halle durch, wollte aber nach Jena wechseln. Dort setzte sich der Theologe Friedrich Andreas Hallbauer, ein Vertreter der lutherischen Orthodoxie (also kein Frühaufklärer) für die „Nostrifikation“ von Amos Qualifikationen ein. Der Rhetoriker, Historiker und Staatsrechtler Friedrich Wiedeburg , später der Biograph von Amos Förderer Johann Peter von Ludewig, unterstütze dieses Anliegen und wollte Amo sogar anderen Bewerbern vorziehen, weil dieser erstens aus einem anderen Teil der Welt komme, zweitens sich vom Heidentum zum Christentum bekannt habe, drittens keinen Kontakt zu seiner Familie mehr besäße und viertens nichts anderes hätte, wovon er sich bei seinem Fleiß ernähren könne. Amo durfte, wie damals üblich, gegen Zahlung von 20 Talern jährlich lehren und erhielt im Gegenzug Kolleggelder derjenigen Studenten, die zu ihm kamen. Er soll, so berichtete Hallbauer der Fakultät, dieses großzügige Angebot gerne angenommen haben. Vermutlich steckte hinter dem Wechsel auch Amos Hoffnung, dass Jena mit über 1000 Studenten zeitweise die größte deutsche Universität, größere Verdienstmöglichkeiten bot. Seine Vorlesungsankündigung für die „Freien Künste“ (Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie) bot ein besonders buntes Sammelsurium an, das offensichtlich auf breite Hörerzahlen abzielte. Doch taucht er nach 1740 im Jenaer Vorlesungsverzeichnis nicht mehr auf. Ich möchte vermuten, dass die preußischen Studenten mit dem Ausbruch des ersten Schlesischen Krieges ausblieben und er in ökonomische Schwierigkeiten geriet. Dass er es noch zum königlich-preußischen Hofrat gebracht habe, wie einige Jahrzehnte später ausgerechnet einer der frühen Rassentheoretiker behauptete, ist wohl Phantasie; das hätte Spuren in den Akten hinterlassen und wäre inzwischen aufgefallen. 1747 erschien im Druck das Spottgedicht auf eine unglückliche Liebe: „Herrn M. Amo zu Jena, Eines gelehrten Mohrens, Galanter Liebes-Antrag An Die Mademoiselle Astrine, eine schöne Brünette.“ Demnach hatte Amo mit folgenden Worten um sie geworben:
Ein Meer, ein Wohllust-Meer Geheimnißvoller Lust,
Durchsüsset meine Seel, die dir zum Opfer brennet.
Und ganz was himmlisches begeistert meine Brust,
Wenn Amor dich bey mir bey deinem Nahmen nennet –
Kurtz: Clärichen, du bist mein Leitstern ohne Mängel,
Herzallerliebster Engel!
Dem Spottgedicht zufolge hatte sie ihm mit „Der Mademoiselle Astrine Parodische Antwort Auf vorstehendes Gedichte Eines verliebten Mohrens“ einen Korb gegeben:
„Das Laufwerk Deines Briefs ist ziemlich ausgedacht,
und Amor hat dir wohl, Herr Amo, das dictiret;
Du hast auch schwarz und weiss mit Fleiss darum gemacht,
Weil jenes Deine Haut und dies die Zähne zieret.
Werth wäre es, dass man das, was du an mich geschicket
In Kupfer abgedrücket.“
Im Schlafe erscheint Astrine die Göttin Venus und meldet sich zu Wort:
„Und kurtz: Ich habe es Astrinen nie verehrt,
Denn diese lachet ja nur über deine Flammen,
Nur eine Mohrin ist blos deines Hertzens werth,
Drum magst du deine Gluth, die mich verdreust, verdammen,
Denn bey Astrinen kanst du nur mit deinen Klagen,
Der Liebe ganz entsagen.“
Dieses offen rassistische und wirklich böswillige Gedicht erschien in einem Band skuriller Reime auf das studentische Leben, die von „Jungfer Schlampampe“, „Ms. Wuestling und Herr Sittsam“ und dergleichen handelten. Der Autor, Johann Ernst Philippi, ein 1728 promovierter Jurist und Hochschullehrer aus Halle, kannte Amo und hat ihn wahrscheinlich auch unterrichtet. Eher zufällig fiel mir auf, dass das Gedicht unterzeichnet ist mit „Astrine, mit Vorwißen ihres Vormundes, Briontes“. „Briontes der jüngere“ war das Pseudonym für den Satirker Liscow, der Philippi, angestiftet von Friedrich Wiederburg, Amos Förderer in Jena, zwischen 1731 und 1733 in Spottschriften als das „natürliche Oberhaupt der Gesellschaft der kleinen Geister“ auch unter der Gürtellinie angegriffen hatte, in deren Folge Philippi so sehr zum Gespott der Studenten geworden war, dass er die Universität Halle 1734 verlassen hatte. Mit seinen Angriffen gegen Amo rächte Philippi sich also an Liscow alias „Briontes“ und vielleicht auch an Wiederburg. Möglicherweise hatte Philippi persönlich gar nichts gegen Amo (jedenfalls finde ich nach derzeitiger Quellenlage dafür keinen Anlass), sondern griff die Frühaufklärer als Ganzes an, darunter den 1740 nach Halle zurückgekehrten Wolff, gegen den er schon immer etwas gehabt hatte. Wenn es so gewesen sein sollte, setzte Philippi seinen Rassismus als Waffe in einem universitären Richtungsstreit ein – ohne Rücksicht auf sein Opfer.
Heute ist nicht klar, ob hinter Philippis Tiraden nicht auch eine unglückliche Liebesgeschichte als wahrer Kern gesteckt haben könnte. Jedenfalls waren sie nicht (wie von großen Teilen der Literatur behauptet) der Grund für Amos Rückkehr nach Afrika, denn laut Anzeige in den wöchentlichen Hallischen Anzeigen erschienen die Gedichte erst im Oktober 1747, während Amo einer Passagierliste zufolge schon im Dezember 1746 in Rotterdam ein Segelschiff betrat. Amo hat die rassistischen Spottgedichte also aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr gelesen. Ganz arm kann er übrigens auch nicht gewesen sein, denn sonst hätte er sich die Schiffspassage nicht leisten können.
1753 sah ein Schweizer Schiffsarzt Amo in Axim und war sehr erstaunt über dessen fließendes deutsch nebst diversen anderen europäischen Sprachen. Inhalte aus dem Bericht dieses Arztes finden sich 1787 in der Zeitschrift einer niederländischen Wissenschaftsgesellschaft, die sich (auch) der Sklaverei widmete. Demnach war Amo in seine Heimat zurückgekehrt, erlernte die Sprache seiner Kindheit, sein Vater und eine Schwester lebten in unmittelbarer Nähe, während ein Bruder als Sklave in Surinam gelandet war. Amo habe wie ein Einsiedler gelebt (also unverheiratet) und arbeitete als Wahrsager, Astronom und Astrologe. Amo habe berichtet, dass er nach dem Tod seines Förderers (Johann Peter von Ludewig, 1743) in eine große Melancholie verfallen sei, sich nach seiner Heimat gesehnt und deshalb nach Afrika zurückgekehrt sei. Ich bin geneigt, das im Wesentlichen für korrekt zu halten, auch wenn man sich nicht ganz sicher sein kann. Lange Zeit war Amo völlig vergessen, bis ihn die DDR Anfang der sechziger Jahre anlässlich eines Besuchs des ersten Präsidenten Ghanas Kwame Krumah wiederentdeckte. Dieser Zeit entstammte auch das Denkmal „Freies Afrika“, das ursprünglich nichts mit Amo zu tun hatte. Wie Amo wirklich aussah, wissen wir nicht. Heute verleiht die Universität Wittenberg-Halle einen nach ihm benannten Preis, und die afrodeutschen Community hält sein Gedächtnis warm. Es gibt inzwischen einige philosophischen Untersuchungen, die ihn aber selten wirklich in den Kontext der deutschen Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts stellen. Meinem Eindruck war Amo ganz und gar ein Kind des achtzehnten Jahrhunderts, sein Abstand zu unserer Gegenwart größer, als manche glauben. Dennoch erschiene es mir völlig angemessen, wenn man ihn auch aus aktuellem Interesse heraus dem Vergessen entreißen könnte.
