Das International Mobility Networks, kurz: Die Bahn

Ein Wutschrei

von Dr. Uwe Gerrens
von Dr. Uwe Gerrens

Ich bin Berufspendler, ich besitze ein schwarz-rot-goldenes Deutschland-Ticket mit Zusatzfunktion für Fahrradnutzung in NRW, außerdem eine BahnCard50 mit der Möglichkeit zum Punktesammeln. Ich wurde groß mit Bahn-Bonus-Heften (jeweils abzustempeln) und Rosaroten-Wochenenden-Tickets (nicht kombinierbar mit Bahn-Bonus-Punkten). Dunkel erinnere ich mich an Gute-Laune-Wochenende-Tickets, Inter-City-Night-Trains und InterRegio‘s. Der Trans-Europa-Express (TEE) war mir zu teuer, weil nur erste Klasse, doch als Student bevorzugte ich die seltenen „Fern-D-Züge“ (FD), die genauso schnell fuhren wie die Intercitys, aber keine 5 D-Mark Zuschlag kosteten. Als ich Vater wurde, erhielten die ersten ICEs ein „Mutter-und-Kind-Abteil“, ein Abteil pro Zug für sämtliche Mütter mit sämtlichen Kleinkindern und Säuglingen; das nutzte ich auch als Vater, auch wenn das für manche Mutter beim Stillen unangenehm war. Damals bekam erstmalig jeweils ein Wagen pro ICE eine Toilette mit Wickeltisch zum Ausklappen. Leider begriffen meine Kinder das Prinzip nicht und erledigten ihre Geschäfte in Intercitys und Regionalzügen. Bahnhofstoiletten, ein eher betrübliches Thema, haben bis heute keine Wickeltische, Flughafentoiletten schon. Auch ist keine Flugzeugtoilette so eng, dass nicht ein Brett zum Ausklappen eines Wickeltischs hineinpasste. Doch in den Toiletten der Intercitys, Regionalzüge oder S-Bahnen findet sich dafür kein Platz.

Seit Corona (ein Kausalzusammenhang besteht wahrscheinlich nicht) haben meine Züge regelmäßig Verspätung (20, 25 Minuten) oder fallen ganz aus. Besonders abends, wenn sie nur alle Stunde fahren, ist das für mich als Berufspendler ärgerlich. Morgens fallen sie allerdings auch aus. Morgens ist das auch ärgerlich, da ich manchmal pünktlich am Ziel sein muss. Auf meiner Strecke habe ich die Wahl zwischen RE und S-Bahn. Den Fahrplan kenne ich natürlich auswendig, der RE benötigt ca. 25 Minuten, die S-Bahn ca. 40 Minuten, wenn beide Verspätung haben und man nicht weiss, wie viel Verspätung noch dazukommt, treffe ich komplizierte Folgenabschätzungen, welches Verkehrsmittel schneller am Ziel sein könnte. Immerhin, je länger die Fahrt dauert, desto länger kann ich arbeiten, im Zug ungestört, denn ich werde nicht unterbrochen und nicht angerufen. Ich klappe meine Ohren zu und widme alle Aufmerksamkeit meinem Laptop. Im Zug geht das, im Auto nicht.

Vor einem halben Jahr war ich mal wieder in der Schweiz. Die Geographie dieses Landes ist schlechterdings ungeeignet für den Eisenbahnbau: Berge und Täler, Tunnel und Anstiege, Schneestürme und Sommerhitze, Lawinen und Muren. Erstaunlicherweise funktioniert die Bahn trotzdem zu jeder Jahreszeit. Dort kommt man mit dem Zug in die hinterletzte Kleinstadt; wenn man von dort noch weiter will, stehen, abgestimmt mit dem Zugfahrplan, zahlreiche „Postautos“ (Busse) auf dem Bahnhofsvorplatz bereit und bringen mich ins allerletzte Dorf oder auf die entlegenste Alp. Klappt immer. Im Bahnhof Neuchâtel sah ich Holzbänke, die offensichtlich so alt waren wie der Bahnhof (1936), man saß bequem, eine kleine Leiste hatte eine etwas andere Holztönung und scheint ersetzt worden sein. Ansonsten hatten die Schweizer Bundesbahn die Bank einfach neunzig Jahre stehen lassen, Sitzkomfort ohne Kosten, weniger ist mehr, small is beautiful. Doch auf der Rückfahrt nach Deutschland wieder der übliche Frust: Mein Zug ab Basel SBB war nicht da und auch nicht angezeigt. Es dauerte eine Weile, bis ich die Ursache begriffen hatte: Die Schweiz lässt verspätete deutsche ICEs nicht mehr ins Land, weil die ihren eigenen Fahrplan durcheinanderbrächten. Mein aus Deutschland verspätet eintreffender ICE durfte nur bis Basel Badischer Bahnhof fahren. Damit die bedauernswerten deutschen Fahrgäste (also ich) trotzdem zurückkehren konnten, haben die Schweizer Bundesbahnen Zubringerzüge eingerichtet, die, abgestimmt auf die deutschen Verspätungen, zwischen Basel SBB und Basel Badischer Bahnhof pendeln. Das funktioniert, und das Chaos in Deutschland können die Schweizer Bundesbahnen ohnehin nicht verhindern.

Verkehrsminister Volker Wissing, der ÖPPNV-feindlichste Verkehrsminister seit Andreas Scheuer, betont jetzt immer, dass er von seinen Vorgängern einen Jahrzehnte alten Renovierungsstau übernommen habe. Ich glaube, das stimmt. Aber hätte ihm das nicht auch in der Opposition auffallen können? Welcher seiner Vorgänger ist verantwortlich? Ehrlich gesagt: Ich kann das an keiner Person festmachen. Ich erinnere mich vor allem an Hartmut Mehdorn, 1998 von Helmut Kohl protegiert, 1999 von Gerhard Schröder zum Vorstandsvorsitzenden der Bahn gemacht, wo er sich zehn Jahre halten konnte. Damals propagierte Schröder die Privatisierung der Bahn, und die Grünen grummelten, aber widersprachen nicht. Der Mark sollte es richten. Unpraktischerweise gab es aber im Schienenverkehr keinen Markt, nur ein Monopol. Da bin ich als Kunde nicht König, sondern Bittsteller. (Zuständig ist das Eisenbahn-Bundesamt für bundeseigene und die Landeseisenbahnaufsichten für nichtbundeseigene Eisenbahnen, die Bundesnetzagentur für den Netzzugang auf der aktuell bestehenden Infrastruktur). Zeitweise glaubten die Länder, sie könnten für Konkurrenz sorgen, indem sie bestimmte Strecken ausschrieben und dem günstigsten „Marktteilnehmer“ den Zuschlag gaben. Leider bin ich da Außen vor, denn mir ist es wurschtpiepegal, ob ich mit DBRegio, Abellio Rail NRW (insolvent), der Eurobahn, DBRegio NRW, der RheinRhurBahn, der Mittelrheinbahn, der Ruhrtalbahn, mit VIAS oder dem National Express fahre. Meine ‚Wahl‘ wird nicht durch den ‚Anbieter‘ bestimmt, sondern durch Uhrzeit, Abfahrtsort und Zielort. Auch auf den Fahrtpreis habe ich keinen Einfluss. Ich bin restlos glücklich, wenn irgendein beliebiger Zug mich zu erträglichen Kosten fahrplanmäßig an mein Ziel bringt.

Seit 2004 pendele ich zwischen Düsseldorf und Wuppertal, seither geht es bergab. Anfangs fuhren die Regionalbahnen abends halbstündig, später nur noch stündlich. Anfangs fuhren beide Linien mit Doppeldeckern und eigenem Fahrrad-Abteil, später stellte erst die eine, dann die andere Linie von Doppeldecker auf Einfachwagen um. Die logische Folge: Jetzt passten nur noch halb so viele Leute in den Zug. Außerhalb der Stoßzeiten werden Waggons abgehängt. Damit spart der ‚Dienstleister‘ die Abnutzung einiger Waggons, die verbleibenden Passagier:innen werden noch enger zusammengepfercht.

Spoorwegenmonument Nijmwegen, Foto: Marc Ryckaert, Wikimedia Commons, Lizenz CC 3.0

1865 errichtete die niederländische Stadt Nijmegen der geplanten völkerverbindenden Bahnverbindung nach Kleve am Niederrhein ein Denkmal: „Eintracht macht stark“ steht in niederländischer Sprache auf dem Sockel, oben thront die Göttin Victoria als Symbol für den gemeinsamen Sieg über die Distanz. Das Denkmal steht bis heute, die Strecke wurde 1999 stillgelegt. Letztes Jahr war ich im Sommerurlaub in Oldenburg/Holstein: Als meine Frau die Ferienwohnung buchte, fuhr die Bahn den Bahnhof noch an, als der Urlaub anfing, hatte sie ihren Verkehr eingestellt. Also fuhren wir mit dem Auto. Viele ehemalige Bahntrassen, auch in meinem Wohnort Wuppertal, geben heute fantastische Fahrradtrassen ab und zeugen von dem ungeheuren Aufwand, den man einst für die Bahn beim Bau von Tunneln und Brücken getrieben hat. Doch kann man das alte Kinderlied auch auf dem Fahrrad singen:

„Zwischen Elberfeld und Barmen, ja da steht ein Tunnel.
Wenn man reinfährt, wird’s dunkel, wenn man ‘rauskommt wird’s hell“.

Vor 150 Jahren stand die Bahn an der Spitze des Fortschritts. Lokomotivführer war der Traumberuf kleiner Jungen. Gutes Beamteneinkommen, weite Reisen, modernste Technik, hohe Geschwindigkeit: 50 km/h, 80 km/h und gegen Ende des 19. Jahrhunderts sogar 100 km/h im Linienverkehr. Ein wohlhabender Großonkel von mir erhielt eine Spielzeugeisenbahn, Lokomotiven mit Uhrwerk zum Aufziehen, auch heute noch ein Schatz, selbst wenn die Züge schon immer viel zu schnell fuhren und noch viel leichter entgleisen, seit mehrere Generationen Kinder (auch ich) über die Schienen trampelten. Eines der verstellbaren Anzeigeschilder verweist auf den Zielort „St. Petersburg“, damals fuhren Züge von Deutschland bis nach St. Petersburg, heute käme man nicht einmal mehr bis ins estnische Tallinn, obwohl das zur EU gehört. Ich mache den Praxistest und tippe auf „Bahn.de“ Düsseldorf als Startbahnhof und Riga als Zielort ein. Das Programm bietet mir an: 5 Umstiege, 40 Stunden 51 Minuten, ca. 1800 km. Der Zug führe 16:52 in Düsseldorf Hbf ab, käme 21:27 Berlin Ostbahnhof an. Von dort müsst ich weiter mit der S-Bahn nach Berlin Lichterfelde, dort 22:27 die Regionalbahn (RB) nach Kostrzyn (Polen) nehmen, dort Aufenthalt von 23:46 bis 0:36. Innerhalb Polens gäbe es einen Intercity nach Warschau, wo ich zwischen 6.31 bis 8:05 frühstücken könnte, dann neuneinhalb Stunden Intercity nach Vilnius: „Reservierungspflicht“, „z.Zt. nicht reservierbar“. In Vilnius hätte ich 12 Stunden und 56 Minuten Zeit zum Umsteigen (vielleicht für die Nacht doch besser ein Hotelzimmer?). Zwischen 6:30 bis 10:45 könnte ich dann nach Riga weiterfahren: „Reservierungspflicht“. Wer will sich so etwas antun, wo Riga doch einen schönen Flughafen hat?

Foto: Gerrens

Der Orientexpress, in dem sich Agatha Christie zufolge spannende Morde ereigneten, benötigte im Jahr 1888 für die etwa 1600 km von Wien bis nach „Constantinopel“ etwa 40 Stunden. 1979 bin ich auf einer Klassenreise von Hamburg bis Athen mit dem Zug gefahren, zwei Tage und zwei Nächte im Liegewagen, einmal Umsteigen in München. Es war nicht sonderlich bequem, doch man konnte gut sitzen und schlafen oder im Gang auf und abgehen, und außerdem war es billiger als die DDR-Flugzeuggesellschaft „Interflug“ von Ostberlin nach Athen. Heutzutage, trotz Klimawandels, hat man nur noch die Wahl zwischen Flugzeug und Auto. Und, ach ja, FlixBus ab Bukarest.

Quelle: Wikimedia CC

Kurz vor dem Ersten Weltkrieg begann man im Osmanischen Reich mit dem Bau der Bagdad Bahn. Der Architekt des Stuttgarter Bahnhofs orientierte sich schon mal am persischen Diwan-Stil, in vielen persischen Moscheen bis heute präsent: Drei Seiten haben eine Wand, die vierte Seite nicht. Indem er diesen Baustil am Stuttgarter Bahnhof einführte, signalisierte er, wohin man von Stuttgart aus demnächst hinfahren könne.

Bahnhof Stuttgart, Foto Enslin, Wikimedia Commons, Lizenz CC 3.0, ganz links im Bild und ganz recht jeweils ein persischer „Diwan“

In den letzten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts weckten von Schienen genutzte Quadatmeter in bester Stuttgarter Innenstadtlage ökonomische Begehrlichkeiten: Könnte man die Schienen nicht in den Untergrund verbannen und die freigewordenen Flächen als Baugrund nutzen? Anfangs hieß es, das würde sich rechnen wie ein perpetuum mobile der Finanzwirtschaft, doch inzwischen erwies Stuttgart 21 sich für Bahn, Land und Bund als Zusatzgeschäft, eine Subvention, ökonomisch sinnvoll nur für die Subventionsempfänger, die Bauunternehmen. Auch die seit gut zehn Jahren geplante Verlegung des Bahnhofs Hamburg Altona zugunsten einer „neuen Mitte Altona“ dürfte ökonomisch einer ähnlichen Logik folgen. Angeblich rechnet sich das, doch ob die Kalkulation aufgeht, werden wir erst wissen, wenn alles gebaut ist, in fernerer Zukunft in einigen Jahrzehnten. Wenn ich dann noch leben sollte, werde ich voraussichtlich keine Bloqs mehr schreiben.

Im neuzehnten Jahrhundert erinnerten die ‚Kirchenschiffe‘ von Bahnhöfen in ihrer Größe an französische Kathedralen. Das war nicht nur dem Rauch der Dampfloks geschuldet, sondern symbolisierte auch einen Anspruch: Was Religion für die Gotik war, schien der in den Eisenbahnen steckende Fortschritt für die Gegenwart zu sein. Viele Bahnhöfe erhielten nicht nur „Kirchenschiffe“, sondern auch „Kirchtürme“ und „Turmuhren“.

Hamburg Hbf., Foto Jürgen G., Wikimedia Commons, Lizenz CC 3.0.

Beim Material für den Bahnhofsbau orientierte man sich aber nicht an Sandsteinkathedralen oder Backsteingotik, sondern entwickelte eine neue Ästhetik aus Glas und Stahl. Das strahlte übrigens auch auf den Kirchbau zurück: Einige Kirchen im Bergischen verdanken ihre ‚korinthischen‘ Stahlsäulen der Bahnhofsästhetik.

Empore Immanuelskirche Wuppertal (1896), Bild: Wikimedia CC

Ein Eindrucksvolles Beispiel für den Eisenbahnbau in den Kolonien bildet der 1888 fertiggestellte viktorianische Bahnhof Bombay, heute: Chhatrapati Shivaji Maharaj Terminus (Mumbay) und seit 2004 UNESCO-Weltkulturerbe. Bei der Standfigur auf der ca. 100 m hohen Kuppel in der Mitte handelt es sich um die „Lady of Progress“. Die 18 Bahnsteige haben eine Länge von 700 bis 1000 m.

Mumbay Bahnhof, Wikimedia Commons, Foto: Rangan Datta Wiki, Lizenz CC 4.0.

Heute ist der architektonische Fortschritt in die Flughafengebäude ausgewandert.

Kontrollturm, Flughafen Istanbul, Foto: Arne Müseler, Wikimedia Commons, Lizenz CC 3.0

Bahnhöfe werden heute kaum noch gebaut (originelle Ausnahme: Berlin Mitte). Die vorhandenen Bahnhöfe in der Provinz wurden an Investoren verscherbelt und einer neuen Nutzung zugeführt als Jazzschuppen, Bordell, Kultureinrichtung oder Moschee. Was sich nicht verscherbeln ließ, wurde verschlossen und steht unzugänglich in der Landschaft herum und verfällt. Für die jüngeren unter uns: Hinter der verschlossenen Tür befindet sich ein Wartesaal, das war so etwas Ähnliches wie eine Intercity-Lounge für Menschen ohne Bahn-Comfort-Ticket. Man saß dort genauso warm und trocken wie heute im Flughafen. Dabei waren die Züge damals pünktlich, und man musste gar nicht warten. Heute steht man bei Wind und Regen auf dem Bahnsteig, selten überdacht, noch seltener durch Windschutz geschützt, wartet, wartet und wartet. Irgendwann ertönt dann die Computerstimme aus dem Lautsprecher: „Grund dafür ist: Eine Verzögerung im Betriebsablauf. Wir bitten um Entschuldigung.“

S-Bahnhof Wuppertal Unterbarmen, Bildrechte: „wuppertaler“, Wikimedia CC, Lizenz CC 4.0.
S-Bahnsteig Wuppertal Unterbarmen, Bildrechte A.Savin, Wikimedia Commons, Lizenz CC 4.0

2 Kommentare

  1. Sehr schön geschrieben, aber was ist die Moral von der Geschichte?

    • Claudia Nerling

      Vertraue nicht den Versprechungen des Bundesverkehrsministers, jetzt käme eine Verkehrswende. Bisher wurde der ÖPPNV trotz gegenteiliger Versprechungen aller seiner Vorgänger vor allem abgebaut. Bis zum Erweis des Gegenteils gehe ich davon aus, dass das auch in Zukunft so sein wird. Wissing will jetzt erst einmal die Bahn durch Teilsperrungen bis 2030 sanieren. Möglicherweise sind Teilsperrungen der schnellste Weg zur Sanierung (das übersehe ich nicht), aber erst einmal werden Menschen von der Schiene auf Auto und Flugzeug umsteigen. Sollte die Sanierung termingemäß gelingen (und die Kosten nicht explodieren) wird im Wesentlichen das einst funktionierende Schienennetz wieder hergestellt, heile Schienen, funktionierende Signale und Weichen, verbesserte Elektrifizierung. Eine Verkehrswende ist das nicht, auch nicht wenn die Sanierung bis 2030 gelingt. Beispielsweise hat die Schweiz für den Güterverkehr den extrem teuren und aufwändigen Gotthardt-Basistunnel errichtet, Italien baut eine Anschlusstrecke, doch zwischen Basel und Amsterdam ist tote Hose.

      Was müsste geschehen, damit die Verkehrswende tatsächlich eine würde?

      1. Mehr Geld, vergleichbar der Schweiz (pro Person), und das nicht für sinnlose Großprojekte wie Stuttgart 21 und Bahnhof Hamburg-Altona verfeuert, sondern wirklich in Schienen und Bahnverkehr investiert. Das Geld muss vom Automobilverkehr kommen, und von einer Steuer auf Flugbenzin.

      2. Die Bahn müsste entweder eine einheitliche Staatsgesellschaft aus einer Hand sein („hoheitliche Aufgabe“ hätte man früher gesagt) oder es müsste eine klare Trennung zwischen Netz und Betrieb geben, Staatsmonopol auf der Netzseite und ehrliche Konkurrenz unter den Bahnbetrieben. Ich glaube, ich bevorzuge die erste Lösung (also wie früher), aber auch die zweite könnte funktionieren. Mischformen funktionieren besonders schlecht.

      3. Mein Traum wäre: Eine einheitliche Transportfirma zuständig für Bund, Länder und Kommunen. Wenn das nicht realistisch sein sollte, mindestens bessere Absprachen und Abstimmung der Fahrpläne verbunden mit irgendeiner Form von Rahmengesetzgebung des Bundes. Ein einheitliches Ticket für den Regionalverkehr („Deutschland-Ticket“) war ein Schritt in die Richtung und hat gezeigt, dass Koordinierung prinzipiell möglich ist, auch wenn das System an Einschränkungen kommt (meine Extra-Funktion für Fahrräder gilt z.B. nur für NRW, weil jeder Verkehrsverbund seine eigenen Regeln für den Fahrradtransport hat). Für mich und viele andere Berufspendler aus der ökonomischen Mittelschicht war das Deutschland-Ticket ein ökonomischer Gewinn, weil ein „Ticket 2000“ der Preisstufe C mich monatlich ca. 135 Euro kostete und das „Deutschland-Ticket“ bloß 59 Euro. Damit habe ich mehr Geld in der Kasse, schön für mich, doch fuhr ich ja auch bisher Bahn (und konnte mir das teurere „Ticket 2000“ auch leisten). Im Ergebnis spare ich, doch die Umwelt hat nichts davon. Wenn wir von dem Geld, das wir jetzt sparen, einmal im Jahr nach New York fliege, wäre das sogar kontraproduktiv für das Klima. Hoffentlich wird es dennoch Menschen geben, die vom Auto auf die Bahn umsteigen. Es sieht noch nicht so aus, als ob das sehr viele würden.

      4. Die Bahn müsste ihre Vorteile gegenüber Auto- und Flugverkehr ausspielen. Dazu gehörte auch die Ästhetik der Bahnhöfe und Züge. WiFi im Zug ist ein Schritt in die richtige Richtung; im Zug konnte man schon immer Bücher und Zeitung lesen (im Auto noch nie), zunehmend kann man im Zug jetzt auch im Internet surfen. Die meisten Menschen, ich auch, sind bequem. Im überfüllten Zug zu stehen, ist anstrengend. Eine hinreichende Zahl von Sitzplätzen vor allem im Berufsverkehr (leicht erreichbar durch eine hinreichende Zahl von Waggons bzw. Doppeldecker) wäre hilfreich und bezahlbar, Pünktlichkeit könnte erreicht werden durch Ausweichgleise für Überholungen (früher gab es das mal), Fahrpläne müssten Reserven für Unvorhergesehenes enthalten (was hilft mir, wenn der Zug fahrplanmäßig drei Minuten schneller fährt als früher, aber wegen Verspätung 20 Minuten länger braucht?). Hilfreich wäre ein hinreiche Zahl von Mitarbeitenden (zu gewinnen erstens durch freundlichere Reisende, also uns alle, durch verlässlichere Arbeitsbedingungen und zur Not auch durch ein höheres Gehalt). Sonderwünsche, die das Flugzeug erfüllt, müssten auch in der Bahn möglich sein (Wickeltische, Rollstuhlgerechter Ein- und Ausstieg, Gepäckaufbewahrung für größere Koffer, Langlaufskier oder Fahrräder, auch in ICEs (hier gibt es Ansätze bei den neueren ICEs, allerdings gab es vor dreißig Jahren auch schon mal neuere ICs, die Fahrradtransporte möglich machten, während ein Fahrrad beim Trans-Atlantik-Flug schon in meiner Studienzeit möglich war). Funktionierende Toiletten. Die Bahn bietet einen Mehrwert gegenüber PKW oder Flugzeug; den darf sie nicht verspielen, sondern sollte ihn ausbauen. Und dann: Die letzten Meter nach Hause sind für Berufspendler entscheidend. Abends in Wuppertal geht das bei mir nur mit dem Fahrrad, der Busfahrplan müsste zeitlich abgestimmt auf die Regionalbahnen sein. Dann könnten auch diejenigen, die nicht Fahrrad fahren wollen oder können (wofür man in Wuppertal angesichts der Hügel Verständnis haben muss), die Bahn benutzen. Dasselbe Problem besteht im Schichtbetrieb: Frühschicht in Krankenhäusern oder Altersheimen; die kommen fast alle mit dem Auto. Andere Berufspendler nutzen Park-and-Ride-Plätze. Ergänzend könnten sie bleiben, weiter ausbauen würde ich sie nicht, da sie dem Busverkehr schaden.

      Dr. Uwe Gerrens
      Studienleiter

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert