Der Tod auf steilem Berge

Die „Standgerichtsprozesse“ gegen Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi und die Freisprechung ihrer Mörder

Dr. Uwe Gerrens
von Dr. Uwe Gerrens

Am 9.4.2018 hat der Autor sein geplantes Buch an der Stadtakademie vorgestellt, inzwischen ist es erschienen: Christoph U. Schminck-Gustavus: Der Tod auf steilem Berge. Die „Standgerichtsprozesse“ gegen Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi und die Freisprechung ihrer Mörder. (Donat Verlag, Bremen 2020, 383 Seiten, 29,89€).

Foto: Dietrich Bonhoeffer, Bundesarchiv, Bild 146-1987-074-16 / CC-BY-SA 3.0

Interessanter Weise hat der Bremer Rechtshistoriker Schminck-Gustavus vor 25 Jahren schon einmal ein kleines Taschenbuch zu diesem Thema geschrieben, doch standen damals die Prozessakten der fünfziger Jahre noch nicht zur Einsicht zur Verfügung. Während die ‚Prozesse‘ in den Konzentrationslagern Flossenbürg und Sachsenhausen, in denen Dietrich Bonhoeffer, sein Schwager Hans v. Dohnanyi und diverse andere zum Tode verurteilt wurden, längstens einige Stunden gedauert haben könnten (sofern überhaupt verhandelt wurde), quälten sich die Nachkriegsprozesse gegen ihre ‚Anklagevertreter‘ und ‚Richter‘ von 1949 an sieben Jahre lang durch die Instanzen, drei tatrichterliche Verhandlungen durch Münchner und Augsburger Schwurgerichte, dreimal aufgehoben durch Revisionsbeschlüsse des Bundesgerichtshofs, allein das ein ungewöhnlicher Vorgang.

Foto: KZ Sachsenhausen, Wikimedia Creative Commons, Denis Apel

Schon die höchstrichterlichen BGH-Urteile waren es wert, dass endlich jemand die ganzen Akten in die Hand nahm und von vorne bis hinten durcharbeitete. Dabei wurden auch für die Folgezeit wichtige Grundsatzentscheidungen gefällt zur Frage, was man einem nationalsozialistischen Richter zugestehen konnte, ohne ihn deswegen im Nachhinein wegen Rechtsbeugung zu belangen. Einerseits kann man die fatale Tendenz zur Ausweitung des Zulässigen auf die Formel des ehemaligen Marinerichters und späteren Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger zuspitzen „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“. Andererseits haben sich die ‚Richter‘ Bonhoeffers und Dohnanyis im April 1945 über das damals gültige Militärstrafverfahrensrecht hinweggesetzt, selbst in der Form des als Flugblatt im März 1945 noch verbreiteten „Merkblatt über militärische Standgerichte“, mit dem die wenigen verbliebenen Rechte der Angeklagten noch ein letztes Mal zusammengestutzt worden waren.

Schminck-Gustavus musste sich für sein Buch durch sechs Nachkriegsprozesse durchwühlen, 15 Sachakten, 3 Berichtsakten, weitere Bände mit Wordstenogrammen und Pressestimmen, sowie diverse andere Ermittlungsverfahren und Prozesse. Dem standen ‚Urteile‘ in den Konzentrationslagern gegenüber, die nicht erhalten sind, aber nach Angabe der Beteiligten mehrere Seiten umfassten (die Angaben variieren), ordnungsgemäß schriftlich niedergelegt, mit Gründen versehen, getippt und unterschrieben gewesen sein sollen. Eine Sekretärin will das getippt haben; sie habe aber nicht protokolliert (wenn sie protokolliert hätte, hätte sie nähere Angaben zum Verfahren machen können). Ein Strafverteidiger war nicht zugegen. An den angeblichen ‚Gerichtsverfahren‘ in den beiden Konzentrationslagern sollen neben dem Vertreter der Anklage, dem SS-Standartenführer (entspricht: Oberst) Walter Huppenkothen, jeweils drei hohe SS-Führer als ‚Richter‘ beteiligt gewesen sein. Vorsitzender Richter soll der (juristisch nicht vorgebildete) jeweilige KZ-Kommandant gewesen sein, nach Kriegsende praktischerweise tot und daher als Zeuge nicht mehr befragbar. An den Namen des jeweils ersten Beisitzers konnten oder wollten sich die Beteiligten nicht erinnern. Anklage erhoben wurde gegen den zweiten Beisitzer im KZ Flossenbürg, den SS-Sturmführer (entspricht: Major) Otto Thorbeck, der das Todesurteil gegen Bonhoeffer (und Hans Oster, Wilhelm Canaris, Ludwig Gehre, Karl Sack) gefällt haben soll. Keine Anklage erhoben wurde gegen den zweiten Beisitzer im KZ Sachsenhausen, der das Todesurteil gegen Hans v. Dohnanyi gefällt haben soll, den SS-Oberführer Otto Somann (kein Jurist, Hauptschulabschluss). Somann wurde in den Prozessen gegen Huppenkothen und Thorbeck nur als Zeuge gehört. Ob ihm dabei zu Gute kam, dass er in den fünfziger Jahren für die Organisation Gehlen, den Vorgänger des Bundesnachrichtendienstes arbeitete, muss zur Zeit Spekulation bleiben, der Verdacht liegt aber nahe.

Huppenkothen und Thorbeck wurden in letzter Instanz freigesprochen, was ihre Tätigkeit als ‚Anklagevertreter‘ und ‚Richter‘ anging, Huppenkothen wurde allerdings wegen Aussageerpressung verurteilt und weil er das ‚Urteil‘ vollstrecken ließ, ohne eine ordnungsgemäße ‚Urteilsbestätigung‘ aus Berlin abgewartet zu haben.

Foto: wikimedia creative commons (concorde)

Etwa die Hälfte des Buches widmet sich der Haftzeit Bonhoeffers und Dohnanyis, die im April 1943 begann. Zunächst wurden beide in zwei verschiedenen Berliner Wehrmachtsuntersuchungsgefängnissen inhaftiert, säuberlich getrennt in ein Gefängnis für Mannschaften und eines für Offiziere. Bonhoeffer und Dohnanyi standen vor dem Problem, dass man gegen sie wegen des Verdachts auf Hoch- und Kriegsverrat ermittelte, es diese Umsturzpläne gab (sie mündeten später ein in das Attentatsversuch vom 20. Juli 1944), sie aber nicht bekannt werden durften. Oberstreichskriegsgerichtsrat Dr. Manfred Roeder als Ermittlungsführer quälte die beiden seelisch, erpresste sie, verhaftete auch die Ehefrau bzw. Schwester (Christine v. Dohnanyi, geb. Bonhoeffer), um sie unter Druck zu setzen. Die SS zeigte Präsenz, indem sie die Gestapo-Beamten Sonderegger und Möller als „Hilfsorgan“ der Wehrmachtsjustiz den Verhören beiwohnen ließ. Huppenkothen als hoher SS-Offizier wurde von Anfang an informiert und scheint im Verborgenen schon früh die Stränge gezogen zu haben. Dennoch versuchten Bonhoeffer und Dohnanyi, sich herauszureden und vor allem keinen Verdacht auf andere zu lenken, was ihnen auch gelang. Auch sie hatten Fürsprecher im Militärapparat, insbesondere bei Abwehrchef Canaris.

Foto: Generalrichter Dr. Manfred Roeder bei einer Zeugenaussage im Nürnberger Prozess 1947, Wikimedia Commons

Die im September 1943 durch Oberstreichskriegsgerichtsrat Dr. Manfred Roeder erstellten (in den achtziger und neunziger Jahren wiederentdeckten) Anklageschriften gegen Dohnanyi und Bonhoeffer beschuldigen die beiden zwar diverser strafbarer Handlungen (Judenhilfe, Devisenschmuggel, ‚Wehrkraftzersetzung‘ etc.), nicht jedoch des Hoch- und Landesverrats. Gewiss hätte es auch so für zwei Todesurteile gereicht, doch kam es nicht zum Prozess, nur zu weiteren Ermittlungen, zunächst durch einen neuen Ermittlungsführer beim Reichskriegsgericht, später außerhalb der Justiz im Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße, im Berliner Polizeikrankenhaus, und in mehreren Konzentrationslagern. Die Inhaftierten hielten durch, Hans v. Dohnanyi auch durch Selbstinfektion mit Diphterie-Bakterien, die ihn in die Isolierstation expedierte und vor Folter bewahrte.

Schon seit längerer Zeit liegen die Briefe und Kassiber der Insassen gedruckt vor, die Dietrich Bonhoeffers als „Widerstand und Ergebung“ und als „Brautbriefe Celle 92“, die nicht minder lesenswerten Briefe Hans v. Dohnanyis als „Mir hat Gott keinen Panzer ums Herz gegeben“. Es handelt sich um Glücksfälle der an der Gefängniszensur vorbeigeschmuggelten Schilderung der Lebensverhältnisse von Inhaftierten (Hans v. Dohnanyi hat seine Zellen im Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis in Berlin Moabit und im Krankenrevier des KZ Sachsenhausen sogar malen können). Als Rechtshistoriker kann Schminck-Gustavus diese direkten Zeugnisse mit den Aussagen und Gerichtsfeststellungen der Nachkriegszeit vergleichen. Die ehemaligen SS-Leute (und auch einige ihnen nahestehende Zeugen) logen im Nachhinein, dass sich die Balken bogen, doch die Nachkriegsurteile glaubten diesen Lügen oder waren zumindest der Auffassung, dass man das Gegenteil nicht beweisen könne. Das Buch ist allgemeinverständlich geblieben, gut lesbar und frei von juristischer Fachsimpelei. Es ist ansprechend aufgemacht und enthält zahlreiche Reproduktionen von Dokumenten und Fotos, manchmal auch aktuelle Fotos historischer Orte, auch der Gefängnisse und Konzentrationslager. Man erhält eine gute Übersicht auch über den ganzen Bonhoeffer-Dohnanyi-Kreis, zu dem auch Bonhoeffers Freund Friedrich-Justus Perels gehörte. Besonders erfreulich erscheint das Preis-Leistungs-Verhältnis: Für vergleichsweise wenig Geld erhält man vergleichsweise viel Buch.

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