Die Adventsplätzchen und die Windeln Jesu

Dr. Uwe Gerrens
von Dr. Uwe Gerrens

Fichtenzweige, Plätzchen, eine Kerze, Windeln. Adventsdeko, wie sie in der einen oder anderen Form wahrscheinlich viele von Ihnen bei sich Hause haben werden, bis auf die Windel, die die Ästhetik stört und den Appetit verdirbt, obwohl es sich um das einzige Requisit handelt, das auch in der Weihnachtsgeschichte vorkommt. Plätzchen werden bei Lukas nicht erwähnt. Nadelbäume sind bei uns in Deutschland wichtig, weil sie im Winter grün bleiben. Kerzen könnten in Israel schmelzen, zumindest im Sommer. Zur Zeit Jesu benutzte man Öllampen zur Beleuchtung.

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Dennoch halte ich unsere Art, Advent zu feiern, nicht für unbiblisch. Entscheidend ist meiner Meinung nach nicht, dass alles genauso gemacht wird wie in biblischen Zeiten, sondern dass wir heute, in unserem Land und in unserer Zeit angemessen feiern können und uns dabei wohlfühlen. Auf mich üben Plätzchen eine magische Anziehungskraft aus. Besonders in der Gemeinde musste ich lernen, „nein“ zu sagen. Dabei wollten alle mir nur Gutes tun („Ach Herr Pfarrer, nehmen Sie doch noch…“). Irgendwann wird einem vor lauter Zucker übel, und die Kalorien… Zeitweise habe ich einen echten Hass auf Plätzchen entwickelt. Inzwischen kann ich sie aber wieder genießen. Es kommt auf das rechte Maß an. Und darauf, dass man sich die Ruhe gönnt und genießt.

Doch zu den Windeln: Im Unterschied zu Kerzen, Tannenbäumen und Pfefferkuchen, ja selbst zu Ochs und Esel, Kaspar, Melchior oder Balthasar, werden sie erwähnt, im Lukasevangelium sogar zweimal: „und wickelte ihn in Windeln“, heißt es vom ersten Tun der Mutter an ihrem ersten Kind. Und nicht etwa: „Da nahm sie das Kind auf den Arm und sang ihm ein Wiegenlied.“ Windeln sind etwas sehr Profanes und wirken sehr wenig festlich, doch wechselt bei Lukas das Profane sehr kunstvoll mit dem Festlichen. ”Ehre sei Gott in der Höhe” singt auf dem Felde bei den Hirten die Menge der himmlischen Heerscharen, dazu „Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens”. Gleich nach diesen wohl am häufigsten vertonten Jubelworten des Neuen Testamentes, verweist der Engel auf das menschliche Textil: „Und das habt zum Zeichen. Ihr werdet finden das Kind, in Windeln gewickelt“. Wieso ist das ein Zeichen? Und auch noch das erste? In Windeln gewickelt werden alle Neugeborenen. Was soll’s?

Wir begreifen es, wenn wir die Geschichte vom Ende her ansehen, auch da kommen Textilien vor, und auch die werden zweimal erwähnt. ”Und siehe da war ein Mann mit Namen Josef … er war aus Arimathäa … ging zu Pilatus und bat um den Leib Jesu und nahm ihn ab, wickelte ihn ein Leinentuch und legte ihn in ein Felsengrab”. Das ist die erste Erwähnung. Und dann noch einmal, als Petrus der märchenhaften Erzählung der Frauen vom leeren Grab nicht recht trauen wollte, und sicherheitshalber selbst ging, um nachzuschauen, da ”bückte [er] sich hinein und sah nur die Leinentücher und ging davon und wunderte sich über das, was geschehen war”. Der Zusammenhang zwischen den Windeln in der Weihnachtsgeschichte, und den Leichentüchern in der Passionsgeschichte wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass Windeln damals keine Pampers zum Wegwerfen waren, sondern eine Art „Binden“ für den ganzen Leib, ein quadratisches Tuch (meist aus Leinen) mit einem 6m langen Wickelband, in das das Neugeborene nach jüdischem Brauch während der ersten sieben Tage fest eingewickelt wurde. 

Am Anfang und am Ende des Lebens Jesu gab es also ein Tuch, in das er eingebunden wurde, und das hat der Lukas jeweils zweimal erwähnt, doppelt hält besser. Und wenn es richtig sein sollte, was einige Exegeten meinen, dass die damaligen Krippen meistens nicht aus Holz waren, sondern eine Art ausgehöhlter Steintrog bildeten, so wäre Jesus nicht nur am Ende seines Lebens eingewickelt in eine Grabeshöhle gelegt worden, sondern auch schon zu Beginn seines Leben in eine Art kleiner Steingruft zum Schlafen.

Quelle: Angebliche Windeln Jesu im Aachener Dom, Foto: Geolina, Lizenz: Wikimedia CC BY-SA 3.0

„Nacket bin ich vom Mutterleibe kommen.
Nacket werde ich wiederum dahinfahren.
Der Herr hat‘s gegeben, der Herr hat‘s genommen
der Name des Herrn sei gelobet.”

So dichtete Heinrich Schütz in den musikalischen Exequien. Die erste und die letzte Einkleidung übernehmen andere für mich. Die Art und Weise unserer ersten und letzten Körpermomente und der ersten und letzten Taten, die Menschen an unserem Körper tun, enthüllen, wer wir Menschen sind in unserer nackten, hilflosen Kreatürlichkeit. Und dafür sind die „Binden“, hier „Windeln“ genannt, „Zeichen“ – enthüllende Zeichen.

„Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden, das Kind in Windeln gewickelt.“ Es ist das erste Zeichen der Weihnacht vor allen anderen – vor Krippe und Stern, vor Christbaum und Kerzen, Gänsebraten und Geschenken, vor „Jauchzet, frohlocket“ und „Stille Nacht, heilige Nacht“, vor dem „holden Knaben im lockigen Haar“ und dem „schlaf in himmlischer Ruh“ – vor all diesem ist dieses Zeichen uns Menschen enthüllend: „Und wickelte ihn in Windeln“! „Und das habt zum Zeichen!“

Wenn man so massiv betont, dass Jesus Mensch wurde, wo bleibt das Göttliche? Mein Gott, Gott in Windeln gewickelt, kann das sein? Dieser Einwand ist nicht neu, sondern ist schon im zweiten Jahrhundert nach Christus formuliert worden. Damals lebte ein Theologe namens Marcion, und dem lag besonders an der Jenseitigkeit und alles übersteigenden Herrlichkeit Gottes, an der Unendlichkeit und am Frommen und Erhabenen, also an Dingen, die auch viele von uns in der Advents- und Weihnachtszeit suchen. Aber Marcion nahm Anstoß an Armut und Niedrigkeit, an Elend und Zweifelhaftigkeit der Geburt Christi in Stall und Krippe. Und so hat er in seinen Gemeinden die Weihnachtsgeschichte abgeschafft, und die entsprechenden Stellen im Lukas- und Matthäusevangelium umgeschrieben. Er lässt Christus an einem heiligem Ort in die Welt kommen, nämlich in der Synagoge von Kapernaum, und zwar mit einem Scheinleib und einem allem Irdischen abholden Sinn. Schließlich sollte es ja ein Gott sein, der da geboren wurde. Und man überliefert von Marcion den Ruf: „Schafft endlich die Krippe fort und die eines Gottes unwürdigen Windeln”.

Seinerzeit war die Kritik Marcions für die junge Kirche eine enorme Herausforderung, zumal seine theologischen Argumente vielen Menschen einzuleuchten schienen. Wenn Jesus Gottes Sohn war, kann er dann auch ganz und gar Mensch gewesen sein, inklusive derartiger Peinlichkeiten? Dennoch hat man sich, meines Erachtens zu Recht, dazu durchgerungen, Marcions Position auszuschließen. Durchgesetzt hat sich die Auffassung, dass Jesus ganz und gar Mensch wurde und nicht nur ein bißchen. Ich zitiere Ambrosius, einen Bischof von Mailand und Lehrer Augustins aus dem vierten Jahrhundert:  

Er wurde ein Kind,
damit du zum vollen Erwachsenenalter reifen könntest;
er wurde eingewickelt in Windeln,
damit du herausgewickelt werden könntest
aus den Netzen des Todes;
er war auf Erden,
damit du unter den Sternen seiest;
er hatte keinen Platz in der Herberge,
damit du viele Wohnungen im Himmel haben könntest.
Reich war er und wurde arm für uns.
Seine Armut ist unser Reichtum,
seine Schwäche unsere Kraft.
Für uns ist er arm,
in sich ist er reich.
Du siehst mit den Augen,  
dass er in Windeln liegt;
dass er aber Gottes Sohn ist,
das siehst du nicht.

Hier wird sehr deutlich gleichzeitig an der Niedrigkeit Jesu und an seiner Göttlichkeit festhalten. Zwischen beidem besteht kein Gegensatz. Im Gegenteil: Das Niedrige ist Zeichen für das Göttliche, das Göttliche kann aber nicht anders erkannt werden als in der Niedrigkeit und verändert gerade darin auch uns.

Drastischer hat es nur noch Luther in einer Predigt ausgedrückt, nicht ganz stubenrein, ich bitte um Entschuldigung, aber ich zitiere bloß, ich habe das nicht selbst geschrieben. Luther diskutiert in dieser Predigt mit einer fiktiven Person, die sich schwer damit tut, an die Menschwerdung Gottes zu glauben, und läßt diese sagen: ”Da wirst du mich nicht überreden, dass der soll ein Gott sein, der da von einem Weibe geboren wird, lässt sich herab vom Himmel legen neun Monat in den Leib Marien, der Jungfrau, und scheisst und pisst in die Windeln. Darnach stirbt er am Kreuz als ein Dieb und Schelm! Soll das ein Gott sein?“

Luther fragt rhetorisch. Eigentlich will er sagen, doch, genau, das ist Gott. Gott sch… und p… in die Windeln. Schaut her, so verstehe ich diese Methode, schaut her, die Menschwerdung ist in der Tat nicht einfach zu glauben. Wir wissen das. Wir machen es euch aber deshalb so schwer, weil es billiger nicht geht. Wir kennen die Einwände. Menschwerdung Gottes ist nicht nur anstößig, sondern will es auch sein, denn sie will uns nicht in dem bestätigen, was wir ohnehin über oben und unten denken, sondern wirbelt die Hierarchien durcheinander, bringt uns aus dem Takt und verwirrt unsere Maßstäbe.

Zur Zeit werden in der Kirche werden immer wieder Rufe laut, man solle auf die Menschen zugehen, sie dort abholen, wo sie sind, in der Situation oder der Gesellschaft existierende gesellschaftliche Fragen als Chance begreifen, als Anknüpfungspunkte, die man brauche, um die kirchlichen Antworten günstig zu platzieren. Man befinde sich in einer Marktsituation, in der die biblische Botschaft in Konkurrenz mit anderen Angeboten der Sinnsuche stünde und nur richtig kommuniziert werden müsse, damit das eigene Produkt an den Mann oder die Frau gebracht werden könne. Nicht alles an dieser Analyse ist falsch. Es gibt verschiedene, einander konkurrierende Angebote der Sinnsuche, und das Evangelium ist nur eins davon, und nicht unbedingt eines, das allen Menschen einleuchtet. Und natürlich habe auch ich in dieser Situation nichts dagegen, wenn die Kirche auf die Menschen zugeht und mit ihnen in Ihrer Sprache redet. Dennoch kann es nicht darum gehen, den Menschen die Botschaft von Menschwerdung, Kreuzigung und Auferstehung dadurch nahe zu bringen, dass man sie weniger anspruchsvoll formuliert. Keine noch so gute Kommunikationsstrategie wird das Wort vom Kreuz so verbraucherfreundlich herrichten können, dass es den Konsumentinnen und Konsumenten ebenso sanft, mild und hautschonend erscheint wie das neueste Handwaschmittel. Und was für das Kreuz gilt, gilt auch schon für die Krippe und die Windeln. Nicht nur als Gegenmittel gegen Weihnachtskitsch benötigen wir die Windeln, auch als Vorverweis auf das Leichentuch haben Sie ihren festen Ort im Lukasevangelium und stören die die glatte Harmonie. Doch genau dieser Störungen wegen, weil ein Durcheinander zwischen oben und unten entsteht, ist die Weihnachtsgeschichte ein auch in literarischer Hinsicht so großartiger Text. Die Ehre Gottes in der Höhe und das ganz und gar Menschliche hier auf Erden bilden für Lukas einen Gegensatz und kommen dennoch zusammen im Leben Jesu. Dies stotternd und irritiert weiterzusagen, ist etwas anderes als eine kreative missionarische Werbestrategie und unterscheidet sich qualitativ vom Marketing für das neueste Handwaschmittel.

Zurück zur Adventsdeko. Grundsätzlich finde ich es richtig und gut, wenn wir den Advent mit Adventskranz und Kerzen, mit Keksen, Süßigkeiten und Fichtenlaub begehen und nicht mit einer Windel. Das würde uns den Appetit verderben. Doch darum es geht es nicht. Wir sollen uns im Advent wohlfühlen dürfen. Dabei können Kerzen und Süßigkeiten eine Hilfe sein. Wenn sie allerdings zum Hauptinhalt werden, gibt es ein Problem. Zu viele Süßigkeiten schmecken nicht. Dann wird es süßlich-kitschig. Dagegen hilft ein Blick in die Weihnachtsgeschichte. Das ist auch im zweiten Corona-Jahr nicht das Schlechteste. Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest.

Quellen: Im Reich Gottes gelten keine Urheberrechte, für die Predigt darf man jede Idee stehlen, die einem gefällt. Im Internet soll das angeblich anders sein. Für diesen Bloqbeitrag habe ich mich durch eine im Jahr 2002 gehaltene Weihnachtspredigt „über die peinlichste Stelle in der Weihnachtsgeschichte“ von Rolf Wischnath inspirieren lassen, damals Generalsuperintendent in Cottbus,
https://www.theologie.uzh.ch/predigten/archiv-5/021225-1.html

Quelle: Mosaik: Kloster Hosios Lukas, Griechenland, 11. Jhdt., Wikimedia Commons CC

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