In Deutschland gilt bei Erdbestattungen seit langem die Sargpflicht; d.h. eine Leiche darf nur in einem Sarg beerdigt werden. Als Grund werden oft hygienische Gründe genannt; medizinisch gesehen ist die Ansteckungsgefahr bei Leichen allerdings gering, zumal sie in der Regel aus dem Kühlhaus kommen. Weitere Gründe für die Sargpflicht sind Sitte, Pietät und Tradition; man möchte den Toten gegenüber Respekt bezeugen und die Leiche nicht einfach „entsorgen“. Eher verschämt werden ökonomische Gründe genannt: manch Tischlerei lebt von der Sargherstellung. Seit es „Discount-Särge“ gibt, sind die Kosten erheblich gesunken. Noch preisgünstiger waren die Armenbegräbnisse vergangener Jahrhunderte, etwa im Klappsarg (prominentes Beispiel: Wolfgang Amadeus Mozart), bei denen man nach der Beerdigungszeremonie eine Klappe an der Unterseite öffnete, den Leichnam herausnahm, das Grab zuschaufelte und den Sarg für die nächste Beerdigung bereithielt.
Die muslimische Sitte, Leichen in einem Tuch zu bestatten, stellte die in Deutschland geltende Sargpflicht in Frage. Widerspricht die Sargpflicht der Religionsfreiheit? Dabei wurde und wird diskutiert, ob es sich bei der Beerdigung im Tuch überhaupt um islamische Religionsausübung handelt oder nur um Sitte und Gebrauch. Doch selbst wenn man zu dem Schluss kommen sollte, dass die muslimische Tradition kein explizites Sargverbot kennte, stellt sich die Frage, aus welchem Grund man sie per Gesetz verbieten muss.
Dabei geht es nicht nur um den Islam: Auch bei jüdischen Beerdigungen in Israel werden Leichentücher genommen. Im Deutschland haben sich bei jüdischen Beerdigungen schlichte Särge eingebürgert (im Tod solle es keine Standesunterschiede geben), man verzichtet auf Metallteile und nimmt leichtes Holz, das schnell vermodert: „Erde zu Erde, Asche zu Asche“ wird (auf Hebräisch) auch bei jüdischen Beerdigungen gelesen.
In Teilen Griechenlands wird bei griechisch-orthodoxen Beerdigungen die Leiche (manchmal im Sarg, oft aber auch nur in Tüchern) auf dem Friedhof in eine Art „Betoneinfassung“ gelegt, mit Betonplatten verschlossen und abgedichtet. Wenn nach wenigen (oft sind es sieben) Jahren das Fleisch verwest ist, wird die Betoneinfassung geöffnet; die weiblichen Familienangehörigen des Verstorbenen waschen die Erde von den Knochen ab, bis die Gebeine weiß sind. Anschließend werden sie in einem Beinhaus deponiert, manchmal auch nur in einem Karton, manchmal in einer Art Urnenwand für die ganze Familie. In einem Kloster auf dem Berg Athos erlebte ich am Karfreitagmorgen (gegen 2.30 in der Nacht) wie der Gottesdienst auf einem Klosterfriedhof begann: Bei strömendem Regen (mit Regenschirm) begann man die Liturgie zwischen den Holzkreuzen der frisch verstorbenen Mönche; das Ossuarium mit den gereinigten weißen Knochen der schon länger Toten, von denen einige sicherlich noch als lebende Menschen bekannt waren, befand sich direkt daneben im Ossuarium. Einige Schädel (die der Äbte?) waren beschriftet, andere nicht.
Soweit mir bekannt wurde die Sargpflicht in Deutschland explizit erstmals 2005 in Schleswig-Holstein aufgehoben. Die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche trat damals dafür ein, grundsätzlich an der Sargpflicht festzuhalten, wollte aber Bestattungen ohne Sarg „aus religiösen und weltanschaulichen Gründen“ als Ausnahmeregelung zuzulassen. Das wurde auch Gesetz. Mit dieser Konstruktion sollte eine Aufhebung der Sargpflicht aus finanziellen Gründen verboten werden: Vor allem wollte man verhindern, dass die Sozialbehörden die Sargkosten bei Sozialbegräbnissen einsparten.
Was steht im nordrhein-westfälischen Friedhofsgesetz von 2003? Als Nicht-Jurist hat sich mir das nicht ganz erschlossen, denn das Gesetz enthält weder eine explizite Sargpflicht noch eine explizite Aufhebung derselben. § 11 Abs. 3 regelt, dass eine Öffnung des Sarges bei Trauerfeier oder Begräbnis der Genehmigung durch die Ordnungsbehörde bedarf (ich habe die Aufbahrung in einer Kirche in einem offenen Sarg vor etwa drei Jahren bei einer Trauerfeier in einer griechisch-orthodoxen Kirche erlebt; das ist offenbar genehmigungspflichtig); § 16 Abs. 1 regelt, dass der Transport von Leichen auf öffentlichen Straßen und Wegen nur in einem „dicht verschlossenen Behältnis“ erfolgen darf.
Friedhofsgesetze stecken nur den Rahmen des Zulässigen für im Einzelnen sehr unterschiedliche Friedhofsordnungen ab. Dabei entscheidet man
a) konfessionelle Friedhöfe (bei denen die jeweilige Religionsgemeinschaft entscheidet, ob nur Gläubige der eigenen Religionsgemeinschaft beerdigt werden können),
b) Friedhöfe in konfessioneller Trägerschaft, manchmal auch Simultanfriedhöfe genannt, die zwar einer bestimmten Religionsgemeinschaft ‚gehören‘, aber sämtliche Leichen einer bestimmten Region ungeachtet einer etwaigen Religionszughörigkeit nehmen müssen, sofern der nächste erreichbare Friedhof zu weit entfernt liegt, und
c) nicht-konfessionelle Friedhöfe, meist in Besitz der Kommune, die ebenfalls für alle offen sind.
Bisher gab es in Deutschland keine muslimischen Friedhöfe (in Düsseldorf allerdings ein Gräberfeld auf dem Südfriedhof, wo „in Ausnahmefällen“ auf den Sarg verzichtet werden kann). In Wuppertal hat ein Trägerverein kürzlich den Grund für den ersten „konfessionellen“ muslimischen Friedhof (vom evangelischen Kirchenkreis Wuppertal) erworben, der allerdings noch nicht in Betrieb ist. Der Kreis der Düsseldorfer Muslime plant etwas Ähnliches, hat aber bisher kein Grundstück.
Betrachtet man die biblischen Passions- und Ostergeschichten aus der ungewöhnlichen (und theologisch eher banalen) Perspektive der Bestattungsriten ergeben sich einige Überraschungen.
Zur Zeit Jesu blieben Sarkophage aus Holz, Stein oder gar kunstvoll behauenem Marmor wenigen wohlhabenden Menschen vorbehalten. Einige jüdische Sarkophage wurden ausgegraben; ab dem späten 4. Jahrhundert auch christliche, die mit der Verbreitung des Christentums an Zahl und kunstvoller Gestaltung zunahmen. Paulus schreibt nichts über die Grablege Jesu; auch Apg. 13,29 enthält keine Details. Den Evangelien zufolge trug Jesus bei der Verhaftung Kleidung; diese wurde vor der Kreuzigung ausgezogen und noch vor seinem Tod unter den Soldaten durch Los aufgeteilt (Mt. 25,37; variiert Joh. 19,23-24). Für die Bestattung spendierte der wohlhabende Josef von Arimathia ein Leinentuch (Mk. 15,46) und stellte eine für den eigenen Tod bereits aus dem Felsen gehauene „Beerdigungshöhle“ zur Verfügung. Dem Johannesevangelium zufolge trug Jesus „Leinenbinden“, die auch noch am Ostermorgen in der Höhle lagen (Joh.20,7).
Der Sarg taucht im Neuen Testament nicht auf. Ganz sich handelt es sich nicht um ein zeitloses Gebot für Christinnen und Christen, im Sarg beerdigt zu werden; noch weniger sollte diese christliche Sitte muslimische oder jüdischen Gläubigen vorgeschrieben werden. Dennoch finde ich, dass sich in der multireligiösen Gesellschaft im Respekt gegenüber Leichen auch die Achtung vor dem Menschen widerspiegeln sollte, der diese Leiche einmal gewesen ist. Deshalb möchte ich nicht für ein „anyhting goes“ in der Beerdigungskultur plädieren, auch nicht für wiederverwendbare Klappsärge. Für die Mehrheit der Deutschen wäre (wie für mich persönlich auch) ein schlichter Nullachtfünfzehn-Sarg völlig o.k.; das heißt aber nicht, dass die Mehrheit der Deutschen dies den Minderheiten aufdrücken dürfte. Dennoch sollten meiner Meinung nach bestimmte Formen der Respektlosigkeit gegenüber Toten gesetzlich verboten bleiben; gleichzeitig muss der Staat aber auch anerkennen, dass dieser Respekt in unterschiedlichen Kulturen und Religionen sehr unterschiedliche Ausdrucksformen gefunden hat, darunter auch einige, die uns in Deutschland absonderlich erscheinen. Die Abgrenzung ist nicht ganz einfach. Auf jeden Fall sollte es ausgeschlossen bleiben, Leichen als „Sachen“ zu behandeln.
Für mich ist der Ostergottesdienst der schönste im Jahr. Während ich dies schreibe, ist noch nicht klar, ob ich ihn dieses Jahr „richtig“ erleben darf, oder ob mich wieder mit einem Flachbildschirm begnügen muss. Ich habe Flachbildschirme satt und mag gerade an Ostern keine halben Sachen. Dennoch: Weder garantiert die Realpräsenz in einer Kirche ein „richtiges“ Ostern, noch wäre der Flachbildschirm prinzipiell in der Lage, ein „richtiges“ Ostern zu verhindern. Die Frauen, die am Ostermorgen zum Grab gingen, rechneten mit gar nichts, hatten keine frommen Gefühle, sondern eine sehr profane Pflicht, das Salben des Leichnams. Was danach geschah, war keine Antwort auf ihre Fragen nach dem Warum, sondern widerfuhr ihnen spontan und unvorbereitet von Außen. Während die Musik unzählige Passionen hervorgebracht und die Kunst noch mehr Bilder der Kreuzigung, tat man sich deshalb mit Ostern sehr viel schwerer. Musik ist oft zu laut und zu triumphierend, Kunst sehr oft schlicht kitschig. Gelungen sind holperige Musik oder verstörende Bilder, das von Bach vertonte Lutherlied: „Christ lag in Todesbanden“ beispielsweise oder das Osterfresko von Fra Angelico in Florenz.
Es war ein wunderlich Krieg,
da Tod und Leben ’rungen;
das Leben behielt den Sieg,
es hat den Tod verschlungen.
Die Schrift hat verkündet das,
wie ein Tod den andern fraß,
ein Spott aus dem Tod ist worden.
Halleluja.