In den letzten Wochen kam es vielen von uns vor, als ob das Leben auf Pause gestellt worden sei.
Das Coronavirus hat seit Januar (damals noch weit weg in China) so viel weißes Rauschen in Form von zunehmend erschreckenden Nachrichten und zunehmender Verunsicherung in der Bevölkerung verursacht, dass unsere Regierung unser ganzes Land auf Pause gestellt, einfach die Pausentaste gedrückt hat.
Nein, nicht einfach, sondern nach vielen Beratungen mit den Experten, sogar nach einem leichten Zögern erst, wie es der Langsamkeit einer echten Demokratie entspricht.
Pause, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Eben die ganz ganz große Pausentaste. Das Leben steht auf Pause und nicht auf Aus. Es findet weiterhin statt. Es gibt weiterhin Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, weiterhin Obdachlose, Insolvenzen, Artensterben, Waldbrände, Trockenheit, Künstliche Intelligenz und natürliche Dummheit, fiese Trickbetrüger, Häusliche Gewalt, Einsamkeit, Lieblosigkeit und Verzweiflung. Auch das nicht nur bei uns, sondern urbi et orbi – in Düsseldorf und auf dem Erdkreis. Das Leben hat nicht aufgehört. Es ist insgesamt langsamer geworden als wir es in den letzten Jahrzehnten kannten. Vielleicht seit dem 20.04. sogar ein bisschen zu wenig langsam. Mit einer zweiwöchigen Verzögerung werden wir sehen.
Tatsächlich von einer Sekunde auf die andere die Pausentaste gedrückt wird am Jom HaShoa in Israel. Dort und in der ganzen Welt gedenken Menschen an diesem Tag der sechs Millionen in der Shoa ermordeten Jüdinnen und Juden.
In Düsseldorf findet an diesem Tag normalerweise die Namenslesung der über 2500 deportierten und ermordeten Düsseldorfer Jüdinnen und Juden statt, aber auch das ging in diesem Jahr nicht.
In Israel stand am 21.04. das Land wie jedes Jahr für zwei Minuten still, um 10 Uhr heulten die Sirenen, der Verkehr ruhte, die Menschen vereint in Erinnerung, aber wegen Corona vereinzelt auf ihren Balkonen und nur mit denen zusammen, mit denen man in einem Haushalt lebt. Selbstgemalte Tücher mit Sprüchen und Symbolen statt einer gemeinsamen Feier. Gerade den letzten Überlebenden hat die leibhaftige Gemeinschaft mit anderen schmerzlich gefehlt.
Die Zeremonie von Yad Vashem, der Holocaust-Gedenkstätte des Staates Israel, können Sie hier nachverfolgen (Hebräisch und Englisch, aber mindestens die ersten 3 Minuten sind auch ohne Worte verständlich und berührend):
https://www.yadvashem.org/yv/en/remembrance/2020/broadcast.asp
Auch die Jüdische Gemeinde Düsseldorf hat einen Beitrag zu Jom HaShoa auf Facebook: https://www.facebook.com/131249106942959/videos/645744789599176/
Außerdem erinnern wir uns in diesen Tagen an den Aufstand im Warschauer Ghetto. Auch dazu gibt es eine Fülle von Informationen und Materialien auf der Seite von Yad Vashem:
https://www.yadvashem.org/de/holocaust/about/combat-resistance/warsaw-ghetto.html.
Und in einem Artikel der WELT und auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung:
https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/gallery115394292/Der-Aufstand-im-Warschauer-Ghetto.html
https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/158334/warschauer-ghetto
Lassen wir uns berühren vom Leid der anderen. Auch wenn wir selbst gesund sind und die meisten von uns sogar nicht einmal jemanden kennen, der an Covid-19 erkrankt ist.
Lassen wir uns berühren von Leid und auch von Freude in diesen Tagen! Damit wir an unserem Berührtsein unsere Verantwortung für unsere Zeit 2020 erkennen. Worin auch immer diese bestehen mag.
Wozu sollte sonst die ganz große – sozusagen terrestrische – Pausentaste gut sein?
Dr. Gabriela Köster, Ev. Stadtakademie