Die politische Erfindung des Sonntags

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Athina Lexutt

Der Sonntag. Inbegriff von Freizeit, Ausruhen, süßem Nichtstun, Durchatmen, Seele-baumeln-Lassen, Familienausflügen und Verwandtenbesuchen. Ob eine Süße mit ihrem Süßen segeln gehen will, ob immer wieder sonntags die Erinnerung kommt oder ob man am Montag mal Sonntag haben möchte oder ob – gottlob – der Sonntag herbeigekommen ist – früher war der Sonntag wahrlich heilige Zeit.

Das ist er heutzutage nicht mehr, jedenfalls nicht mehr wirklich. Wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht, wird um jeden verkaufsoffenen Sonntag gerungen, und dass Familien, idealtypisch aus Vater, Mutter, zwei Kindern und einem gut erzogenen Hund bestehend, um 12:00 Uhr beim Mittagessen zusammensitzen, das kommt einem auch vor wie eine Szene aus einer Schnulze der Fünfziger.

Dabei hatte alles so gut angefangen. Am 7. März ist es genau 1700 Jahre her, dass der römische Kaiser Konstantin den Sonntag per Gesetz zu einem freien Tag erklärt hat. (Später im gleichen Jahr 321 wird er erlauben, dass Juden städtische Ämter bekleiden dürfen – eine Bestimmung, die unter dem Titel „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ dieses Jahr zu Recht erinnert wird.) Sowohl Gerichtsverhandlungen als auch jegliche Arbeit – ausgenommen war die Landwirtschaft – sollten ruhen. Aber bevor die Gloriole um diesen Kaiser, der so viel Gutes für das Christentum getan hat (und zwar in einem Maße, dass es berechtigt ist, in der Christentumsgeschichte von der Konstantinischen Wende zu sprechen) zu groß wird, ist ernüchternd festzuhalten: Christliche Motive dürften ihn dabei nicht geleitet haben. Die werden erst später dazu gekommen sein. Einer der rührigsten Fans des römischen Kaisers, der christliche Geschichtsschreiber Euseb von Caesarea, hielt in seiner Lebensbeschreibung Konstantins fest: „Auch setzte er fest, dass als der dem Gebete geweihte Tag der Tag zu gelten habe, der in Wahrheit berechtigt und tatsächlich der erste, der Tag des Herrn und des Erlösers sei. […] [T]reue Leibwächter, deren Waffen in einem ergebenen und treuen Charakter bestanden, nahmen den Kaiser zum Lehrer der Frömmigkeit und sie ehrten nicht weniger auch selber den Tag des Erlösers und Herrn, indem sie an ihm ihre Gebete verrichteten, wie es dem Kaiser angenehm war. Dasselbe zu tun trieb der Selige auch alle Menschen an, da er ja den Wunsch hegte, allmählich alle Menschen zu Gottesverehrern zu machen. Darum erließ er ein Gesetz für alle Bürger des römischen Reiches, an den nach dem Erlöser benannten Tagen zu feiern, ebenso wie auch den Tag vor dem Sabbat in Ehren zu halten, wohl um des Gedächtnisses willen an all das, was der Heiland der Welt, wie überliefert ist, an diesem Tage vollbracht hat. Er belehrte sodann sein ganzes Heer, mit Eifer den Tag des Erlösers zu feiern, der auch nach dem Lichte und nach der Sonne benannt ist, und den Soldaten, die den göttlichen Glauben angenommen hatten, gab er Zeit und Gelegenheit, ungehindert in der Kirche Gottes auszuharren, um dort ungestört von jedermann ihre Gebete zu verrichten.“ [1]Selbst den Soldaten, die den christlichen Glauben noch nicht angenommen hatten, wurde befohlen, sich mit den anderen zum Gebet zu versammeln und ihre Hoffnung „nicht auf ihre Lanzen, nicht auf ihre Rüstung oder ihre Körperstärke“ zu setzen, „sondern den höchsten Gott als den Geber alles Guten und sogar des Sieges“ zu erkennen[2]. Konstantins Nachfolger im Amt weiteten aus, was am Sonntag erlaubt war, und vor allem, was nicht: Zirkusspiele (392), Theateraufführungen, Pferderennen (399). Die Regelungen und Verbote wurden in den Folgejahrhunderten immer weiter gefasst, umgekehrt kirchlicherseits die Sonntagspflicht eingeführt, bis dahin, dass ein Bruch der Sonntagspflicht als Todsünde galt. Erst die Reformatoren befreiten den Sonntag aus dieser neuen Gesetzlichkeit: Man sollte den Heiligen Tag feiern und nicht den Feiertag heiligen!

Kaiser Konstantin und Kaiserin Helena, germanisches Nationalmuseum Nürnberg

1700 Jahre alt also ist das Faktum, dass die politische Macht ein Interesse daran hatte, verschiedene Kulte und weltliche Bedürfnisse zusammenzubringen und mit einem festgelegten Rhythmus aus Arbeit und Ruhe der (buchstäblich!) Volksseele das zu gewähren, was sie braucht. Ein Interesse, das relativ ungebrochen anhielt. Seit 1919 ist in Deutschland der Sonntag von der Verfassung geschützt. Aber seit 1974 ist er nicht mehr der erste Tag der Woche. Egal?

Älter als 1700 Jahre ist die Geschichte des Sonntags, und so wechselvoll wie die Geschichte des Christentums selbst ist auch seine Geschichte und die seiner Deutungen. Zu lang und zu wechselvoll, als dass dies Platz fände in einem kurzen Blogbeitrag. Vor allem aber ist bisher viel zu wenig theologisch dazu gearbeitet worden. In Dogmatiken findet sich dazu so gut wie nichts. Und dabei verbinden sich mit der Frage nach dem Sonntag viele weitere hoch interessante Fragen und Herausforderungen: die nach dem Verhältnis von Sabbat und Sonntag; die nach dem Ziel und Zweck des Sonntags: Ist er ein Ruhetag? Ein Feiertag? Ist er Tag der Arbeitsruhe oder der Auferstehung? Soll er aus sozialethischen Gründen geschützt werden? Warum dann der Sonntag und nicht irgendein anderer? Wie kann der Sonntag recht gefeiert werden? Usw. usf. Weil alle diese Fragen nicht tief genug theologisch aufgearbeitet sind, haben sich, ehrlich gesagt, die Kirchen und die Theolog*innen auch nicht immer mit Ruhm bekleckert, wenn es darum ging, den Sonntag gegen wirtschaftliche Interessen zu verteidigen. Oder in der Corona-Zeit für den Sonntag und seine Feier jenseits von Gewohnheits- und Besitzstandsargumenten zu plädieren und Alternativen zur üblichen gottesdienstlichen Praxis zu überlegen, die nicht nur als Notlösungen und also notgedrungen echte Alternativen böten. Auch jenseits des Sonntags. Den Reformatoren wäre es nur recht, und es wäre höchste Zeit.

Dann würde man vielleicht auch erkennen (und das so lehren, predigen und liturgisch gestalten), dass es theologisch eben nicht egal ist, ob mit dem Sonntag die Woche endet (dann ist er Lohn für die Werke der Woche) oder beginnt (dann kommt das gute Werk der Woche aus der durch Tod und Auferstehung Jesu Christi geschenkten und in der gottesdienstlichen Feier zugesagten Freiheit).

Constantiuns I. (306-377) Solidus (4,35g) Trier, geprägt von 310 bis 313 n. Chr.

Als Konstantin 321 an Helpidius schrieb, dass der Sonntag, der sich prima in die heidnischen Kulte des unbesiegbaren Sonnengottes (Sol invictus) und des Mithras fügte, für die Stadtbevölkerung arbeitsfrei sein sollte, hatte er sicher keine Ahnung davon, wie theologisch brisant die Frage nach dem Sonntag in Wahrheit ist. Dass sein Schutz in diesem Jahr ein so besonderes Jubiläum feiert, könnte und sollte aber ein guter Anlass sein, dieser theologischen Brisanz neu nachzudenken.


[1] Vita Constantini IV, 18; zit. nach BKV online bkv.unifr.ch/works/35/versions/47/divisions/79645, Abruf vom 20.01.2021

[2] Vita Constantini IV, 19, zit. nach BKV online bkv.unifr.ch/works/35/versions/47/divisions/79646, Abruf am 20.021.2021. Wer sich noch genauer über die Ausführungen des Eusebius von Caesarea über Konstantin informieren möchte, kann dies in einem frisch erschienen Band der Reihe Fontes Christiani tun: Eusebius von Caesarea: De laude Constantini – Lobrede auf Konstantin / De verbo dei – Über den Logos Gottes, Zweisprachige Ausgabe Freiburg im Breisgau 2020.

Prof. Dr. Athina Lexutt ist ­Kirchenhistorikerin an der Universität Gießen

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