Interview von Dr. Uwe Gerrens mit Redouan Aload-Ali
Mein Gesprächspartner Redouan Aoulad-Ali stammt aus Düsseldorf. Beruflich arbeitet er in einer Sozialagentur und engagiert sich für „fair trade“ und Umweltschutz in den Moscheen. Ehrenamtlich hat ihn der Moscheeverein „Masjid Assalam“, der zurzeit den ersten Moscheebau Düsseldorfs in Reisholz baut, in den Vorstand des „Kreises der Düsseldorfer Muslime“, dem kommunalen Moscheeverband (KDDM), entsandt, wo er zunächst für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig war, zuletzt für die „Düsseldorfer Freitagsgespräche“, das jährliche interreligiöse Fußballspiel, inzwischen auch als zweiter Vorsitzender des KDDM.
Mein Interview bezieht sich im ersten Teil auf die mit dem Mordanschlag vom 19. Februar 2020 in Hanau angestoßene Debatte, die aber zweitens durch alles, was mit Corona zu tun hat und den zweiten Teil bestimmt, nur vorübergehend abgebrochen wurde.
Teil I
Kannst Du die Mordanschläge, die es seit einem Jahr in Deutschland gegeben hat, aus dem Kopf vollständig wiedergeben?
Vollständig aus dem Kopf sicherlich nicht. So sehr haben sich die Ereignisse überschlagen. Ich weiß nur noch, dass am 15. März 2019 die Auftaktveranstaltung unserer Freitagsgespräche zum Thema rechtsideologischer Extremismus im Rathaus stattfinden sollte. Ausgerechnet am selben Tag fand dann in Christchurch in Neuseeland der Anschlag mit 51 Opfern auf Moscheen statt. Im Juni war der Mord an Walter Lübke, Oktober 2019 der Anschlag auf die Synagoge in Halle und dann kam Hanau. Für mich am erstaunlichsten waren im Februar 2020 die Ergebnisse von Polizei-Razzien an 13 Orten in ganz Deutschland. Razzien zu den mutmaßlichen Rechtsterroristen der „Gruppe S“. Die Verdächtigen hatten offenbar grässliche Anschläge geplant. Die Gruppe hatte die perfide Absicht, durch Anschläge auf Politiker, Asylsuchende und Muslime „bürgerkriegsähnliche Zustände“ herbeizuführen. Im April ist es dann im niedersächsischen erneut zu einem vermutlich rassistisch motivierten Mordanschlag gekommen. Ein 29-jähriger Anhänger von verschiedenen antisemitischen Verschwörungstheorien mit Kontakten zu Neonazis wurde als Täter festgenommen. Neurechte bekamen seit 2015 durch Internet-Radikalisierungskampagnen immer jüngeren Zulauf.
Welche Gefahr ist größer: das Corona-Virus oder das „Virus“ des Rassismus?
Die globalen Auswirkungen sind bei beiden Viren enorm. Wahrscheinlich können wir auch bei beiden schwer abschätzen, wohin die Reise letztlich geht. Covid-19 ist noch nicht ausreichend erforscht, daher gibt es da mehr offene Fragen als bei dem grassierenden Rassismus. Aber wenn Du nach der Mordrate fragst, dann sind sicherlich Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus sehr üble Krankheitsverläufe. Bei der Bewertung durch die Gesellschaft ranken sich mittlerweile außergewöhnliche und krude Verschwörungsmythen.
Worum geht es bei Islamfeindschaft, um Rassismus, um „Ausländerfeindschaft“ oder um den Islam als Religion? Wie waren Eure Erfahrungen in der letzten Zeit?
Wir müssen feststellen, dass Rassismus und „Ausländerfeindschaft“ von früher heute sehr stark mit Islamfeindlichkeit ersetzt oder gefüllt werden. Wir sehen auch, dass viele, die eine Abneigung gegen Religionen an sich haben, ihren Hass letztlich auf sichtbar religiöse Menschen, also auf Islam und Muslime projizieren. Auch mag es Antisemiten geben, die das öffentlich nicht zugeben mögen und sich deshalb kritisch zum Islam äußern. Das betrifft dann oft bestimmte Regeln, die in beiden Religionen ähnlich sind wie das Verbot von Schweinefleisch, bestimmte Speiseregeln (koscher bzw. halal) oder die Beschneidung. Hinzu kommen Verschwörungstheorien, die von einer „schleichenden Islamisierung“ fantasieren. Ein Machtanspruch wird unterstellt ähnlich wie wir es bei den „Protokollen der Weisen“ beobachten konnten.
Worum geht es Deiner Meinung nach beim Antisemitismus, um Rassismus, die jüdische Religion oder um Antizionismus?
In jedem Fall geht es um eine Ideologie für Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, um eine grundsätzliche Feindschaft gegen alle, die als ‚Semiten‘ begriffen werden, denen man die Ursache nahezu aller Probleme auf der Welt fälschlicherweise zuschreibt. Ich denke, unter dem Begriff Antisemitismus werden u.a. verschiedene Formen der Judenfeindschaft zusammengefasst. Es gibt auch eine antisemitische Israelkritik, die mit Verschwörungsmythen arbeitet und bereits aus dem Antisemitismus der Nazis bekannt ist, nämlich dass „die“ Juden die Weltherrschaft anstrebten. Antisemiten verwechseln oder vermischen sehr bewusst das mit berechtigter Kritik an Entscheidungen der israelischen Regierung, die auch bei allen anderen Regierungen gleichermaßen kritisierbar sind und dann auch genauso bei anderen Staaten kritisiert werden sollten. Der Kreis der Düsseldorfer Muslime arbeitet in Düsseldorf seit Jahren in den kommunalen Zusammenschlüssen und auch bilateral mit der jüdischen Gemeinde direkt zusammen, um durch Begegnungen Judenfeindschaft und Muslimfeindlichkeit abzubauen oder gar nicht erst entstehen zu lassen. Unsere Initiative zur ganzseitigen Anzeige in der Rheinischen Post, wo wir gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit und Christenverfolgung verurteilten, war ein enorm wichtiges Signal für alle Beteiligten. Die gesamte Gesellschaft ist allerdings auch aufgefordert ständig daran weiter zu arbeiten. Da haben wir in Düsseldorf glücklicherweise eine Vielzahl an Freunden, die dabei helfen hier den Zusammenhalt zu stärken.
Teil II
Gibt es zurzeit muslimische online-Gottesdienste oder sonstige Angebote?
Ja, seit Beginn des Fastenmonats Ramadan gibt es Live-Übertragungen von Predigten aus den Moscheen. Da das Fastenbrechen wegfällt, haben einige Gemeinden wie unser Mitglied die Muslimische Hochschulgemeinde-MHG Düsseldorf und andere Vereine sogenannte Iftar-Pakete To-Go für bedürftige und einsame Studierende erstellt, weil dieses Jahr die gut besuchten Speisungen in den Gemeinderäumlichkeiten wegfallen. Wie immer werden diese durch großzügige Spenden der Mitglieder der Gemeinden überhaupt erst verwirklicht.
Die Kirchen finanzieren sich größtenteils durch Kirchensteuer. Im Moment geht das prima, aber das böse Erwachen kommt wahrscheinlich, wenn der Konjunktureinbruch auf die Kirchensteuereinnahmen durchschlägt. Schon jetzt fehlen Kollekten, die zwar verplant sind, aber nicht eingesammelt werden konnten, weil die Gottesdienste ausfielen. Wie ist das bei den Düsseldorfer Moscheevereinen? Die finanzieren sich doch fast ausschließlich durch freiwillige Gaben beim Freitagsgebet, die jetzt ausbleiben, während die Miete weiterläuft. Oder?
Für uns alle bringt die Corona-Situation viele Einschränkungen für das alltägliche Leben mit sich. Eine die sich in unserem Alltag bemerkbar niederschlägt, ist der verwehrte Zugang zu den Moscheen und fehlende Möglichkeit an den Moscheeaktivitäten teilzunehmen. Natürlich haben sie laufende Kosten, die beglichen werden müssen. Dazu zählen vor allem Mietkosten, Personalkosten oder auch Nebenkosten der Mietfläche. Neben Mitgliedsbeiträgen kommen diese Spenden meistens nach den Freitagsgebeten, der „Freitagtaler“ zustande. Das besonders dramatische gerade ist, dass ausgerechnet ca. 50% der Jahreseinnahmen im Monat Ramadan erzielt werden. Da diese ausfallen, fehlt den Moscheen auch finanzielle Grundlage ihre Rechnungen zu begleichen. Dazu hat der KDDM ziemlich am Anfang der Krise schon einen Aufruf gemacht die Spenden nicht nur an deren physischen Präsenz zu binden, sondern jetzt auch mit Spendendaueraufträgen ihre Gemeinden zu unterstützen. Gerade weil für Muslime keine „Synagogensteuer“ oder Kirchensteuer bisher vorgesehen ist das von existentieller Bedeutung.
Muslime beten üblicherweise eng auf Tuchfühlung. Wenn jetzt Gottesdienste unter Beachtung von Hygienemaßnahmen wieder möglich werden sollten, vielleicht mit eineinhalb Meter Sicherheitsabstand nach rechts und links, gibt es dazu muslimische Konzepte, ist das vorstellbar? Wie viele müssten vor der Tür bleiben?
Einige haben sich schon dazu geäußert, dass ihnen das Gebet mit so viel Abstand eher fremd erscheint, andere erinnern immer wieder an den Pragmatismus, den unsere Theologie bereithält. Zum Beispiel beschreibt die „Darura“ eine Form einer Notwendigkeitsklausel, mit der die Art und der Umfang von gottesdienstlichen Handlungen erleichtert werden können, wenn es die Umstände gebieten. Wer Krank ist braucht z.B. nicht fasten und wer Beschwerden hat kann im Sitzen beten und muss somit nicht die Knie beugen. Leider werden in den nächsten Wochen und vielleicht Monaten viele vor der Tür bleiben müssen, denn wir haben den Gemeinden empfohlen pro 10m² Gemeindefläche immer nur eine Person zuzulassen. Daher hat eine schrittweise Öffnung für uns eher symbolischen Charakter und es wird erstmal dafür gebetet, dass wir wieder wie üblich öffnen können. Eine kleine Minderheit erwägt im Moment zumindest zu öffnen, aber die Mehrheit der Vereine möchte sich nicht die Blöße geben einen willigen Gläubigen vor der Tür stehen zu lassen, nur weil die Kapazitäten nicht ausreichen.
Schon mal bei einem Möbelhaus angefragt, ob man da außer Möbel verkaufen auch beten darf?
(Lacht) Ich war letztes Jahr in New York und habe dort einen Taxifahrer gesehen wie er den Gebetsteppich auf dem Dach seines Taxis ausgebreitet hat. Da die 5 Gebetszeiten über den Tag verteilt sind wird man bei der Wahl des Ortes immer genügsamer und pragmatischer. Warum also nicht auch ein Möbelhaus?! Spaß beiseite. Ich bin heilfroh, dass Konsens darüber herrscht, dass die Sicherheit und die Gesundheit der Mitglieder vorgehen und wir uns selbst zur Schließung verpflichtet hatten. Geduld ist gerade eine wichtige Tugend, zu der wir alle aufrufen sollten.
Ja, so sehe ich das auch, auch für christliche Gottesdienste. Den Ostergottesdienst habe ich im Düsseldorfer Autokino gefeiert, gemeinsam mit 500 anderen Autos, Friedensgruß per Winken oder mit Hupe. Meine Tochter war vorher sehr skeptisch, meinte aber hinterher, es sei besser als im Fernsehen, auch wenn sie das jetzt nicht jedes Jahr machen wolle. Habt Ihr schon Ideen, wie ihr Ramadan feiern wollt?
Exakt dieselbe Idee hatte ich auch und da war unser Autokino in Düsseldorf noch gar nicht eröffnet. Man kann bzw. darf im Sitzen beten, wenn die Notwendigkeit es verlangt. Allerdings fanden es viele aufgrund der Körperlichkeit des muslimischen Gebets eher aus emotionalen Gesichtspunkten sehr schwierig. Deshalb haben wir zunächst davon abgesehen. Wir sehen das auch als Chance und die Digitalisierung wird nun in den Gemeinden zwangsläufig vorangetrieben. Das sehe ich als eine positive Entwicklung an.
Vielen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Dir und allen anderen Düsseldorfer Musliminnen und Muslime vor ihren diversen Computerbildschirmen, Laptops oder Smartphones einen trotz schwieriger Umstände gesegneten Ramadan.
Dr. Uwe Gerrens, Ev. Stadtakademie