Erntedank und die Bauern von Geser

Dr Dietrich Knapp
von Dr. Dietrich Knapp

Am kommenden Sonntag ist Erntedankfest. Manch einem scheint dieses Fest etwas antiquiert zu sein. Lebensmittel gibt es im Überfluss zu kaufen. Jeder Supermarkt ist voll von Obst, Gemüse, Getreideprodukten und was der Mensch sonst alles noch an Lebensmitteln braucht. Das ist für moderne Menschen, die in der Stadt leben, selbstverständlich. Man kann es sich gar nicht anders vorstellen. Zum Thema Wachsen und Ernten hat man keinen Bezug – das ist ganz weit weg. Wieso soll man für etwas dankbar sein, was selbstverständlich zu allen Zeiten vorhanden ist? Von daher scheint das Erntedankfest wie aus der Zeit gefallen.

Quelle: Weinlese in Israel amos_bar_zeev.unsplash.jpeg

Es lohnt sich, einmal nachzufragen, wie Menschen in biblischen Zeiten mit diesem Thema umgegangen sind. Anfang des 20. Jahrhunderts hat man bei Ausgrabungen in Geser in Israel ein kleines Kalksteintäfelchen mit einer Inschrift gefunden. Archäolog:innen haben es untersucht und vertreten die Auffassung, dass es aus dem 10. Jahrhundert vor Christus stammt und damit sehr alt ist. Der Text gibt uns in acht Punkten einen Einblick in eine durch und durch von der Landwirtschaft geprägte Welt (aus: Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen 2011, S. 225-226):

I           Zwei Monate              des Einheimsens
II          Zwei Monate              der Saat
III         Zwei Monate              der Spätsaat
IV         Ein Monat                   des Heraus/Abhackens des Flachses
V          Ein Monat                   der Gerstenernte
VI         Ein Monat                   der Ernte und des Abmessens
VII        Zwei Monate              des Schneitelns
VIII       Ein Monat                   der Obsternte

Quelle: Geser Kalender (Israel) Replikat-wikimedia_commons.jpeg

Schon auf den ersten Blick ist deutlich, dass auf dem Täfelchen zusammengestellt ist, was in der Landwirtschaft in den zwölf Monaten des Jahres zu tun ist. Der Text ist also eine Art Bauernkalender. Historiker:innen haben nun versucht, diese Auflistung in unser Kalendersystem zu übertragen und darüber hinaus genauer zu rekonstruieren, welche Tätigkeiten hier im Einzelnen gemeint sind. Ihr Ergebnis sieht so aus (aus: Manfred Weippert, ebd. S. 226 in Anlehnung an Gustav Dalman):

September     Ernte von Granatäpfeln, Quitten, Mandeln, Walnüssen, Johannisbrot, Oliven Oktober          Ernte von Datteln, Oliven
November       Frühe Wintersaat
Dezember       – – –
Januar             Mittlere Wintersaat
Februar           Spätsaat
März               – – –
April                Gerstenernte
Mai                 Weizenernte
Juni/Juli          Zweites Schneiteln der Rebe
August            Weinlese, Pflücken der Feigen

Quelle: Olivenernte-Ulrike Leone-pixabay.jpeg

Das ganze Jahr war von landwirtschaftlichen Tätigkeiten geprägt. Es gab für die Bauern in Geser und auch an anderen Orten in Israel von morgens bis abends viel zu tun, damit geerntet werden konnte. Das Wachsen und Gedeihen von Früchten und Getreide war keine Selbstverständlichkeit. Sonne und Regen mussten zur rechten Zeit kommen. So war man dann Gott auch überaus dankbar, wenn die Ernte da war. Das war ein Grund zur Freude. Das musste gefeiert werden. Es gibt im Alten Testament einen Festkalender, der aus diesem Anlass die Menschen regelrecht zum Feiern auffordert (2. Mose 23,16): „Und du sollst halten das Fest der Ernte, der Erstlinge deiner Früchte, die du auf dem Felde gesät hast, und das Fest der Lese am Ausgang des Jahres, wenn du den Ertrag deiner Arbeit eingesammelt hast vom Felde.“ Eigentlich kann man von den Menschen im alten Israel lernen. Vielleicht haben sie hier mehr vom Leben verstanden als die modernen Menschen. Auch heute ist es alles andere als selbstverständlich, dass das, was wir zum Leben brauchen, wächst, gedeiht, reift und dann geerntet wird. Sonne und Regen müssen auch heute zur rechten Zeit kommen. Sonst sieht es schlecht aus. Sonst wird es auch in den Supermärkten nichts zu kaufen geben. Ich denke, dass wir allen Grund zur Dankbarkeit haben, wenn die Regale dort gut gefüllt sind. Und das soll in den Erntedankgottesdiensten in den Kirchen dann auch gefeiert werden.

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