Der 21. Mai ist der Welttag der kulturellen Vielfalt. Dazu passend ist morgen am 22.5.21 der – bereits mehrfach verschobene – deutschlandweite Kinostart des Films „Woman“. Die beiden Autor:innen (Anastasia Mikowa und Yann Arthus-Bertrand) des Films sind um die Welt gereist, haben in 50 Ländern 2000 Frauen vor einer neutralen Leinwand Platz nehmen und von sich und ihrem Leben erzählen lassen. Der Online-Kinostart ist morgen, aber ich konnte den Film heute schon streamen und habe jetzt noch ca. 20 Stunden Zeit, ihn ein zweites Mal anzusehen, was ich bestimmt tue.
Die Frauen aus allen Kontinenten dieser Erde erzählen von Themen, die Frauen betreffen. Nicht alle Themen betreffen alle Frauen, aber die allermeisten die allermeisten.
Jetzt kommt meine beinahe unerträglich lange Aufzählung der Themen. Wir alle haben von diesen Themen gehört, gelesen und/oder sie am eigenen Leibe im eigenen Leben erfahren: Arbeit, Geld, Familie, Heimweh, Sexismus, Pubertät, Sexualisierung, Sex, Schamhaftigkeit, Prostitution, Menschenhandel, weibliche Genitalverstümmelung, Macho-Gesellschaften, Pornografie, Ehe, Fremdgehen, Kinder, Schwangerschaft, Geburt, Mutterschaft, Kind mit Behinderung, Verhütung, Abtreibung, Zwangsabtreibung, Kariere, Diskriminierung, Karriereknick, Ungerechtigkeit, Entschlossenheit, doppelte Stärke, Freude, Zwangsehe, Vergewaltigung, sexuelle Gewalt gegen Kinder, Säureangriffe wegen unvollständiger Mitgift, Schläge, Häusliche Gewalt, Angst, Todesangst, Schönheit, Schönheitsrituale, Schönheits-OPs, Selbstliebe, Körperlichkeit, Brustkrebs, Haarausfall, Alter, Krieg, Entführung durch den IS, Folter, Vergewaltigungsschwangerschaft, Heiratsunwürdigkeit /Wertlosigkeit der Frauen nach Vergewaltigung, Menstruation, Verletzlichkeit, körperliche Unterlegenheit, Bildungsungerechtigkeit, Armut, Opfer, Politik, Selbstbild, Selbstbewusstsein, Liebe, Stolz, Glück und eine unnachahmliche Schlusspointe, die das Theologinnenherz höher schlagen lässt.
Die Frauen erzählen jeweils nur einige Sätze von sich selbst und ihrem Leben – auf Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Russisch, Schwedisch – mehr Sprachen habe ich nicht erkannt. Der Text wird auf Deutsch lange und groß genug eingeblendet, dass man alles gut lesen kann. Man kann – wenn man zu sehr fasziniert war, vom Gesicht der erzählenden Frau – zurückspulen und den Text noch einmal lesen.
Im Film wird keine Frage gestellt, nur den Frauen zugehört. Die Autor:innen haben 2000 Interviews geführt und lassen sehr viele Frauen zu Wort kommen, andere kommen im Abspann vor oder schweigend, nachdem eine das sie vereinende Thema zur Sprache gebracht hat. Immer sind die erzählenden Frauen vor der immer gleichen schwarzen Leinwand zu sehen; dazwischen sieht man Frauen oder Familien oder Paare in ihrer „natürlichen“ Umgebung: Schiff, LKW, Haus, Ranch, Auffanglager, Motorrad, Sportplatz, Kochstelle, Trinkwasserkanister, Baustelle, Hütte, Tanzfest, Kirche, vor dem Trampolin der Kinder im Garten, im 100. Stockwerk einer asiatischen Großstadt.
Ich möchte Reklame dafür machen, den Film zu streamen. Das kostet 10 Euro und Sie sparen sich eine Menge Bücher zu lesen. Oder im Gegenteil: Sie bekommen Lust, Bücher über Frauenleben zu lesen. Alle Gewinne, die der Film einspielt, werden gespendet, 50 % davon an die beteiligten Kinos.
Was ich versprechen kann: Obwohl die Themen ernst sind, ist es ein ästhetisch außergewöhnlich ansprechender Film, der es einer weißen mitteleuropäischen, nicht gerade weitgereisten Frau wie mir erlaubt, meine Verwandtschaft mit Frauen aus fernen Ländern und noch ferneren Kulturen zu erkennen. Nach dem Film werden Sie nicht deprimiert sein, wie meine überlange Aufzählung vermuten lassen könnte. Es ist ein ermutigender Film über starke, schöne, junge, mittelalte, alte, mutige, traurige, vor Lebensfreude strotzende, selbstbewusste Frauen. Ihnen zuzuhören, ist ein Genuss und ein Geschenk.