Gerechtigkeit

von Dr. Gabriela Köster

Ferdinand von Schirachs Bücher lesen sich nicht abends zum Einschlafen; sie wollen am Tisch mit hungrigem Bauch gelesen werden. Ob es um „Terror“, „Strafe“ oder um den Assistierten Suizid („Gott“) oder wie jüngst um die Menschenrechte geht: „ Jeder Mensch“. In sechs Artikeln stellt von Schirach Menschrechte auf, die für die ganze Erde gelten sollen:  „Wir, die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union, erachten die nachfolgenden Grundrechte, in Ergänzung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Europäischen Menschrechtskonvention, der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Verfassungen ihrer Mitgliedsstaaten, als selbstverständlich:

Artikel 1 – Umwelt
Jeder Mensch hat das Recht, in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben.

Artikel 2 – Digitale Selbstbestimmung
Jeder Mensch hat das Recht auf digitale Selbstbestimmung. Die Ausforschung oder Manipulation von Menschen ist verboten.

Artikel 3 – Künstliche Intelligenz
Jeder Mensch hat das Recht, das ihn belastende Algorithmen transparent, überprüfbar und fair sind. Wesentliche Entscheidungen muss ein Mensch selbst treffen.

Artikel 4 – Wahrheit
Jeder Mensch hat das Recht, dass Äußerungen von Amtsträgern der Wahrheit entsprechen.

Artikel 5 – Globalisierung
Jeder Mensch hat das Recht, dass ihm nur solche Waren und Dienstleistungen angeboten werden, die unter Wahrung der universellen Menschenrechte hergestellt und erbracht werden.

Artikel 6 – Grundrechtsklage
Jeder Mensch kann wegen systematischer Verletzung dieser Charta Grundrechtsklage vor den Europäischen Gerichten erheben.“

(Zitat aus Ferdinand von Schirach: Jeder Mensch, München 2021, Seite 18-19) Und weiter auf Seite 27: „Wenn Sie in einem Land der Europäischen Union wohnen, können Sie über die Website www.jeder-mensch.eu … für die neuen Grundrechte stimmen. Es gibt keine ‚Erstunterzeichner‘ und keine unterschiedliche Gewichtung der Stimmen.“

Ich habe das kleine Büchlein, dessen Text in einer Zeitung kaum mehr als eine Seite umfassen würde, am 12.6., dem Welttag gegen Kinderarbeit, gelesen, während ich nebenbei und ohne es wirklich zu bemerken zwei Rosinenbrötchen verputzt habe. Das war an dem Tag, an dem bekannt wurde, dass es die ausdrückliche Erwähnung der Kinderrechte bei uns nicht ins Grundgesetz geschafft hat. Sich des Konsums von Rosinenbrötchen auf allen Ebenen nicht wirklich bewusst zu sein, ist wahrscheinlich die Lage sehr vieler Menschen in Europa bzw. in unserem schönen und verhältnismäßig reichen Land. Wenn wir diese Sechs Rechte jedes Menschen ernst nehmen, dann bekommen die Europäischen Gerichte viel zu tun. Und die gesetzgebenden Instanzen aller Länder ebenfalls. Und die Polizei, die sich ums Darknet kümmert und die Steuerbehörden und alle Kontrollbehörden der Welt, außer einigen Zensurbehörden, deren Arbeit ihnen dann selbst als Unrecht erscheinen könnte. Man könnte eine Menge weiterer Bullshit-Jobs abschaffen, Amazon in seine Schranken weisen, die Flughäfen verkleinern, die Schlachthöfe dezimieren, die Kreuzfahrtschiffe zu Pflugscharen umschmieden, den Zwangsprostituierten ihre Pässe zurückgeben, sexuelle Gewalt wirklich verfolgen, Monsanto abwickeln, die Wälder zu Naturschutzgebieten erklären und sogar auf deutschen den Autobahnen eine vernünftige Geschwindigkeitsobergrenze in Geltung setzen. Und man müsste von all dem die Konsequenzen tragen. Das Bundesverfassungsgericht hat nach seinem Fehlurteil zum assistierten Suizid kürzlich ein zukunftsweisendes Urteil gefällt, als es darum ging, dass die Generation der Baby-Boomer aufhören muss, die Zukunft ihrer eigenen Kinder und Kindeskinder zu vergeuden. Es ließe sich noch viel mehr auflisten, was sich durch die globalen Menschenrechte global verbessern würde, wie Ihnen beim Lesen schon selbst aufgefallen ist.

Mauro Lima auf unsplash

Besonders Artikel 1 und 5 würden die Welt sehr schnell zum Positiven hin verändern und so gut wie jeder Mensch müsste einen mehr oder weniger großen eigenen Beitrag leisten. Was würde Jesus – nach allem, was wir von ihm verstanden haben – dazu sagen? Ohne jeden Zweifel: Jesus würde „Ja und Amen“ dazu sagen. Über Kommentare und vor allem Ergänzungen würde ich mich freuen.

P.S. Das Büchlein kostet 5 € und sämtliche Einkünfte spendet von Schirach einem gemeinnützigen Verein, der sich um die Durchsetzung dieser Rechte bemüht.

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