Ich werde sein, der ich sein werde

Dr Dietrich Knapp
von Dr Dietrich Knapp

Es gibt viele geheimnisvolle und rätselhaft erscheinende Aussagen über Gott in den Schriften des Alten und Neuen Testaments. Aussagen, in denen die Verfasser dieser Texte versuchen, Wesentliches über ihn, den Unbegreiflichen und ganz Anderen, in Worte zu fassen. Eine davon steht im 2. Buch Mose (Exodus) im 3. Kapitel. Als Mose Gott nach seinem Namen fragt, erhält er die Antwort: Ähjäh aschär ähjäh. Dieser Satz, der wirklich geheimnisvoll klingt, ist am ehesten so zu übersetzen: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Aber wie ist das zu verstehen? Darüber haben sich Auslegerinnen und Ausleger seit dem Altertum unendlich viele Gedanken gemacht. Sie wollten dem Wesen Gottes auf die Spur kommen.

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Nicht uninteressant ist es, einen Blick in die alten Übersetzungen zu werfen. Die griechische Übersetzung der Hebräischen Bibel etwa, die sogenannte Septuaginta, hat im dritten vorchristlichen Jahrhundert den Satz mit „Ich bin der Seiende“ wiedergegeben. Das klingt für griechische Ohren durchaus verständlich: Gott als der Seiende. Dennoch entfernt sich diese Übersetzung weit vom hebräischen Original. Philosophische Gedanken und Spekulationen lagen den Schreibern des alten Israel fern. Über das Sein in einem abstrakten und grundsätzlichen Sinne haben sie ganz sicher niemals nachgedacht.

Also muss man nach einer anderen Interpretation dieser geheimnisvollen Aussage suchen. Es lohnt sich, im Einzelnen einmal nachzulesen, wie moderne Bibelwissenschaftler/innen diesen Satz ausgelegt haben. Einer der produktivsten und kundigsten Exegeten, Otto Kaiser, hat zunächst darauf aufmerksam gemacht, dass hier eine besondere rhetorische Figur vorliegt, die Gleiches durch Gleiches ausdrückt (eine sogenannte formula idem per idem). Es geht bei der Aussage nicht grundsätzlich um das Sein, sondern um „ein qualifiziertes Sein“. Für Kaiser verweist der Satz „auf die Beständigkeit und Treue Jahwes als des Gottes Israels. Wir könnten es daher auch mit Ich bin zu allen Zeiten derselbe umschreiben. Als solcher ist er der Gott, der so, wie er mit den Vätern war, jetzt und in alle Zukunft mit seinem Volk sein wird“. In der Antwort auf die Frage des Mose wird ein „Hinweis auf das Wesen Jahwes als des mit den Seinen ziehenden und für die Seinen gegenwärtigen Gottes“ gegeben (Otto Kaiser: Der Gott des Alten Testaments. Wesen und Wirken, Theologie des Alten Testaments Teil 2, Göttingen 1998, S. 99f.).

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Aber es gibt (mindestens) auch noch eine andere Interpretation.

Zwei neuere Ausleger, Helmut Utzschneider und Wolfgang Oswald, setzen einen anderen Akzent. Ihrer Auffassung nach ist der Satz Ähjäh aschär ähjäh wörtlich erst einmal so zu übersetzen: „Ich werde sein, wer immer ich sein werde.“ Gemeint ist damit: „Ich werde (einer) sein, dessen zukünftiges Sein nicht festlegbar ist.“ Für diese beiden Exegeten „ist die Antwort Gottes eher verhüllend als erhellend und passt zunächst gut in die geheimnisvolle Atmosphäre, in der die Erzählungen am Gottesberg gehalten sind. Bei näherer Betrachtung aber gibt Gott damit einen im wörtlichsten Sinne ‚theologischen‘ Hinweis:

Wer er ist, wird sich erst in Zukunft erweisen“ (Helmut Utzschneider / Wolfgang Oswald: Exodus 1-15, Internationaler Exegetischer Kommentar zu Alten Testament, Stuttgart 2013, S. 128f.). Zwei unterschiedliche Interpretationen:

Die eine betont, dass Gott der mitgehende ist, in allen Phasen der zukünftigen Geschichte. Die andere möchte das Geheimnisvolle und die unbedingte Freiheit Gottes festhalten.

Beide Auslegungen sind möglich und sinnvoll.

Der Satz Ähjäh aschär ähjäh lässt mehr als nur eine Interpretation zu. Es gibt nicht eine richtige und eine falsche. Der hebräische Originaltext schillert gewissermaßen. Je nachdem, aus welcher Perspektive man ihn beleuchtet und betrachtet, entdeckt man verschiedene Facetten und kommt entsprechend zu verschiedenen grundsätzlichen Aussagen über Gott.

Mir sind beide Aspekte wichtig: Gott ist der, der den Weg in die ungewisse Zukunft mitgeht. Gott ist aber auch der, den wir nie ganz verstehen werden. Er bleibt der Geheimnisvolle, dessen Wesen der Mensch nie ergründen wird.

5 Kommentare

  1. Der wesentlichste Aspekt von Exodus 3.14 ist die Aussage der gegenwärtigen Zukünftigkeit Gottes. Diese impliziert den Schöpfer, d.h. den, der erst noch zu Erschaffendes, also Zukünftiges, erschafft. Das ist aber nur ein Aspekt, sozusagen die primäre Eigenschaft Gottes.. Dieses Attribut ist Bestandteil des Namens Gottes, der die andauernde Zukünftigkeit der Schöpfung Gottes in die Zukünfigkeit seines Wesens inkorporiert. Die Übersetzung sollte also lauten: „Ich werde sein, der ich machend/erschaffend sein werde.“
    Etwas metaphorisierend lässt sich das lesen, dass Gott nicht nur in seiner Existenz gegenwärtig zukünftig ist, sondern zugleich auch die zukünftigen Dinge, Ereignisse, Formen und Manifestationen erschaffen wird.

    • Ich würde den zweiten Satz meines Kommentars vom 26. Juli 2022 gerne folgendermaßen korrigieren bzw. ergänzen:

      „Diese impliziert den Schöpfer, d.h. den, der erst noch zu Erschaffendes, also Zukünftiges, erschaffen wird.“

      Die von Luther schon richtig – etwa im Gegensatz zur Übersetzung in der King James Bibel -hervorgehobene in Exodus 3.14 ausgesprochene gegenwärtige Zukünftigkeit Gottes als sein Wesen (Name) enthält eben auch die perennierende Zukünftigkeit seiner Werke (Schöpfung)

  2. „Ich werde sein, der ich sein werde“ ist für mich die Ankündigung, ohne den Namen Jesus Christus zu nennen. Der ewig Seiende kündigt sein Kommen als Menschen an, deswegen die Formulierung „ich werde sein“. Aber ohne die Nennung eines Namen, sondern mit einer offenlassenden Formulierung, eben: „Ich werde sein, der ich sein werde“. Heute wissen wir, dass dies Jesus Christus ist.

    • Betrachtet man Exodus 3.14 in seinem Kontext des Pentateuch und dem ‚Ereignis‘ des brennenden Dornbuschs, so erscheint die christliche Appropriation im Sinne einer Ankündigung von Jesus Christus doch ziemlich … gewagt

  3. Als Physiker und Laienprediger der reformierte Kirche ist mir wichtig, dass die Zeit eine Element unserer Schöpfung von Raum, Zeit und Materie ist. Demgegenüber lebt Gott in einer höheren Dimension jenseits unserer Zeit. Bei Gott gibt es kein Geborenwerden und kein Sterben, keine Vergangenheit und Zukunft, nur ein Sein in Liebe.
    Wenn Gott nun aber zu Mose in der Zukunftsform redet, so sagt er damit: Ich , der Ewige werde mich euch zuwenden und bei euch Sein in eurem Welt von Vergänglichkeit, Tohuwabohu und Tod. Ihr werdet meine Liebe und Hilfe erfahren.

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