Impfen – Ausweg aus dem Coronastau

von Heinrich Fucks

Was die Straßenverkehrsordnung in der Coronakrise beitragen kann

Das Pandemiegeschehen ist an einem Punkt angelangt, an dem die Frage gestellt wird, ob Geimpften und Genesenen deutlich mehr Rechte zurückgeben werden können und müssen. Die Kehrseite der Frage: wie ist es mit den Ungeimpften? Sollen ihre Teilhaberechte weiter eingeschränkt bleiben? Von einer Spaltung der Gesellschaft ist die Rede und von ungebührlichem Umgang mit den Grundrechten ungeimpfter Personen. Die Rechte müssen für alle gleich gelten – so die lautstark vorgetragene Meinung.

Leider übersehen jene, die mit Emphase die unbedingte Gleichbehandlung Geimpfter, Genesener und Ungeimpfter einfordern einen wesentlichen Unterschied. Das Pandemiegeschehen verläuft nach Maßgabe der Naturgesetze. Das Coronavirus lässt sich von daher begreifen, von daher lassen sich seine Wirkungen auf uns beschreiben und auf dieser Ebene bekämpfen.

Wie wir gesellschaftlich miteinander umgehen, das ist eine Frage der Kultur. Die Kultur zu der auch Recht und Religion gehören, sind der Raum der Freiheitsrechte, Rechte, die in der naturwissenschaftlich begreifbaren Wirklichkeit nicht vorkommen, deren Möglichkeit aber durch die naturwissenschaftlich beschreibbare, materielle Ordnung begründet ist.

Der Unterscheid von Naturgesetzen und Rechtsordnungen wird am Beispiel des Straßenverkehrs klar. Die Fortbewegung im Straßenverkehr unterliegt den Naturgesetzen. Wer Schwer- und Fliehkraft außer Acht lässt, fliegt aus der Kurve mit manchmal tödlichen Folgen. In einigen Situationen z.B. im Winter sogar dann, wenn die rechtlich erlaubten Höchstgeschwindigkeiten eingehalten werden. Es ergibt dann keinen Sinn die vereiste Fahrbahn zu verklagen. Bis an den Anfang des 20. Jahrhunderts hat man hin und wieder versucht mit Mitteln des Strafrechts den schädigenden Wirkungen der Natur Einhalt zu gebieten. Was soll ich sagen – vergeblich. Dem Coronavirus ist strafrechtlich nicht beizukommen. Seine Bekämpfung ist wirksam auf der Basis biologischer Einsicht. Wer die biologische Grundlage alles Lebens, auch des menschlichen Lebens, vergisst, der kommt zu fahrlässigen Schlussfolgerungen. Auch die Straßenverkehrsordnung schränkt viele Möglichkeiten der Verkehrsteilnehmer:innen ein. Sie dient dazu der Willkür und Fahrlässigkeit Schranken zu setzen und einen möglichst gefahrlosen Verkehrsfluss zu gewährleisten. Die eigenen Rechte werden eingeschränkt zu gegenseitigem Schutz. Ebenso bei der Bekämpfung der Pandemie. Freiheitsrechte werden eingeschränkt, wo ihre Inanspruchnahme andere gefährdet. Die Straßenverkehrsordnung für die Pandemie sind die Coronaregeln wie die AHA+L-Regeln, Zugangs- und Nutzungsbeschränkungen und auch die verschiedenen Stufen der Lockdowns.

§1 der Straßenverkehrsordnung lautet:
(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. (2) Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.

Seine Beachtung könnte auch bei Corona helfen. Zurzeit stecken wir im Coronastau, aus dem wir wahrscheinlich erst mit einer hohen Impfquote (70 % und höher) herauskommen. Meine Erfahrungen mit dem Staugeschehen am Heumarerkreuz und Kreuz Köln Ost auf der A3 haben mich gelehrt, Hupen nutzt nichts. Hupen stresst nur. So auch beim Coronastau. Gas geben im Stau ist auch keine Alternative – das führt zum Crash. Das verlängert die Stausituation noch mehr.

Es gibt Personen, die können sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen. Für alle anderen halte ich es für geboten, die Impfung in Anspruch zu nehmen. Die Gefahren und Nebenwirkungen, gar schweren Nebenwirkungen sind medizinisch und persönlich verantwortbar. Wer sich impfen lässt übt Solidarität und Nächstenliebe. Wer sich impfen lässt entspricht dem 5. Gebot „Du sollst nicht töten“. Wer sich impfen lässt verringert die Gefahr selbst durch eine Infektion Schaden zu nehmen und verringert seine Möglichkeiten an der Verbreitung der Infektion mitzuwirken. Er verringert so sein Potential zu fahrlässiger oder grob fahrlässiger Tötung beizutragen. So einfach ist es!

Die Einsicht teilen viele. Aber eben nicht alle. Eine scheinbar zunehmende und zunehmend lauter werdende Zahl sieht es anders. Dadurch wird es nicht einfacher. Länger schon habe ich mich gefragt, wie es zu dieser unterschiedlichen Sicht kommen kann, eine Sicht, die mir vernünftig nicht zugänglich ist. Wäre ich nicht Pastor geworden, hätte ich es mit Mikrobiologie versucht. Meine Einsicht in die tierische Natur des Menschen, mindert nicht mein Bewusstsein Kulturwesen zu sein. Die tierische Natur ist gerade erst die Grundlage und Möglichkeit Kulturwesen sein zu können. Die Pandemie führt vor Augen was geschieht, wenn wir die Natur vergessen: Die Zerbrechlichkeit unseres Lebens, unseres Wirtschaftens und unserer demokratischen und freiheitlichen Kultur steht auf dem Spiel. Das fasst an, das setzt unter Druck, der Stresspegel ist hoch. Mich wundert nicht, dass sich das Kulturwesen in uns beleidigt fühlen kann: „Ich lasse mir nicht von einem Virus, meine Freiheitsrechte und meinen Lebensstil nehmen.“

Wenn wir gemeinsam durch die Krise kommen wollen, dürfen wir auch die Kultur nicht vergessen, die Kultur der demokratischen Konfliktbewältigung und öffentlichen Diskussion. Es gilt beieinander zu bleiben. In den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass in Fragen der Kultur die Gefühle eine ganz wesentliche Rolle spielen. Entscheidungen, auch die des Impfens ist nicht nur rational begründet. Sie wird auch von Gefühlen beeinflusst. Das ist sehr ernst zu nehmen! Philip Hübel hat es in seinem 432 Seiten umfassenden Buch „Die aufgeregte Gesellschaft“ ausführlich dargelegt[1]. (Kürzer erhält man die Einsichten hier.) Wer auf Impfverweigerer und -skeptiker herabblickt und abwertend agiert, erschwert ihnen die Möglichkeit zu gesichtswahrender Einsicht, provoziert Verharren und ist mitverantwortlich daran. Rechthaberisches Auftreten spaltet.

In Römer 14 findet sich ein Beispiel für einen gemeinschaftswahrenden Umgang in ähnlicher Konfliktlage.

So lebenswichtig Impfung und Coronaregeln sind, dass wir beieinander bleiben hat einen hohen Wert. Es bewahrt unsere Kultur.  


[1] Philipp Hübl, Die aufgeregte Gesellschaft. Wie Emotionen unsere Moral prägen und die Polarisierung verstärken, München 2019

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