Jesus war anstößig und radikal

Dr Dietrich Knapp
von Dr. Dietrich Knapp

Durch die Jahrhunderte bis zum heutigen Tag hat man immer wieder das, was Jesus von Nazareth gesagt und getan hat, gefällig gemacht und verharmlost. Man hat gewissermaßen die Kanten abgeschmirgelt. Man hatte ein „schönes“ Bild von ihm – irgendwie angenehm und wohltuend. Blickt man einmal auf den historischen Jesus, über den die neuere bibelwissenschaftliche Forschung vieles herausgefunden hat, zeigt sich, dass Jesus anstößig und radikal war.

Das beginnt schon mit seiner extremen Familiendistanz. Er ist nicht in den Familienbetrieb eingestiegen, hat nicht, wie es sich gehörte, zusammen mit seinem Vater und seinen Brüdern gearbeitet, um für das Familieneinkommen zu sorgen. Er hat den elterlichen Betrieb einfach hinter sich gelassen und ist seine eigenen Wege gegangen. Dass das zu großen Spannungen mit der Familie geführt hat, ist nicht verwunderlich. Von Jesus ist der wahrlich befremdliche Satz überliefert: „Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein“ (Lk 14,26). Dass die Familie ihn für verrückt hielt, ist nachzuvollziehen: „Er ist von Sinnen“ (Mk 3,21). Kurzum: wahrlich keine Familienidylle.

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Wer Jesus von Nazareth nachfolgen wollte, musste bereit sein, dessen Heimatlosigkeit zu teilen. Das war auch damals alles andere als bequem und eine extreme Herausforderung, ja eine Zumutung. Der Heidelberger Bibelwissenschaftler Gerd Theißen, der sich mit dem historischen Jesus über Jahrzehnte beschäftigt hat, weist darauf hin, dass das schon im Altertum irritierte: Jesu „Vagabundenleben wird schon von Kelsus im 2. Jh. n. Chr. gegen Jesus ausgespielt. Kelsus beruft sich auf einen Juden, der gegen Jesus einwendet: „Nirgends wagst du zu bleiben, du entweichst mit deinen Jüngern bald hierhin, bald dorthin“ (aus: Gerd Theißen: Zwischen Skepsis und Zuversicht, in: Eckart David Schmidt (Hrsg.): Jesus, quo vadis?, Göttingen 2018, S. 34). Von daher ist auch die radikale Ethik Jesu zu verstehen: „Nur heimatlose Menschen können wie Vögel unter dem Himmel leben, die Familie verachten, Besitzverzicht und Gewaltlosigkeit propagieren“ (ebd.).

Genauso anstößig und radikal ist die Besitzlosigkeit. In einer alten Überlieferung von Worten Jesu, der so genannten Logienquelle, liest sich das so: „Tragt weder Geldbeutel noch einen Reisesack noch Sandalen, auch keinen Stock“ (vgl. Lk 10,4). Darüber hinaus wird auch untersagt, zwei Hemden zu besitzen. Das, was Jesus von denen, die ihm nachfolgten, erwartete, war schon extrem. Seine Anhängerinnen und Anhänger sollten ebenso wie er als Außenseiter leben.

Kurz vor der Kreuzigung Jesu kam es in Jerusalem zu einem unschönen Zwischenfall im Tempel, genauer gesagt im Tempelvorhof. Durch eine symbolische Handlung, die sogenannte Tempelreinigung, störte Jesus den Tempelkult und brachte die im Tempel Verantwortlichen gegen sich auf: „Und Jesus ging in den Tempel und fing an, hinauszutreiben die Verkäufer und Käufer im Tempel; und die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler stieß er um und ließ nicht zu, dass jemand etwas durch den Tempel trüge.“ Zur Begründung dieser aggressiven Aktion gegen Geldwechsler und Opfertierhändler sagte er: „Steht nicht geschrieben (Jesaja 56,7): ‚Mein Haus wird ein Bethaus heißen für alle Völker‘? Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht“ (Mk 11, 15-17). Diese Szene ist ganz sicher historisch, da sie unerfindbar ist. Sie wirft wahrlich kein „gutes Bild“ auf Jesus von Nazareth. Eine derart aggressive Handlung, an zentraler und prominenter Stätte in Jerusalem, dazu noch auf heiligem Boden, hätte später niemand Jesus zugetraut und wir wahrscheinlich heute auch nicht. Jesus war anstößig und radikal. Durch die moderne Jesusforschung ist das wieder deutlich geworden. Ob einem das passt oder nicht – damit muss man sich auseinandersetzen. Und das ist schwer genug. Von den gefälligen und „schönen“ Jesusbildern gilt es, sich zu verabschieden. Es ist Zeit, wieder die Kanten der Botschaft Jesu wahrzunehmen und zu überlegen, was das heute für Konsequenzen hat.

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