(Fortsetzung des Beitrags vom 6. April)
Durch die berühmte Begegnung mit Luther auf dem Wormser Reichstag von 1521 wird Karl V. häufig reduziert auf seine Rolle als Gegner der Reformation. Im Folgenden mag deutlich werden, dass er mit wesentlich mehr Fragestellungen befasst war.
Ärger ohne Ende mit den (lutherischen) Fürsten
Der Reichstag in Worms 1521 war für den jungen König Karl der erste nach seiner Krönung, aber es folgten noch etliche bis 1550 in Augsburg, bei denen Karl das Ziel hatte, die „Ketzerei“ zu verbieten und zu beenden. 1529 in Speyer protestieren die inzwischen zahlenmäßig angewachsenen evangelischen Fürsten gegen den Beschluss, das Wormser Edikt endlich umzusetzen und bekamen seither den Namen „Protestanten“. Wegen der Türken, die vom Balkan her bis vor Wien vorgedrungen waren, war Karl gezwungen, Zugeständnisse zu machen, denn er brauchte das Geld und die Truppen dieser Fürsten. Beim Reichstag in Augsburg 1530 unternahm Karl einen Versuch, die Streitigkeiten gütlich zu beenden: er beauftragte die Lutheraner ihre Lehre in einer Schrift vorzulegen. Die von Philipp Melanchthon verfasste „Confessio Augustana“ wurde dem Kaiser vorgetragen, von der katholischen Seite jedoch zurück gewiesen („Confutatio“). Stattdessen wurde wieder die Durchführung des Wormser Ediktes beschossen. Wegen außenpolitischer Probleme (Karl brauchte Geld und Truppen zum Kampf gegen Türken und Franzosen) wurde auf dem Reichstag in Nürnberg 1532 der Nürnberger Anstand verkündet und alle Maßnahmen und Prozesse gegen die Protestanten eingestellt. Die Hoffnungen richteten sich auf ein allgemeines Konzil. Aber der jeweilige Papst hintertrieb alle Planungen, weil er um seine Machtstellung in der Kirche fürchtete.
Unterdessen schlossen sich die evangelischen Fürsten zum „Schmalkaldischen Bund“ zusammen. Von nun an übernahmen die Fürsten die Vorherrschaft über die Theologen. Bei den Reichstagen in Regensburg (1541) und Speyer (1544) trat das Thema Religion in den Hintergrund, weil Karl V. (wieder einmal) Geld und Truppen für seine Kriege benötigte. 1546, im Todesjahr Luthers, hat Karl den Rücken frei, nach dem Reichstag in Regensburg gegen die Schmalkaldischen Truppen loszuschlagen. Nebenbei findet er aber Zeit für eine Liebesbeziehung zu der Regensburger Gürtlerstochter Barbara Blumberg, aus der ein Sohn hervorgeht, Don Juan de Austria. Gegen die schmalkaldischen Truppen kommt ihm zu Hilfe, dass der Vetter des sächsischen Kurfürst Johann Friedrich sich auf die Seite des Kaisers geschlagen hatte. 1547 kommt es bei Mühlberg an der Elbe zum größten Sieg Karls. Die Führer des Schmalkaldischen Bundes, Philipp von Hessen und Johann Friedrich von Sachsen geraten in Gefangenschaft. Luther selbst hat Karl seit 1521 nie wieder gesehen. Beim Reichstag in Augsburg 1530 konnte Luther nicht anwesend sein, weil er das Kurfürstentum Sachsen wegen der Reichsacht nicht verlassen konnte. Statt dessen musste er auf der Veste Coburg ausharren und auf die Theologen um Philipp Melanchthon vertrauen. Dem toten Luther (er war 1546 in Eisleben verstorben) stattete Karl nach dem Sieg in Mühlberg allerdings einen Besuch am Grab in der Schlosskirche in Wittenberg ab. Obwohl seine Ratgeber ihn dazu drängten, ließ er Luther nicht exhumieren und doch noch als Ketzer verbrennen. Im Bewusstsein seiner Machtfülle, die sich auf Karls spanische Truppen stützte, sollte auf dem „geharnischten Reichstag“ in Augsburg (Karl brachte mehr Soldaten mit als Augsburg Bürger hatte) die religiöse Frage mit einer strengen Reichsreform verbunden werden. Der Widerstand der Fürsten gegen die Machtverschiebung zu Gunsten des Kaisers sorgte auch dafür, dass Karl gegen die Protestanten nicht weiterkam. Das „Augsburger Interim“ (1548) war ein schwacher Kompromiss, der schließlich dafür sorgte, dass Karl seinem Bruder Ferdinand die Regierungsgeschäfte im Deutschen Reich überließ.
Auf dem Reichstag in Augsburg 1555 wurde der Augsburger Religionsfriede geschlossen, der den lutherische Fürsten zugestand, über die Konfession in ihren Gebieten zu bestimmen: das Prinzip „cuius regio, eius religio“. Dabei wurde zwar die Lehre der Lutheraner offiziell geduldet, keineswegs aber die Glaubensfreiheit des einzelnen Christen anerkannt. Aber schon diese Duldung der lutherischen Ketzerei war in Karls Augen ein Fehler.
Beim Reichstag in Augsburg 1555 war er auch nicht mehr dabei. Inzwischen tagte das Konzil von Trient in mehreren Sessionen. Manche offensichtlichen Missstände, die Luther angeprangert hatte, wurden abgestellt, die Kernanliegen der Reformation wurden jedoch weiter als Ketzerei gebrandmarkt.
Karl gegen Franz: Feindschaft mit Unterbrechungen
Das Königshaus in Frankreich hatte sich nie damit abgefunden, dass Burgund an Österreich gefallen war. Nachdem der relativ junge König Franz I. bei der Königswahl im Reich nicht erfolgreich war, kam es zu immer wieder aufbrechenden Kriegen zwischen beiden Herrschern. Einer der Zankäpfel war Italien, wo weite Territorien zum spanischen Königtum Aragon gehörten, also ebenfalls zu Karls Herrschaft. Zwischen 1521 und 1544 gab es 4 Kriege, dazwischen auch immer wieder Versuche zur Versöhnung. In der Schlacht bei Pavia 1525 konnten Karls Feldherren König Franz gefangen nehmen und nach Spanien bringen. Während in Deutschland der Bauernkrieg tobte und Martin Luther seine Katharina von Bora heiratete, schlossen Karl und Franz den für Frankreich harten Frieden von Madrid: Franz musste auf Burgund und das Königtum Mailand verzichten, seine beiden Söhne als Pfand in Spanien zurücklassen und Karls älteste Schwester Eleonore heiraten. So hoffte Karl mit Franz gemeinsam gegen die Türken vorzugehen, die sein Reich in Ungarn und Nordafrika bedrohten. 1526 heiratete Karl in Spanien die portugiesische Prinzessin Isabella, nachdem er zuvor seine Verlobung mit Maria Tudor, der Tochter Heinrich VIII. von England gelöst hatte, die verabredet worden war, als sie noch ein Kind war. In den weiteren Auseinandersetzungen in Italien haben die Söldner Karls Rom geplündert, weil sie seit der Schlacht von Pavia nur sehr unregelmäßig Sold bekommen hatten, und endlich ihr Geld verlangten: der Sacco di Roma 1527. Papst Clemens VII. konnte sich in die Engelsburg retten und wurde dort belagert.
Auch nach dem Tod Franz` I. kommt es zu neuen Auseinandersetzungen, zumal der neue König Heinrich II. einer der beiden Söhne ist, die Karl in den Jahren nach 1525 als Geiseln in Spanien gefangen hielt, und ziemlich schlecht hatte behandeln lassen. Nach dem Schmalkaldischen Krieg greift Heinrich (folgerichtig) auf der Seite der Protestanten in das Geschehen im Reich Karls ein. Nachdem Karl 1555 abgedankt hat (ein einmaliger Vorgang), erfolgt durch seinen Sohn Philipp II. 1557 eine weitere Runde in diesem Kampf der verfeindeten Herrscherhäuser.
Sultan Suleiman der Prächtige
Ungefähr zu der Zeit, als Karl zu seiner Krönung in Aachen weilte, bestieg in Konstantinopel der hochgebildete und kluge Sohn des Eroberers Selim den Thron des osmanischen Reiches. Karls spanische Großeltern hatten Spanien von den islamischen Besatzern zurückerobert (Reconquista), aber auf dem Balkan und in Nordafrika stellten die Streitkräfte Suleimans zu Wasser und zu Lande eine Bedrohung für Karls Reich dar. Während er die Auseinandersetzung zu Lande, auf dem Balkan, seinem Bruder Ferdinand überließ, inzwischen sein Statthalter in Deutschland, versuchte er seine Interessen im Mittelmeer durch die Eroberungen von Tunis (1535) und Algier (1541) zu schützen. Die Situation wurde brandgefährlich, als sein alter Feind Franz sich mit den Türken verbündete. Nur bei Tunis war Karl erfolgreich. Die Belagerung Algiers dagegen, die er bei ungünstigem Wetter im Herbst begonnen hatte, musste er unter hohen Verlusten abbrechen. Der Sultan und Franz I., die zeitweise sogar verbündet waren, banden seine Kräfte militärisch und finanziell so stark, dass Karl nicht dazu kam, das Wormser Edikt umzusetzen. Papst Paul III. machte das dem französischen König zum Vorwurf. Nach verschiedenen kriegerischen Auseinandersetzungen schlossen Karl und Suleiman 1547 einen Waffenstillstand für 5 Jahre. Karl fand sich mit der Vorherrschaft der Türken im östlichen Mittelmeer ab. Erst Don Juan de Austria, Karls unehelicher Sohn mit Barbara Blumberg, konnte 1572 diese Vormacht vorübergehend brechen.
Gewissenskonflikte um die Würde der „indischen“ Untertanen Karls
Die ständigen Kriege Karls verschlangen Unsummen von Geld. Das versuchte er durch Steuern aus seinen Herrschaftsgebieten Spanien, Italien und Deutschland herauszupressen. Für Spanien war dabei von großer Bedeutung, dass um 1500 spanische und portugiesische Seeleute einen neuen Kontinent entdeckt hatten:Amerika, das man aber für Indien hielt. Die Eroberer, allen voran Herman Cortez und Francisco Pizarro, brachten Schätze von Gold und Silber zurück nach Spanien. Ein großer Teil davon musste an den König abgetreten werden. Die Schätze sorgten dafür, dass Karl fast unbegrenzt Kredite erhielt. Vieles war allerdings den Ureinwohnern, zum Beispiel den Inkas in Peru, geraubt. Oder die Bodenschätze von Gold und Silber mussten von Eingeborenen oder aus Afrika eingeschleppten Sklaven in der Erde abgebaut werden. Als frommer Christ verband Karl die Eroberungen mit der Vorstellung, die Eingeborenen zum Christentum zu bekehren, und schickte deshalb Mönche als Missionare in die Karibik, nach Mexiko und Peru. Die Eroberer dagegen verachteten die Ureinwohner als sündige Götzenanbeter. Die christlichen Missionare wollten das nicht hinnehmen und intervenierten beim Kaiser und seiner Tante Margarete. Besonders der Dominikaner Bartolome de Las Casas war schon 1512 gegenüber Karls Großvater, Ferdinand von Aragon, als Anwalt der Indios in Erscheinung getreten.
Er konnte zwar erreichen, dass Karl in großer Gewissensnot Gesetze zum Schutz seiner Untertanen in Übersee erließ. Diese wurden aber nie durchgesetzt, weil Karl keine Truppen nach Übersee schickte und im Endeffekt auch nicht auf seine Geldquelle verzichten konnte oder wollte. So blieb 1540 auch der Befehl, alle Indios und afrikanischen Sklaven zu befreien, wirkungslos. Man kann dem Kaiser wohl abnehmen, dass auch diese Unentschiedenheit sein Gewissen belastet hat.
Wie konnte Karl dieses Reich regieren, in dem die Sonne nie unterging?
Das Herrschaftsgebiet Karls war durch Erbschaften immens angewachsen: Er war Herzog von Burgund, König von Aragon und Katalonien, König und seit der Krönung in Bologna 1530 auch Kaiser im deutschen Reich, König von Ungarn, um nur die wichtigsten Titel zu nennen. Zu verhindern, dass dieses Gebilde zerfiel, war eine der schwierigsten Aufgaben, aber auch größten Sorgen Karls. Die riesigen Entfernungen der einzelnen Gebiete hat der Historiker Ferdinand Braudel 1949 als „Staatsfeind Nr. 1“ beschrieben.
Des Kaisers wichtigste Stütze war in dieser Situation seine weit verzweigte Familie, die er als Statthalter*innen überall einsetzte. In den Niederlanden war es zunächst seine Tante Margarete, später seine Schwester Maria. In Spanien überließ er seiner Frau Isabella, der Tochter des Königs von Portugal, die Regentschaft. Nach ihrem Tod 1540 übertrug er seinem Sohn Philipp II. dieses Amt. Im deutschen Reich war bei Abwesenheit Karls sein Bruder Ferdinand Statthalter, den er schon 1531 zum König im deutschen Reich krönen ließ. Damit alle diese Regenten ihr Amt auch im Sinne Karls ausüben konnten, führte er einen regen Briefwechsel mit ihnen. Ein Großteil davon ist erhalten, sodass wir über die Ereignisse der Zeit recht gut informiert sind. Allerdings muss man bedenken, dass die Briefe oft Monate brauchten, um den Empfänger zu erreichen. So erfuhr Karl, der damals in Barcelona weilte, im Jahre 1519 erst 17 Tage später von seiner Wahl in Frankfurt. Nach Amerika waren die Zeitspannen noch viel länger. Dass in dem Riesenreich Kommunikation überhaupt möglich war, war eine Entwicklung der jüngsten Vergangenheit. Karls Vater hatte 1505 Franz von Taxis zum Postmeister ernannt. In den 1530er Jahren gab es schon Poststationen der Familie Taxis in vielen Städten Europas. Postmeister begleiteten den Kaiser, um Briefe sofort befördern zu können. Karl hat sich allerdings immer wieder über die Schwierigkeiten der Kommunikation beklagt, weil Briefe so lange brauchten, manchmal auch abgefangen, ihm gelegentlich auch von seinen Ministern vorenthalten wurden.
Abschied von der Macht: Abdankung
War Karl früher mit seiner ritterlichen Erscheinung seinen Truppenstolz voran geritten, so plagte ihn seit Jahren die Gicht (schon 1535 vor Tunis). Er konnte später auch zeitweise nicht mehr reiten, sondern musste in einer Sänfte getragen werden. Wegen seiner ungesunden Lebensführung war Karl in späteren Jahren oft krank oder gar ans Bett gebunden. Er war sich bewusst, dass er für seine Nachfolge in dem Reich sorgen musste, „in dem die Sonne nie unterging“.
Nachdem er aber empfand, in seiner Christenpflicht in Deutschland (Einheit im Glauben) und in Spanien (gegenüber den Indios) versagt zu haben, fasste Karl einen unerhörten, aber keineswegs unvorbereiteten Entschluss: Er dankte als Kaiser ab.
In Brüssel versammelte er den niederländischen Adel und benannte seinen Sohn Philipp als seinen Nachfolger Spanien und in den Niederlanden, während sein Bruder Ferdinand, der ja schon lange König im Reich war, ihm als Kaiser nachfolgen sollte. Weil über Letzteres die Kurfürsten zu befinden hatten, wurde Philipp erst 1558, ein halbes Jahr vor Karls Tod als „erwählter Kaiser“ anerkannt. Die bemerkenswerte Rede zur Abdankung Karls in Brüssel ist im Wortlaut überliefert.
„Vor 40 Jahren, am selben Ort, hat mich der Kaiser, mein Großvater, für volljährig erklärt. Dann wurde ich König von Spanien, dann selbst Kaiser… Große Hoffnungen hatte ich – nur wenige haben sich erfüllt, und nur wenige bleiben mir: und um den Preis welcher Mühen! … Meine Kräfte reichen einfach nicht mehr hin. Vertraut meinem Sohn, wie er euch vertraut, seid einig, übt stets Gerechtigkeit und lasst den Unglauben nicht in eure Reihen.“
Ehe Karl seinen Wunsch verwirklichen konnte, in Ruhe und Frieden in der spanischen Heimat seiner Vorfahren auf den Tod zu warten, sollte aber noch ein halbes Jahr vergehen.
Im Sommer 1556 brach er zu seiner letzten Reise auf und erreichte mehr als ein Jahr nach der Abdankung seine neue Bleibe: das Kloster Youste in der Exterema-dura.
Wenn er sich auch weiterhin gut informieren ließ und viele Briefe schrieb, wollte er hauptsächlich in Ruhe gelassen werden. Die Nachricht allerdings, dass in Spanien Luther-Anhänger verhaftet wurden, hat ihn tief erschüttert und dazu veranlasst, eine unnachgiebige Verfolgung für sie zu fordern, die er selbst – so seine späte Einsicht – damals nach Worms versäumt hatte. Am 21. September 1558 starb Karl in Yuste in Folge einer Malaria-Infektion und wurde in der Krypta des Klosters begraben. 1574 ließ sein Sohn Philipp II. den Leichnam nach Madrid bringen und im Pantheon der spanischen Könige beisetzen.