Kein Friseurbesuch im Lockdown – oder: Was wilde Mähnen mit dem Geist Gottes zu tun haben

Dr. Martin Fricke
von Dr. Martin Fricke
Synodalassessor, Pfarrer
Foto: Thomas Götz

Eines der wunderbaren Rätsel in der Heiligen Schrift, das ich seit langem zu ergründen suche, ist das von Simsons Stärke. Sie wissen schon: jener Simson (oder Samson), von dem das Erste Testament erzählt. Er lebte zur Zeit der Richter und war unbezwingbar – solange man sein Haupthaar nicht antastete. Denn solange ruhte der Geist des Ewigen auf ihm.

Nie war die Gelegenheit günstiger als jetzt: Seit Wochen, seit mein Friseur seine Türen nicht mehr für mich öffnen darf, sprießen die Haare auf meinem Kopf, und ich vermag meine Mähne kaum noch zu bändigen. Sollte dies der Moment sein, hinter das Geheimnis von Simsons Unbesiegbarkeit zu kommen? Oder wenigstens das Wirken des himmlischen Geistes zu entschlüsseln? Das wäre wahrhaftig ein kairos

Simsons Geschichte ist nachzulesen im Buch der Richter, Kapitel 13 bis 16. Schon seine Geburt war eigentlich ein Wunder. Denn seine Mutter konnte keine Kinder bekommen. Aber das ist ja keineswegs unüblich in der Geschichte des Ewigen mit uns Menschenkindern. Von Isaak zum Beispiel, dem Sohn Saras und Abrahams, wird ähnliches berichtet.

Simsons Mutter wird geweissagt, ihr Sohn werde ein Nasiräer sein. Im alten Israel waren die Nasiräer Männer, die vor dem Ewigen einen besonderen Treueeid ablegten. Unter anderem verzichteten sie auf den Genuss alkoholischer Getränke, Weintrauben und Rosinen. Und sie schnitten sich weder die Haare, noch stutzen sie sich den Bart. Simsons Haarschopf muss beeindruckend gewesen sein…

Was sein Gelübde angeht, hat Simson in seinem Leben des Öfteren mit dem Feuer gespielt. Beispielsweise hatte er keine Scheu, sich in Weinbergen aufzuhalten. Und im Kontakt mit dem anderen Geschlecht war er, vorsichtig gesagt, etwas leichtsinnig. Aber dazu später…

Simsons Familie gehörte zum israelitischen Stamm Dan. Für die Israeliten war er ein Freiheitsheld. Denn er kämpfte gegen die Philister, die das Land beherrschten. Seine Stärke wurde legendär. Einen Löwen soll er mit bloßen Händen bezwungen haben.

Simson scheint unbesiegbar gewesen zu sein. Aber dann wird er doch schwach: Nach mehreren amourösen Abenteuern verliebt er sich unsterblich in eine gewisse Delila. Diese Liebe muss allerdings ziemlich einseitig gewesen sein. Delila jedenfalls hat keine guten Absichten. Von den Anführern der Philister, die Simsons Stärke brechen wollen, bestochen, versucht sie, Simson zu überlisten. Zunächst vergeblich: Weder frische Bastseile noch neue, unbenutzte Stricke setzen ihn außer Gefecht. Selbst als die Feinde seine Locken mit Fäden eines Webstuhls flechten und an einen Pflock binden, kann er sich befreien. Doch schließlich entlockt Delila Simson das Geheimnis seiner Kraft: Die ist nur so lange wirksam, solange Simson „kein Schermesser auf´s Haupt“ kommt. Und sie verrät das Geheimnis an die Philister…

So gelingt es den Feinden schließlich, Simson zu besiegen: Während er in Delilas Bett schläft, schneiden sie ihm die Haare. Wehrlos geworden, wird er gefangengenommen, geblendet und muss im Gefängnis den Mühlstein drehen. Doch Simsons Haare wachsen nach, noch einmal erwacht seine alte Stärke: Er bringt die Säulen des Hauses zu Fall, in dem die Anführer der Philister feiern, und reißt sie mit sich in den Tod.

Kein happy end also. Eine traurige Geschichte vielmehr, die in einer Katstrophe endet. Und ich beginne in Erwägung zu ziehen, den Friseurbesuch auch nach dem Lockdown noch ein wenig aufzuschieben.

Aber die Rabbinen des Talmud belehren mich, dass ich mit meinem magischen Verständnis der Kraft von Haarschöpfen auf dem Holzweg bin. Denn Simsons Mähne ist nur Ausdruck, nur Zeichen des Geistes des Ewigen, nicht seine Präsenz selbst! Im Kern der Geschichte geht es darum, dass Simson, indem er sich und seine Ideale blindlings einem Menschen mit unguten Absichten ausliefert, sein Gelübde auf´s Spiel setzt. In dem Moment, da er das tut, geht ihm seine körperliche und seine spirituelle Kraft verloren – der Geist des Ewigen ruht nicht länger auf ihm! Die Dramaturgie der Geschichte steuert auf genau diesen Moment hin: Äußerlichkeiten wie starke Stricke und hairstylistische Gewaltakte haben mit der göttlichen Geisteskraft nichts zu tun. Aber als das Zeichen seines Gelübdes fällt, wird sichtbar, dass Simson längst verraten hat, wem sein Leben bestimmt war.

Ich lerne, dass ich auf eine populäre, aber oberflächliche Weise, biblische Geschichten zu verstehen, hereingefallen bin. So sehr mir meine „Frisur“ mittlerweile auf die Nerven geht – sie wird mein Leben weder zum Guten noch zum Schlechten wenden. Nicht einmal in Liebesdingen. Woran ich mein Herz hänge, aber schon!

Und ich nehme mir vor, mit meinem Friseur, dem ich mich gerne ausliefere und mit dem man, während er mit Schere und Messer hantiert, herrlich plaudern kann, über Simsons Geschichte in´s Gespräch zu kommen. Wenn ich ihn wieder aufsuchen darf… Seien Sie behütet!

2 Kommentare

  1. Wo der Autor Recht hat, da hat er Recht!
    da capo!

  2. War schon als Kind von dieser Story mehr als begeistert, erinnere mich, dass ich Simson in meiner Kinderbibel feuerrote Haare gemal habe….
    Doch weiß sich inzwischen, dass Körperkraft weder mit einer langen Mähne, noch mit einer großen Nase zu tun hat… daher gehe auch ich nach dem 14.2 getrost wieder in den Barber-Shop, meine Frau wird es mir danken…..

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