Zum 250. Geburtstag Friedrich Hölderlins.
Einige große deutsche Europäer mit Weltruhm feiern in diesem Jahr ihren 250. Geburtstag. Beethoven, Hegel und eben auch Friedrich Hölderlin.
Johann Christian Friedrich Hölderlin (so viel Zeit muss sein, 1770-1843) gilt seinen Lesern gemeinhin als einer der ganz großen deutschen Schriftsteller. Ob er deswegen zum Beispiel auch im Deutschunterricht gelesen wird, ist eine ganz andere Frage. Jedenfalls gebührt ihm neben einem Platz in der Literaturgeschichte auf jeden Fall auch ein solcher in der Philosophie- und Theologiegeschichte.
Theologie- und Kirchengeschichte schreibt er weniger durch Schriften oder Predigten. Aber seine Haltung und sein entsprechendes Schicksal gehören auf jeden Fall in jede Einführung zum Verhältnis von Glaube und Institution. Wir kommen darauf zurück.
Und inwiefern gebührt ihm ein Platz in der Philosophiegeschichte? Manche würden sagen: Na ja, Hyperion ist schon ein philosophischer Roman. Der Held wird getrieben von einer Philosophie der Freiheit, auch wenn er letztlich ein wenig zaudernd auftritt. Aber es gibt eine biographische Konstellation, über die man nicht hinwegschauen kann, und die Hölderlin wirklich für eine Zeit ins Zentrum des philosophischen Geschehens rückt. Er ist einer der „Tübinger Drei“. Während seiner Studienzeit im Tübinger Stift bewohnt er eine gemeinsame Stube mit Schelling und Hegel. Gemeinsam ist den Dreien eine Begeisterung für die Philosophie der Aufklärung einerseits, und ein Engagement für die Gedanken der französischen Revolution andererseits.
Vor allem Letzteres muss er gegenüber der strenggläubigen Mutter verheimlichen. Womit wir quasi schon im Zentrum seiner kirchengeschichtlichen Bedeutung angelangt sind. Hölderlin ist einer jener jungen hochbegabten Denker, die aufgrund ihrer schwachen wirtschaftlichen Situation auf ein Stipendium des Herzogs für das Tübinger Stift angewiesen sind (ab 1. Okt. 1788). Dieses verpflichtet dann allerdings zum Einschlagen der kirchlichen Laufbahn. Der Gedanke, den Sohn als Pfarrer zu sehen, entspricht völlig den Sehnsüchten der Mutter. Und es ist natürlich im Sinne des Herzogs, die geistige Elite in das konservative Bildungssystem einzubinden.
Nur Hölderlin kann sich mit diesem Gedanken nicht anfreunden. Er rebelliert gegen die familiären Pläne und auch gegen das allzu enge Bündnis von Kirche und Staat. Statt Pfarrer wird er Hauslehrer, zunächst 1793/94 bei Charlotte von Kalb in Waltershausen. Ab 1794 besucht er die Universität Jena, um dort Johann Gottlieb Fichte zu hören. In dieser Zeit in der Hauptstadt der Philosophie, dem Saale-Athen, das eben 1794 durch Fichtes Wissenschaftslehre zum Geburtsort des deutschen Idealismus wird, lernt er zugleich Goethe kennen und auch – für ihn noch wichtiger – sein Idol Friedrich Schiller. Die Lektüre Spinoza prägt ihn. Und die Lektüre Kants, vor allem dessen Einsicht, dass jedwede Form des Wahrnehmens und Erkennens produktiv ist, und mithin die Einbildungskraft eine Brücke zwischen Dichtung und Philosophie bildet.
1796 tut er dann einen Schritt, der sein Leben verändern sollte. Wiederrum wird er Hauslehrer, dieses Mal bei einem Frankfurter Bankier. Dessen Ehefrau Susette sollte die Liebe seines Lebens werden. Ein Segen. Eine Katastrophe! Nachdem der Bankier von der Affäre erfährt, geht es mit Hölderlin bergab. Im Grunde genommen lebt er ein Leben auf der Flucht. Tragischer Höhepunkt ist der geistige Zusammenbruch, der dazu führt dass Hölderlin die zweite Hälfte des Lebens in einem Turmzimmer verbringt. Wir hören von Hypochondrie, von Raserey und davon, dass „sein Reden, das halb deutsch, halb griechisch halb Lateinisch (!) zu lauten scheinet“ nicht mehr verständlich ist.
Und dann eignet sich ein typischer Fall von Glück im Unglück: ein liebevoller Schreinermeister, begeisterter Leser des Hyperion, besucht Hölderlin in der Klinik. Da sich dessen Zustand dort offensichtlich nicht verbessert, bittet er den geistig Verwirrten im eigenen Hause pflegen zu dürfen und erspart ihm somit die Grausamkeiten einer dauerhaften Unterbringung in einer der entsprechenden Anstalten mitsamt der damals hoch modernen Ledermaske, die lediglich Schlitze für Augen und Nase enthielt, während der Mund durch ein Polster verschlossen war.
Rüdiger Safranski hat seiner frisch erschienenen Hölderlin-Biografie ein Zitat als Untertitel gegeben „Komm! ins Offene, Freund!“ Damit hebt er völlig zu Recht das Motiv der Offenheit hervor. Wie oft redet Hölderlin von der Offenheit: die offene Landschaft, das offene Leben, etc. Und doch bricht Hölderlins Welt zusammen. Für die zweite Lebenshälfte verliert er alle Weltläufigkeit. Sein Lebensraum wird denkbar eng: der Vordenker der Freiheit für die Hälfte des Lebens eingesperrt. 36 Jahre von 1807 bis 1843, verbringt er bis auf kurze Ausflüge mit Besuchern praktisch in einem einzigen Raum: im Turmzimmer des Tischlers Ernst Zimmer.
Aber bricht mit seiner Freiheit auch seine Sprache zusammen? Mitnichten. Einige seiner schönsten Texte sind eben nach 1806/1807 verfasst. Dabei findet er vor allem in seinem kleinen Lebensraum zu einer kleinen literarischen Form. Nach den großen Oden und Hymnen der frühen Zeit sind nun Aphorismen seine schönste Gattung. In vier Zeilen bringt er seine Sicht der Welt zu Papier. Zuweilen spürt man in diesen kleinen Texten etwas von der Verzweiflung eines großen Denkers:
Das Angenehme dieser Welt…
Das Angenehme dieser Welt hab‘ ich genossen,
Die Jugendstunden sind, wie lang! wie lang! verflossen,
April und Mai und Julius sind ferne,
Ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne!
Zuweilen aber finden wir auch eine positive Bilanz eines Lebens. Immer noch ausgestreckt nach dem Guten, nach den Werten, nach den Wegen, die weiterführen:
Der Mensch
Wer Gutes ehrt, er macht sich keinen Schaden,
Er hält sich hoch, er lebt den Menschen nicht vergebens,
Er kennt den Werth, den Nuzzen solchen Lebens,
Er traut dem Bessern sich, er geht auf Segenspfaden.
Und letztlich bleibt ein Einstimmen in eine große Erkenntnis. Die Verschiedenheit der Menschenleben, die je spezifische Begrenztheit der Lebenswege, sie alle münden in eine Hoffnung. In jene Hoffnung, dass unser begrenzter Blick noch nicht das Ganze sieht, und das doch eben jenes Ganze auf uns wartet:
Die Linien des Lebens…
Die Linien des Lebens sind verschieden,
Wie Wege sind, und wie der Berge Gränzen.
Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen
Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden.
Vielleicht brauchte es erst das Virus, damit ich endlich Zeit finde für die länger aufgeschobene HYPERION-Lektüre, Hölderlins einzigem Roman.
Verpflichtet dazu bin ich allein schon aus landsmannschaftlichen Gründen, wenige km von seinem Geburtsort Lauffen aufgewachsen. Und da begegnete er mir ständig in der Schule und jetzt immer noch, wenn sich Redner oder Aufsatzschreiber gerne mal mit einem Hölderlin-Zitat schmücken.
Ja „schmücken“, damit sind wir schon im Kern seines Dichtens, die der Ästhetik gewidmet ist, in der Durchführung wie auch programmatisch.
„Hyperion“, kein Roman im modernen Sinn, die handelnden Personen besitzen keine konkreten Konturen. In welcher Zeit leben sie? Wie sehen sie aus? Kaum zu beantworten. Wo sie leben ist klar, in Griechenland, aber in welchem? Ihre Gedanken und Gefühle haben etwas zeitloses, sehr philosophisches.
„Oh ihr, die ihr das Höchste und Beste sucht, in der Tiefe des Wissens, im Getümmel des Handelns, im Dunkel der Vergangenheit … wißt ihr seinen Nahmen , den Nahmen deß, das Eins ist und Alles? Sein Nahme ist Schönheit“.(657)
In dieser Äußerung Hyperions steckt schon die Programmatik: nicht Wissenschaft und Philosophie, nicht soziales und politisches Handeln, nicht Geschichte gewährt dem Menschen Erfüllung. Auch nicht die Religion. Woher kommt die „Trefflichkeit des Athenervolkes“ ? „Athens Kunst und Religion, und Philosophie und Staatsform, sagt ich, sind Blüthen und Früchte des Baums, nicht Boden und Wurzel“ (681).
Wurzel von allem ist die Natur. In der Natur erscheint das „Göttliche Feuer“, an dem sich der menschliche Geist entzündet. „Das Gelungenste, Göttlichschönste in der Natur! Dahin führen alle Stuffen auf der Schwelle des Lebens. Daher kommen wir, dahin gehen wir“ (660). Die Naturerfahrung füllt alle sonstigen Mängel aus, mit ihr eins zu werden schafft den Himmel auf Erden.
Krieg, Leiden, Tod ernüchtern Hyperions Begeisterung, aber sie löschen seinen Traum vom Einssein mit allem, was lebt nicht aus. „Wie der Zwist der Liebenden, sind die Dissonanzen der Welt. Versöhnung ist mitten im Streit und alles Getrennte findet sich wieder“ (760), endet Hyperion.
Staunend stehe ich vor diesem Traum, kann man ihn widerlegen? Denkende die das versuchen, sind für Hölderlin Bettler. Aber wie kann man diesem Traum leben? Für Hyperion war das „unter den Deutschen“ nicht möglich. Sie sind Handwerker, beherrscht von der instrumentellen Vernunft.
Mit Hyperion beschreibt Hölderlin sich selbst, er der nach allem, was wir aus seiner Biographie wissen, nicht lebensfähig war. Weil er diesen Traum hatte? Oder führte die Lebensunfähigkeit zum Traum?
Ich bin begeistert von der sprachlichen Kraft des Hyperion, insbesondere in den Naturbegegnungen. Sein hymnischer Ton kann verstören, auch der naive Rückgriff auf griechische Mythologie. Aber die Sehnsucht nach gelingendem Leben bewegt uns heute genauso wie ihn.
Für das Jubiläumsjahr Hölderlins sind zwei Bücher erschienen.
Rüdiger Safranski, Hölderlin. Komm! Ins Offene, Freund!
Karl-Heinz Ott, Hölderlins Geister.
Safranski finde ich etwas trocken, aber als Biographie natürlich ausführlicher als Ott, der mehr an der Wirkungsgeschichte orientiert ist. Bei beiden kommt gut der philosophische Hintergrund zur Sprache, die Entstehung der neuzeitlichen Subjektivität in der Spannung zwischen Mythos und Logos, zwischen Ästhetik und Politik. Das Systemfragment, das Hölderlin gemeinsam mit Schelling und Hegel verfasste, wäre auch für heute eine gute Diskussionsgrundlage.
Die Fragen, wieviel Mythos brauchen wir, wie viel steckt auch in heutigen Rationalitäten, ist die Ästhetik der bessere Weg als die Reflexion, ist der Hiatus zwischen Sein und Bewußtsein heilbar, kann man Religion nur noch ästhetisch vermitteln,
alle diese Fragen der damaligen „Sattelzeit“ sind auch für uns nicht veraltet.
Noch eine Bemerkung zu Safranski und Ott. Nach Ott hat man eigentlich keine Lust mehr Hölderlin zu lesen. Schade.
Sein süffig geschriebenes Buch (ganz von heute her geschrieben) kann sich am göttlichen Feuer nicht mehr erwärmen. Das geht f. Safranski. Ott betätigt sich da eher als Feuerlöscher.
(Hölderlin Zitate nach F. Hölderlin, Sämtliche Werke und Briefe Bd. 1, hg. M. Knaupp, München 1992.)
Mit diesem Kalauer zum Schluß Grüße an alle !