Im Jahr des 5oo-jährigen Jubiläums von Luthers zugegebenermaßen nicht ganz einfachen Hauptschriften bin ich zuweilen gefragt worden: Gibt es bei Luther auch eine ganz einfache Theologie? Zum Beispiel zu Weihnachten?
Weihnachten ist das Fest im Kirchenjahr, das mit besonders viel Brauchtum ausgestattet, mancher wird sagen, überlagert ist. Kein Fest des Kirchenjahres ist einer solchen Gefahr ausgesetzt, missverstanden zu werden und oberflächlichen Bedürfnissen und Zugriffen ausgesetzt zu sein. Interessanterweise beginnt diese Geschichte der Banalisierung des Festes nicht mit dem Coca-Cola Weihnachtsmann, sondern ist eben schon in der Reformationszeit ein Thema. Wie verhält sich Luther zum Brauchtum? Wie verhält er sich zu Weihnachtsgeschenken?
Gewagt sei die These, dass Luthers Theologie vor allem Weihnachtstheologie ist. Allerdings in einem durchaus anderen Sinne als verkitschte Abbildungen vor allem des 19. Jahrhunderts es darstellen, die Luther in eine rein private und familiäre Ecke drängen. Sein Denken ist fokussiert auf seine Christologie. Und seine Wahrnehmung Christi akzentuiert eben die Menschwerdung Gottes: „Wir fassen keinen anderen Gott als den, der in jenem Menschen ist, der vom Himmel kam. Ich fange bei der Krippe an.“ Diese Konzentration könnte nun auf verschiedenen Ebenen dargestellt werden. Anhand der Predigten Luthers, anhand einzelner Auslegungen biblischer Texte, anhand seiner Lieder etc. Wir beginnen mit einem Blick auf das Brauchtum.
Entgegen anders lautender Gerüchte ist Luther durchaus ein feierfreudiger Mensch. Und obwohl Geburtstagsfeiern oder Feiern anläßlich des Namenstages in der frühen Neuzeit durchaus noch unüblich sind, nutzt Luther den Martinstag zum fröhlichen Umtrunk mit geladenen Gästen. Der Martinstag ist natürlich ein perfekter Anlass: es ist der Tag seiner Taufe und der Tag seines Namensgebers. Und: die Ernte ist eingebracht und der Viehbestand muss zu Winteranfang stark verkleinert werden, weil das Frischfutter fehlt. Und am nächsten Tag beginnt lange Zeit das, was wir uns heute überhaupt nicht mehr vorstellen können: die siebenwöchige Fastenzeit vor Weihnachten. (Womit nebenbei auch deutlich wird, warum der 11. November etwas mit Karneval zu tun hat.)
Andererseits ist der Reformator sehr kritisch gegenüber einem bestimmten Brauchtum. Die Verehrung des Heiligen Nikolaus, Bischof von Myra, gestorben an einem 6. Dezember des 4. Jh.s, wurde 972 von der byzantinische Prinzessin Theophano mit nach Deutschland gebracht als sie Otto II. heiratete. Nikolaus wurde bald der Hausheilige der Ottonen und stieg irgendwann sogar in den Kreis der 14 Nothelfer auf. Seit dem 11. Jh. sind in Europa Schülerprozessionen zu Ehren des heiligen Nikolaus belegt, inklusive Heischegängen. Auch Luther kannte den Nikolaus. In einer Predigt am 6. Dez 1527 äußert er sich sehr scharf und missbilligend hinsichtlich der Nikolausverehrung, denn die Legende enthalte „viel kyndisch Ding und sogar Lügen.“
Hintergrund ist selbstredend seine Kritik an der Heiligenverehrung, die soweit ging, den Nikolaus zum Bringer der Weihnachtsgaben zu erklären. (Vgl. die Weihnachtszeit in den Niederlanden). Zentrum der christlichen Verehrung sollte aber für Luther allein Christus sein. So kommt er dann irgendwann auf den Gedanken, den Nikolaus als Gabenbringer durch das Christkind zu ersetzen. Also: der Weihnachtsmann ist eine Erfindung des 19. Jh.s, das Mittelalter kennt die Heiligen als Gabenbringer, Luther ersetzt diese durch Christus.
Nicht nur so sorgt Luther dafür, dass Weihnachten ein Familienfest wird. (Die Weihnachtskrippe geht übrigens wohl auf das Jahr 1223 und den heiligen Franz von Assisi zurück).
Kein Wunder also, dass der Reformator eine seiner beliebtesten Predigtformen für den Hausgebrauch gerade auch für Advent und Weihnachten zubereitet. Ein kurzer Blick auf betreffende Lieder: das erste Lutherlied unseres Gesangbuchs findet sich unter EG 4: Nun kommt der Heiden Heiland. Eine Adaption eines Liedes aus dem 14./15. Jahrhundert eröffnet den Weihnachtsblock: EG 23 Gelobet seist du Jesu Christ, daß du Mensch geboren bist von einer Jungfrau, das ist wahr, des freuet sich der Engel Schar. Kyrieleis.
Neben der erwartbaren Betonung der Menschwerdung wird zugleich die für manche möglicherweise überraschende Marienfrömmigkeit Luthers sichtbar. Gerade auch in Düsseldorf ist aus schlecht informierten Kreisen immer wieder zu hören, die Protestanten hätten „ja mit Maria gar nichts zu tun“. Das Gegenteil ist richtig. Auch in EG 539 Christum wir sollen loben schon der reinen Magd Marien Sohn findet sich ein entsprechender Hinweis. Der klassische Beleg findet sich dann in einem Text, der gerade seinen 500. Geburtstag feiert: Luthers Auslegung des Magnificat (Lk 1, 46b-55, der Lobgesang der Maria) begonnen Ende 1520, zu Ende gebracht während der Zeit auf der Wartburg 1521. Maria erscheint hier als Inbegriff der evangelischen Frömmigkeit, weil sie nicht auf ihre eigenen Kräfte und Werke vertraut, sondern auf den gnädigen Gott. Für die Freunde des Frühneuhochdeutschen ausgewählte Spitzenformulierungen:
„Sie wil nit, dastu zu yhr kummist, sondern durch sie zu got.“
Glaube versteht Luther als demütiges Einstimmen in Gottes Heilshandeln und in den Lobgesang.
Nach der Begegnung mit dem Engel fordert Maria kein Gold, „kein Ehre, sondern geht hin und schafft ym haus wie vorher , milkt die kuhe, kocht, weschet schusel, keret…“
Ja: Luther hat hier durchaus ein Frauenbild, das voll ins frühe 16. Jh. passt und mit unserem schwer verträglich ist. Das aber ist nicht der entscheidende Punkt. Und nein: von Frauenfeindlichkeit zu reden, ist hier nicht angebracht. (Ein kleiner Blick über Luther hinaus auf eine grandiose Marienpredigt des Schweizer Reformators Zwinglis von 1522 belegt ähnliches.)
Luthers Faszination gilt dem Umstand, dass Christus „kam zu mir auf Erden von einer Jungfrau rein und zart“ (aus dem schönsten aller „Weihnachtslieder“, allerdings zurecht an anderer Stelle im Gesangbuch eingeordnet: EG 341 Nun freut euch lieben Christeng´mein.)
Luthers Faszination für die Menschwerdung Gottes drückt sich auch in einer wunderbaren Anekdote aus, die er selbst gerne erzählte.
Eines Tages – so Luther – sei der Teufel in eine Kirche geraten. Zufällig. Und das ausgerechnet als gerade Gottesdienst gefeiert wurde. Und was macht der Teufel? Er setzt sich still hin und hört zu.
Als man sang „et homo factus est“ („Gott ist Mensch geworden“, aus dem Credo des Ordinarium missae), und die Menschen einfach so dastanden und sangen, statt in die Knie zu gehen, kam der Teufel nach vorne und schlug dem Ersten, den er erreichte, aufs Maul (eine typisch drastische Luther-Formulierung). Schlug ihm also aufs Maul und brüllte ihn an: „Du grober Klotz und Schelm, schämst du dich nicht, dass du steif dastehst wie ein Stock? Unsereiner würde vor Freude in die Kniee gehen, wenn Gottes Sohn unser Bruder geworden wäre. Wir wüssten vor Freude nicht, wo wir bleiben sollten.“
Die ganze Weihnachtstheologie Luthers in einer Anekdote: während selbst der (für Luther durchaus reale) Teufel, das Wunder der Menschwerdung voller Neid anerkennt, nehmen die Christen diese Tat Gottes mehr oder weniger beiläufig zur Kenntnis…
Vielleicht finden Sie in den nächsten Tagen Gelegenheit, sich ein bisschen darüber zu wundern und zu freuen, dass Gott uns Menschen nahe gekommen ist und nahe kommen will.