Meine Lieblingsstelle

Dr Dietrich Knapp
von Dr Dietrich Knapp

Wie soll man eigentlich von dem Ewigen, dem ganz Anderen, von Gott sprechen? Kann man eigentlich etwas über ihn aussagen? Ist unsere Sprache dafür überhaupt geeignet? Im alten Israel hat man von Gott anthropomorph, also wie von einem Menschen gesprochen. Dabei scheute man auch nicht davor zurück, Aussagen über Gottes Innenleben, ja über seine Gefühle zu machen.

So ist zum Beispiel immer wieder die Rede von seinem Zorn und seiner Güte. Gott ist zornig, wenn er wahrnimmt, wie Menschen mit Menschen umgehen. Sie unterdrücken andere, übervorteilen sie, sie ziehen sie über den Tisch, und das auch noch ohne Gewissensbisse. Gott geht das Leid und das ganze Elend dieser Unterdrückten nahe, ja es zerreißt sein Herz. Sein Schmerz kennt keine Grenzen. Deswegen entbrennt sein Zorn über die Unterdrücker, die Verantwortlichen, die Täter. Es wäre recht und billig, würde er seinem Zorn freien Lauf lassen. Das hätte für all die, die anderen Menschen Gewalt antun, ganz fürchterliche Folgen.

Aber es gibt im Alten Testament genauso viele Aussagen, die Gottes Güte betonen. Auch hier wird von Gott wie von einem Menschen gesprochen. Gottes Zuneigung zu den Menschen ist groß. Er kann vom Menschen einfach nicht lassen. Er ist gleichsam vernarrt in ihn. Er will dessen Leben und nicht seinen Untergang. Der Mensch soll Zukunft haben. Er soll von Gott gesegnet sein, mit allem, was dazu gehört.

Gottes Zorn und Gottes Güte – zwei in Gott widerstrebende Kräfte? Wie verträgt sich das? Welche Kraft ist stärker, bekommt die Oberhand, setzt sich letztlich in Gott durch? Mit dieser tiefsinnigen Frage hat sich der Prophet Hosea, der im 8. Jahrhundert vor Christus in Israel aufgetreten ist, beschäftigt. Dabei hat er seine Worte als Rede Gottes an Israel formuliert: „Wie könnte ich dich preisgeben, Efraim, dich ausliefern, Israel? … Mein Herz ist in mir umgestürzt, mit Macht ist meine Reue entbrannt“ (11,8). Hosea hat im Namen Gottes viel an seinen Zeitgenossen zu kritisieren gehabt, vollkommen zu Recht. Im Einzelnen kann man das in dem biblischen Buch, das seinen Namen trägt, nachlesen. Eigentlich müsste Gott seinem Zorn freien Lauf lassen, mit allen Konsequenzen. Das wäre absolut angemessen.

Aber da kommt es – gewissermaßen in Gott – zu einer Auseinandersetzung, zu einem inneren Streit oder Kampf, letztlich zu einem Umsturz. Güte gegen Zorn. Gottes Herz (damals nicht Sitz der Gefühle, sondern des Verstandes) wendet sich gegen Gott in seinem Zorn. Gottes Reue entbrennt, ja lodert regelrecht auf. Und so entscheidet er um, ganz bewusst. Ein unerwarteter Willenswandel findet in Gott statt. Und diese Kraft ist stärker als sein Zorn, viel stärker. Seine unendliche Zuneigung, seine ewige Liebe setzt sich durch, auf ganzer Linie. Eigentlich ist das inkonsequent. Aber Gott will und kann von den Menschen in Israel nicht lassen. Er hängt an ihnen. Ein Umsturz in Gott – zugunsten der Menschen in Israel. Damit sie leben können, trotz aller Vergehen. Damit sie Zukunft haben, trotz allem, was sie angerichtet haben.

Mich fasziniert diese Stelle der Bibel immer wieder, ja sie ist meine Lieblingsstelle. Gott ringt, ja kämpft mit sich. Und dabei macht er es sich nicht leicht. Und in dieser schweren Auseinandersetzung siegt die Güte, die Zuneigung, die Liebe zum Menschen. Großartiger kann man nicht von Gott sprechen. Auch wenn es anthropomorphe Redeweise ist, auch wenn man auf diese Weise von Gott spricht, als wäre er ein Mensch. Ich bin sicher: Der Prophet Hosea hat vor knapp 2800 Jahren wirklich etwas vom Wesen Gottes verstanden.

Sie finden die Stadtakademie auch unter www.estadus.info

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