Paulus – der unbequeme Apostel (Teil 1)

Dr Dietrich Knapp
von Dr. Dietrich Knapp

„Das Urteil über Paulus ist strittig …“ – so schrieb einst der bekannte Göttinger Bibelwissenschaftler Hans Conzelmann in seinem Buch zur „Geschichte des Urchristentums“ (Göttingen 1976, S. 63). Und er erläuterte den pointierten Satz: „Den einen ist er der Denker, der das Christentum in den Stand setzte, zur Weltreligion zu werden; den anderen ist er der Verderber, der aus der schlichten, menschlichen Religion Jesu, aus dem Glauben an Gott als den Vater und aus der Ethik der Liebe ein kompliziertes theologisches System machte …“.

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Wer ist dieser Paulus? Was wissen wir über ihn? Wie ist sein Lebensweg verlaufen? Sein Geburtsjahr ist wie das vieler anderer historischer Persönlichkeiten unbekannt. Sein Geburtsort war Tarsus, das als bedeutendes Bildungszentrum galt. Über seine Ausbildung ist wenig bekannt. Ob die Aussage der Apostelgeschichte, er sei Schüler des berühmten Gamaliel I. in Jerusalem gewesen, zuverlässig ist, ist schwer zu beurteilen. Fest steht aber, dass er zu der bekannten Gruppierung der Pharisäer gehörte. Von Beruf war er Zeltmacher, genauer Leder- oder Textilarbeiter, also ein Handwerker oder kleiner Unternehmer. Das ist nicht ganz unwichtig, da seine großen Reisen durch die damals bekannte Welt nur möglich waren, weil er gewisse Geldsummen erwirtschaften konnte. Paulus betont, dass er den Gemeinden, in denen er sich aufhielt, bis auf eine Ausnahme finanziell nicht zur Last gefallen ist.

Über die Zeit vor seiner so genannten Berufung hat er einmal geschrieben (Phil 3, 5-6): „der ich am achten Tag beschnitten bin, aus dem Volk Israel, vom Stamm Benjamin, ein Hebräer von Hebräern, nach dem Gesetz ein Pharisäer, nach dem Eifer ein Verfolger der Gemeinde, nach der Gerechtigkeit, die das Gesetz fordert, untadelig gewesen.“ In seiner Frühzeit hat er also als engagierter Pharisäer von Syrien aus die so genannten Judenchristen, also diejenigen Juden, die sich zu Jesus von Nazareth hielten, verfolgt, wahrscheinlich, weil sie sich von den für die Juden absolut verbindlichen Vorschriften der Tora schon ein gutes Stück entfernt hatten.

Das für ihn einschneidende Erlebnis, die große Zäsur, die fundamentale Wende in seinem Leben war seine Berufung. Sie wird meist in das Jahr 32 datiert. Paulus selbst erwähnt sie an einigen Stellen in seinen Briefen, aber nur andeutungsweise, sehr vorsichtig und zurückhaltend. Hier würde man gern Genaueres wissen. Die Zurückhaltung muss man wohl so deuten, dass Paulus zum einen über diese zutiefst persönlichen Dinge nicht in aller Breite reden wollte. Religiöse Erlebnisse sind etwas fast Intimes, das man nicht bei jeder Gelegenheit herausposaunt. Dafür sind sie zu kostbar. Zum anderen ist es schwer, derartige Erlebnisse überhaupt in Sprache zu fassen. Wie soll man über das, was jenseits dieser Welt ist, über Transzendenz, über Gott, über den auferstandenen Jesus sprechen? Die menschliche Sprache kann die Wirklichkeit Gottes nur schwer erfassen.

An drei Stellen erzählt Paulus von seiner Vision des auferstandenen Jesus. So heißt es im Galaterbrief (1, 15f.): „Als es aber Gott wohlgefiel, der mich von meiner Mutter Leib an ausgesondert und durch seine Gnade berufen hat, dass er seinen Sohn offenbarte in mir“. Im 1. Korintherbrief ist die Vision in Frageform formuliert (9,1): „Bin ich nicht frei? Bin ich nicht ein Apostel? Habe ich nicht unsern Herrn Jesus gesehen?“ An einer anderen Stelle im 1. Korintherbrief zählt er in Anlehnung an eine sehr alte Tradition die Reihe der Osterzeugen auf, Petrus, die Zwölf, weitere fünfhundert Brüder, Jakobus sowie die Apostel. Im Anschluss daran schreibt er (15,8): „Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden.“ Diese Vision des Auferstandenen ist für ihn von allergrößter Bedeutung gewesen. Sie ist der Bezugspunkt für alles Weitere, sie ist die Ursache der großen Wende in seinem Leben. Der, der die Judenchristen verfolgte, wurde jetzt zu einem engagierten Anhänger des christlichen Glaubens, der seine ganze Energie in den Dienst dieser Sache stellte. Interessanterweise wusste Lukas in späterer Zeit in der Apostelgeschichte mehr als Paulus selbst zu berichten. Insofern ist seine Schilderung desselben Ereignisses als Legende zu betrachten (Apg. 9, 3-5): „Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst.“

Das nächste wichtige Datum im Leben des Paulus war das so genannte Apostelkonzil im Jahre 48 in Jerusalem. Paulus hatte zusammen mit einigen anderen in Syrien, besonders in Antiochia für den christlichen Glauben geworben. Das führte dazu, dass auch Nichtjuden in die christliche Gemeinde vor Ort aufgenommen wurden. Hier ergab sich nun ein Problem: War es erforderlich, dass diese so genannten Heidenchristen auch alle Gebote und Weisungen der Tora hielten, dass sie so lebten, wie es die Juden und in gleicher Weise die Judenchristen taten? Oder genügte es, wenn sie nur einige, die wichtigsten ethischen Vorschriften befolgten? Anders gefragt: Mussten sie zuerst Juden werden, um dann in einem zweiten Schritt Christen werden zu können? Wegen dieser Problematik trafen sich Paulus, Barnabas und Titus aus Antiochien in Syrien mit den führenden Judenchristen in Jerusalem, mit Petrus, Jakobus und Johannes. Paulus und Barnabas waren der Auffassung, dass Heidenchristen nicht alle Gebote der Tora erfüllen müssen. In Jerusalem fand man in Gesprächen zu einer gemeinsamen Lösung: Die Sichtweise des Paulus wurde von den Jerusalemern anerkannt. Wer Nichtjude war und Christ werden wollte, musste nicht erst Jude werden. Gleichwohl sollte es für Judenchristen weiterhin möglich sein, nach allen Regeln der Tora zu leben. Es gab also fortan zwei Typen des Christentums, in traditioneller Terminologie formuliert: den heidenchristlichen und den judenchristlichen. Um die Verbundenheit der Heidenchristen mit der Ursprungsgemeinde in Jerusalem deutlich werden zu lassen, wurde Paulus gebeten, in den zukünftigen Gemeinden in den Weiten des Römischen Reiches eine Kollekte für Jerusalem zu sammeln. (Fortsetzung am 04.02.21)

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Ein Kommentar

  1. Ingrid Philipps

    Ich finde die Einrichtung dieser Internetplattform sehr gut und bin jede Woche neugierig auf die neuen Beiträge.
    So bleibt in dieser schwierigen Zeit die Verbindung zur Stadtakademie weiterhin erhalten.
    Dank an alle Schreiber

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