Polizeiarbeit wie sonntags im „Tatort“?

Dirk Sauerborn, Kontaktbeamter für Muslimische Institutionen/ interkulturelle Angelegenheiten

Dirk Sauerborn, Fotorechte: Innenministerium NRW

Mein Gesprächspartner, Dirk Sauerborn, ist „Kontaktbeamter Muslimische Institutionen (KMI) – Ansprechpartner für interkulturelle Angelegenheiten im Polizeipräsidium Düsseldorf“, Polizeihauptkommissar und geht am 30.6.2022 den Ruhestand, hat aber bis dahin nur noch knapp 30 Arbeitstage, ansonsten dienstfrei, Urlaub und Resturlaub. Gerrens: Lieber Dirk. Als jemand, der Sonntagabends gerne auf seinen Cross-Trainer geht und dabei „Tatort“ schaut, erfahre ich viel über Polizeiarbeit. Polizisten treten paarweise auf, meist ein älterer Mann und eine jüngere, bildschöne Filmschauspielerin. Im Schießstand diskutieren sie, wer der Mörder war. Ihre Vorgesetzten liegen immer falsch, weil Vorgesetzte entweder dämlich sind oder korrupt oder über den kürzeren Draht zur korrupten Politik verfügen. Bei der wilden Verbrecherjagd, meist gegen 21,40 Uhr, gewinnen die Kommissare, weil sie über die flotteren Dienstfahrzeuge verfügen. Habe ich Deinen Arbeitsplatz damit korrekt beschrieben?

Foto: Dirk Sauerborn

Sauerborn: Der Faktencheck zu Frage 1: Bei näherer Betrachtung und genauem Hinschauen ist einiges richtig. Das mit dem älteren Mann stimmt, ich werde bald 62. Und, ja, Polizisten arbeiten meist im Team. Nicht alle. Ich nämlich nicht. Ich bin Beauftragter im Polizeipräsidium (PP) Düsseldorf, bin Kontaktbeamter. Aber ich bin kein Einzelkämpfer, sondern einer von knapp viertausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im PP Düsseldorf. Auch richtig: Es gibt junge, gut aussehende Polizistinnen und Polizisten. Wobei die Bewertung „gut aussehend“ natürlich sehr subjektiv ist. Auf dem Schießstand wird meist geschossen, die Handhabungssicherheit der Waffe ist ganz wichtig. Aber da wird auch diskutiert, und ja, es kann vorkommen, dass man in einer Trainings-Pause auch dienstliche Fälle bespricht. Vorgesetzte benötigen selten tiefere Fachkenntnis zu den Fällen – wichtig ist, dass Vorgesetzte gut führen können! Das tun die allermeisten! Und mein Vorgesetzter, Polizeipräsident Wesseler, verfügt tatsächlich über gute Kontakte zur Politik – was soll man von einem politischen Beamten wie ihm auch anderes erwarten? Und auch das will ich gerne bestätigen – am Ende des Tages, und das muss nicht um Punkt 21.40 Uhr sein, gewinnt meist die Polizei, das kann man an der Kriminalitätsstatistik ganz gut ablesen. Es kommt auch selten darauf an, wer das flottere Fahrzeug hat. Wichtig ist, richtig, sicher und zielführend zu steuern.

Foto: Dirk Sauerborn

Es kommt also immer auf die Perspektive und Wahrnehmung – und die Bewertung – an.  Und damit wären schon ein paar Kernelemente meiner Aufgaben beleuchtet. Nicht selten muss ich die Perspektive wechseln, mich in Menschen einfühlen, zuhören, um dann bewerten zu können, ob es ein „Fall“ für die Polizei ist oder nicht. Muss ich strafverfolgend tätig werden, wenn ich einen Hinweis bekomme? Kann ich helfend Brücken bauen in mein Netzwerk hinein, denn das ist das A und O eines Kontaktbeamten: Ein gut funktionierendes Netzwerk mit vielen Partnern in der Stadt. Ein Partner ist z. B. der Kreis der Düsseldorfer Muslime. Oder ein Pfarrer, der im evangelischen Kirchenkreis arbeitet, der ganz viel Ahnung von Religion und dem Islam im Besonderen hat – dass der gerne Tatort schaut, ist da eher nebensächlich.

Aber nun mal ganz konkret – womit habe ich viele Jahre meines 45jährigen Berufslebens verbracht? „Auf einen Tee mit dem Imam“, titelte mal die Frankfurter Allgemeine Zeitung vor einigen Jahren. Ja, das ist auch die Aufgabe eines Kontaktbeamten, rein in die Moschee, Schuhe aus, mit dem Imam einen Small-talk halten. Der Tee in der Moschee bringt es auf den Punkt: Die Arbeit der Kontaktbeamtin 8die gibt es in anderen Städten) oder des Kontaktbeamten ist eine aufsuchende Arbeit, raus aus dem Büro, rein ins Milieu, hin zu den Menschen, zu den 35 Moscheegemeinden und weiteren islamischen Institutionen, die in Düsseldorf beheimatet sind. Dazu kommen Behörden, Verbände, Vereine, die sich, zumindest partiell, mit dem Thema Islam beschäftigen. Und das sind nicht wenige in Düsseldorf. Ich betreue ein großes Netzwerk von Ansprechpartner*innen und Kooperationspartner*innen. Der KMI ist in Düsseldorf aber auch polizeiliche Ansprechperson für Personen mit Migrationsgeschichte, das klingt ein wenig bürokratisch …. Das folgt aus der Erkenntnis, dass die Themen Islam und Migration nicht zwangsläufig, aber doch häufig gemeinsame Schnittmengen haben. Der Bedarf bei der migrantisch geprägten Bevölkerung besteht, und es wird auch von dieser Seite eingefordert, einen Ansprechpartner zu haben, der ein offenes Ohr für polizeilich bezogene Fragen und Probleme hat.

Gerrens: Präventionsarbeit bei der Polizei kennen die meisten Menschen in der Form von: „Die Kriminalpolizei rät zu soliden Haustürschlössern. Machen Sie es den Dieben nicht so leicht“. Auch an einen polizeilichen Appell, nicht beim Fahrradschloss zu sparen, kann ich mich erinnern (hätte ich ihn doch befolgt). Eine unserer wenigen gemeinsamen Veranstaltungen widmete sich häuslicher Gewalt gegen Frauen. Zu meiner positiven Überraschung leistete sich das Düsseldorfer Polizeipräsidium eine ganze Stelle für eine Polizistin, die sich hauptberuflich der Prävention von häuslicher Gewalt widmete und das sehr gut machte. Kann man Deine Tätigkeit als Kontaktbeamter in ähnlicher Weise als Präventionsarbeit definieren? Welche und vor allem wessen Straftaten soll sie verhindern?

Sauerborn: Bezüglich des Fahrradschlosses: Der Trend geht eindeutig in Richtung Zweitschloss. Man muss es den Dieben schwer machen. Und sie beschäftigen. Das mögen sie nicht so gerne. Und immer! anketten. Was nutzt mir das Schloss für 150,– Euro, wenn es mit dem teuren Rad weg getragen wird ..  ?!

Ja, ganz klar, ich sehe meine Arbeit auch und nicht zuletzt im Bereich der Prävention angesiedelt. Es geht darum, gerade junge Menschen davor zu bewahren, sich zu radikalisieren, sich einfangen zu lassen von ideologisch verstrahlten Rattenfängern, die sie womöglich animieren, in Kriegsgebiete zu gehen und für die vermeintlich „gute Sache“ zu kämpfen – und zu sterben. Da arbeiten wir in Präventionsprojekten mit – beispielhaft sei da Wegweiser genannt. Wir haben auch an der Entwicklung von Programmen  mitgewirkt, wie z. B. das Programm „Starke Moscheegemeinden – starke Jugend“ in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung und Moscheegemeinden. 

Es ist wie mit den Schlössern am Radl: Man muss es den Rattenfängern schwer machen: Das schafft man mit resilienten Jugendlichen und jungen Heranwachsenden, die kritisch sind und nachfragen und nicht alles schlucken, was man ihnen vorsetzt,   

Gerrens: Als jemand in der der Erwachsenbildung, der sich schwerpunktmäßig mit dem interreligiösen Dialog beschäftigt, werde ich manchmal gefragt, ob ich eigentlich ein normaler evangelischer Pfarrer bin. Ich sage dann immer: Doch, bin ich, stinknormal sogar, nur dass ich etwas andere Aufgaben übernommen habe. Einige machen schwerpunktmäßig Religionsunterricht, andere Gefängnisseelsorge wieder andere Kirchenleitung. Ich habe mich spezialisiert, will aber nichts Besonderes sein. Wie ist das mit Dir? Einmal, nur einmal, habe ich Dich in Uniform gesehen und war ein wenig überrascht, dass Du eine besitzt, aber natürlich besitzt Du eine, ich besitze ja auch einen Talar. Wie ist das mit Dir, bist Du ein stinknormaler Polizist, empfindest Du Dich als solcher und wirst Du auch als solcher wahrgenommen?

Sauerborn: Ich bin einer von knapp 4000 Mitarbeiter*innen im Polizeipräsidium Düsseldorf. Spezialisiert wie viele andere auch.  Ausgestattet mit den gleichen Rechten und Pflichten wie alle anderen Polizist*innen. Allrounder gibt es auch, nicht wenige, das sind die Kolleg*innen im Wach- und Wechseldienst, die rund um die Uhr für Sicherheit sorgen. Auf die kann jeden Tag und jede Nacht alles Denkbare und Undenkbare zukommen – eine große Herausforderung. Bevor ich mich – immer wieder – spezialisiert habe, habe ich im Wach- und Wechseldienst gearbeitet. Das hat wirklich jeder Polizist  gemacht – oder macht es noch.

Als Gefahrgutexperte im Rahmen der Verkehrsüberwachung, lange her, habe ich zugegeben öfter die Uniform getragen. Heute trage ich sie anlassbezogen. Z. B. beim Opferfestgebet im Sportpark Niederheid, wo 2000 Gläubige   gemeinsam auf dem Fußballplatz gebetet haben.  Polizeiliche Präsenz vermittelt da Sicherheit, leider unverzichtbar in Zeiten hoher abstrakter Anschlagsgefahr. 

Gerrens: Als ich vor 18 Jahren nach Düsseldorf kam, warst Du schon lange Kontaktbeamter. Eine unserer frühen Begegnungen war eine Veranstaltung anlässlich des 10-jährigen Bestehens der Düsseldorfer Erklärung. Was war das noch, die Düsseldorfer Erklärung? Und kam danach nicht noch eine interreligiöse Erklärung der verschiedenen Moscheegemeinden und der jüdischen Gemeinde? Was war das noch?

Sauerborn: Mit der „Düsseldorfer Erklärung“ von 2007 haben sich die Düsseldorfer Muslime klar gegen Extremismus ausgesprochen und betont, dass sie fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Eine Selbstverständlichkeit, die eigentlich gar nicht betont werden müsste. Den Verfassern der Erklärung war es aber letztendlich wichtig, ein Signal an die Stadtgesellschaft zu senden, Dinge klar anzusprechen und zu unterstreichen. Dazu gehörte auch der deutliche Hinweis, Muslime nicht vorzuverurteilen, sie gleich allesamt in der Ecke des Terrorismus und Extremismus zu verorten – und da gab es auch ein deutliches Ausrufezeichen in Richtung der Medien.

2019 gab es dann eine gemeinsame Erklärung der Jüdischen Gemeinde und des Kreises der Düsseldorfer Muslime, abgedruckt in der Rheinischen Post, ganzseitig. Das war schon sehr beeindruckend. In der RP hieß es vor drei Jahren: “Der KDDM verurteilt in dieser Erklärung Antisemitismus und Judenfeindlichkeit, die jüdische Gemeinde versichert den muslimischen Mitbürgern im Kampf gegen antimuslimische Ressentiments und Islamfeindlichkeit ihre Unterstützung. Und gemeinsam wenden sie sich an die Christen in Düsseldorf und distanzieren sich von Christenfeindlichkeit und antichristlichen Vorurteilen in Europa, im Nahen Osten und anderswo“.

Gerrens: Beim zehnjährigen Jubiläum der Düsseldorfer Erklärung stand ich zufällig daneben, als jemand, den ich nicht kannte, Dir erzählte, die verschiedenen Moscheevereine hätten vor einigen Tagen eine Arbeitsgemeinschaft auf Vorstandsebene gegründet, die die Interessen vertreten und die wirtschaftliche und kulturelle Positionierung der Muslime und der Vorstände der Moscheevereine vornehmen solle, den Kreis der Düsseldorfer Muslime (KDDM). Wenn ich mich richtig erinnere, hast Du damals gesagt, was die Moscheevereine untereinander machten, sei ihre Sache, nicht Sache der Polizei, aber als Privatmensch hieltest Du das für den richtigen Schritt und würdest Dich sehr darüber freuen. Habe ich das richtig in Erinnerung? Siehst Du das rückblickend immer noch so?

Sauerborn: Ja, das sehe ich auch heute noch ganz genauso. Muslimisches Leben muss „entpoliziert“ werden, es sei denn, es gibt sicherheitsrelevante Aspekte wie den Schutz von Veranstaltungen oder die Entgegenahme sensibler Hinweise oder Prävention. Das ist dann Sache der Polizei oder anderer Institutionen, je nach dem.

Aber alle anderen Punkte, die das religiöse und gesellschaftliche Leben in der Stadt oder im Land betreffen, ist doch Sache der Muslime. Die Polizei muss aufpassen, durch ihre Präsenz in der muslimischen Community nicht zu stigmatisieren, d. h., die polizeiliche Präsenz muss – wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen – immer wohl dosiert und angemessen sein, 

Der Wissenschaftler Aladin El Mafaalani hat es auf den Punkt gebracht: Mittlerweile sitzen doch alle an einem Tisch, die Zeit der Katzentische ist längst vorbei! Das müssen nur endlich wirklich alle auch kapieren! Was auch notwendig ist, sind Unterstützungsleitungen, die die Stadt Düsseldorf mit der Finanzierung der Stelle „Kommunales Muslimisches Engagement“ (KME) entschieden und parteiübergreifend anbietet.

Gerrens: Seither hat sich sehr viel verändert. Wir hatten sogenannte „Patriotische Europäer zur Verteidigung des Abendlandes“ (PEGIDA), die „Düsseldorfer zur Verteidigung des Abendlandes“ (DÜGIDA), Rechtsextreme, die ihre Islamfeindschaft entdeckten und diverse Menschen aus der angeblichen Mitte der Gesellschaft, die Religionsfreiheit nur akzeptieren, solange sie nicht von Musliminnen und Muslimen in Anspruch genommen wird. Es gab die Terrorzelle der NSU und die Attentäter von Hanau. Der Antisemitismus blüht, auch unter Musliminnen und Muslimen. Der Anschlag eines Neo-Nazis auf die Synagoge von Halle ist unvergessen. War der Täter eigentlich Kirchenmitglied? Es gab das Attentat vom Breitscheidplatz, auf die Londoner U-Bahn, auf die Charlie-Hebdo-Karikaturisten oder in Bataclan. Wenn Du jetzt auf Deine Zeit als Kontaktbeamter zurückblickst: Hat sich die Großwetter in den letzten Jahren grundsätzlich geändert oder habe sich nur die Gewichte verschoben?

Sauerborn: Als ich bei der Polizei anfing, das war am 3.10.1977, erreichte der Terror der Roten Armee-Fraktion mit der „Offensive ’77“ im heißen Herbst ihren Höhepunkt. Am 5. September wurde Hanns-Martin-Schleyer  ermordet, am 13.10. die Landshut nach Mogadischu entführt. Auch Polizisten wurden ermordet.  Die wehrhafte Demokratie hat sich schlussendlich durchsetzen können.

Die Forschung hat darauf hingewiesen, dass die zentralen Motive für die Terroristen damals Orientierungslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Frustration und Resignation waren. Die Ideologie stand nicht an vorderster Stelle! Schaut man sich die Lebensläufe der Attentäter von Paris und  Hanau, Berlin und Halle an, sind eindeutig Parallelen zu erkennen: Auch hier waren drastische Brüche in den Biografien der Täter zu erkennen,  Chancenlosigkeit, Frustration etc.  Diese durch die biografischen Brüche Entwurzelten landen dann immer wieder (nicht immer und auch nicht zwangsläufig!) in den Fängen von Extremisten, ob nun dem linksextremistischen, rechtsextremistischen Spektrum oder dem religiös konnotierten Extremismus – wo man landet, ist zuweilen vom Zufall abhängig, auch da gibt es gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse. Die Extremisten vermitteln Nestwärme, Anerkennung, Wertschätzung und instrumentalisieren dann ihre „Schützlinge“ für ihre verbrecherischen Taten.  

Also: Die Großwetterlage hat sich nicht verändert, so sehe ich das, aber – um beim Wetter zu bleiben – die dunklen Wolken und schweren Gewitter haben sich verschoben. Und ich bin mir sicher: Wir werden weiter auch mit diesem Wandel leben müssen! Wir müssen dieser Perspektivlosigkeit gerade junger Menschen etwas entgegensetzen: Da ist in erster Linie die Gesellschaft gefragt, für Bildungschancen zu sorgen, Teilhabe zu garantieren und so weiter. Die Polizei muss dann nicht mehr ganz so viele Kastanien aus dem Feuer holen.    

Gerrens: Jetzt noch zum Mikroklima hier in Düsseldorf. Ich selbst habe Ärger mit Rechtsextremen gehabt, es blieb aber auf der verbalen Ebene. Ich bin einigen abgedrehten muslimischen Sektierern und Spinnern begegnet, doch gibt es die auf christlicher Seite auch. Es gab muslimische Gruppen, von denen ich mich ferngehalten habe, eine davon wurde inzwischen verboten. Es gab die Verhaftung zweier Bombenbastler in Düsseldorf, über die die Presse berichtet hat. Ich kannte sie nicht. Es gab Prozesse vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf, dessen Bezirk bis Kleve, Wuppertal oder Mönchengladbach reicht. Es gab eine Bombendrohung für den Weihnachtsgottesdienst einer orthodoxen Kirche. Bombenspezialisten durchsuchten die Kirche, der evangelische rheinische Präses und der Vorsitzende des Bundesverbandes deutsch-arabischer Vereine, ein Muslim, nahmen am orthodoxen Weihnachtsgottesdienst teil. Die Tagesschau berichtete. Zähle ich das alles zusammen, ist das einerseits eine Menge religiös motivierter Gewalt, auf der anderen Seite ist Düsseldorf eine große Stadt und seit dem Attentat von Wehrhahn (2000) ist es  meistens noch gut gegangen. Liegt es an meiner Perspektivverengung, dass alles so friedlich abläuft? Ich arbeite ja nicht bei der Polizei und die echten muslimischen Extremisten kommen wahrscheinlich nicht bevorzugt zum interreligiösen Dialog in ein „Haus der Kirche“ und ich lerne sie gar nicht erst kennen. Doch manchmal kommt es mir vor, als lebten wir in Düsseldorf auf einer Insel der Seligen? Das kann ja eigentlich nicht sein.

Sauerborn: Gibt es das überhaupt, Inseln der Glückseligkeit? Ich glaube nicht. Die Sachverhalte mit den Bedrohungen hast du ja bereits aufgelistet. Zum Glück ist der letzte große Anschlag Am Wehrhahn mit zahlreichen Opfern schon 21 Jahre her.  Bedrohungsszenarien blieben Szenarien, Gott sei Dank.  Und dank guter Ermittlungs- und Präventionsarbeit der Behörden. Dank guter Vernetzungsarbeit, kurzen Wegen. Dank aufmerksamer Bürgerinnen und Bürger, die Vertrauen in ihre Polizei haben. All das  macht die Sicherheitsarchitektur in einer Stadt aus: Sicherheit ist kein Rundumsorglos-Paket, frei Haus geliefert von Ihrer Polizei. Da müssen alle mitwirken. Das ist nicht selbstverständlich, bleibt fragil, muss stets gepflegt werden. Das Vertrauen ist schnell weg, der Wiederaufbau von Vertrauen kostet Zeit und bindet Ressourcen. Die Investition in eine den Bürgerinnen und Bürgern zugewandte Polizei ist unersetzlich. Du hast oben lobend erwähnt, dass sich die Polizei Düsseldorf eine ganze Stelle leistet, eine Polizistin, die sich hauptberuflich der Prävention von häuslicher Gewalt widmet. Ja, genau das: Investieren in die Sicherheit – bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist.  Und wenn es dann trotzdem zu Delikten, Straftaten, ja Verbrechen kommt: Dann ist professionelles, konsequentes und energisches Einschreiten gefragt! 

Gerrens: Zeitweise gerietest Du unter Beschuss einer rechten Bloqerin, von der mehrere andere abschrieben. Hast Du ein dickes Fell oder hättest Du zumindest gerne ein dickes Fell gehabt?

Sauerborn:  Der Polizeiberuf bringt es mit sich, dass man ein dickes Fell für bestimmte Dinge bekommt. Man muss sich auch der Kritik stellen; das gehört zu einem Rechtsstaat wie das Amen in der Kirche.  Manches perlt ab. Wenn es mal nicht abperlen sollte, gibt’s professionelle Hilfe; es gibt psychologische Unterstützung, soziale Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner – und last not least die Polizeiseelsorge.  

Himmelsleiter, Bildrechte Dirk Sauerborn

Gerrens: 2019 hast Du Bundesverdienstkreuz erhalten. Für mich hatte dieses Signal ein sehr viel größeres Gewicht als der Ärger zuvor. Ich fand, Du hattest es Dir verdient. Wie war das für Dich, eine emotionale Berg- und Talfahrt? Sauerborn: Ja, manchmal geht es hoch her, dann kommen wieder ruhigere Fahrwasser. Warum soll das im dienstlichen Leben anders sein als im privaten? Natürlich ist es angenehmer, im Schloss Bellevue anlässlich der Verleihung des Bundesverdienst- Ordens mit dem Bundespräsidenten zu plaudern – und dabei leckere Häppchen zu vertilgen, als sich gegen diverse Vorwürfe zu rechtfertigen. Aber wie gesagt – auch das gehört dazu, ist Teil des Jobs.

Fotorechte Dirk Sauerborn

Gerrens: Einmal hast Du mir aus Jux ein Foto vom Chor der evangelischen Polizeiseelsorge geschickt, in dem Du mitgesungen hast. Damals dachte ich, Du wärst evangelisch. Danach bin ich Dir zufällig auf der Mitgliederversammlung der Christlich-Islamischen Gesellschaft begegnet und habe Dich zum stellvertretenden Ersatzkassenprüfer gewählt, wahrscheinlich nicht der Top Vorstandsposten, aber mehr als das bloße Zahlen der Mitgliedsbeiträge wie bei mit. Dabei kam, für mich neu, heraus: Du bist katholisch. Deshalb, und weil wir hier ein evangelischer Bloq sind, die Gretchenfrage in der aktuellen Fassung des Jahres 2022: Möchtest Du – als Privatperson, nicht als Polizist – etwas zum gegenwärtigen Zustand Deiner Kirche sagen? Sauerborn: Vor über zehn Jahren war ich mal beim Domradio, ich war als Vertreter der evangelischen Polizeiseelsorge eingeladen, der damalige katholische Polizeipfarrer Günter Fessler hatte das Gespräch arrangiert. Es ging um die Einbindung aktiver Polizisten in die Arbeit der Polizeiseelsorge, ich bin damals bei einigen Kirchentagen gewesen und habe den Stand der evangelischen Polizeiseelsorge mit betreut. Mit bei dem Gespräch war ein Kollege, Polizist aus Köln, er als Vertreter der katholischen Polizeiseelsorge dabei. Es stellte sich dann im Verlauf des Talks heraus, dass ich, der Katholik, die evangelische. Seelsorge vertrat und der Kölner Kollege als Protestant die katholische Seelsorge. Das ist gelebte Ökumene. Und ich habe tatsächlich, vor vielen Jahren, mal von einer befreundeten evangelischen Pfarrerin eine Seelsorgeausbildung genießen dürfen.

Nun zur Frage: Die katholische Kirche ist schwer angeschlagen, absolut reformbedürftig! Da muss sich etwas tun, jetzt, und da muss alles, wirklich alles auf den Prüfstand. Und das muss auch und insbesondere von „unten“ kommen, aus den Gemeinden, vom niederen und hohen Klerus, vom Gemeinderat, von den Gemeindemitgliedern. Das Vertrauen ist brüchig geworden, teilweise ganz weg. Der Wiederaufbau von Vertrauen kostet Zeit und bindet Ressourcen. Die Investition in eine auch den Menschen zugewandte Kirche ist unersetzlich. Vielleicht setzt die Kirche ja demnächst Beschäftigte ein,  die sich hauptberuflich der Prävention von sexueller Gewalt widmen? Ombudsfrauen- und –männer, die den Prozess der Erneuerung professionell und unabhängig begleiten?

Gerrens: Ich habe mal gehört, es soll Institutionen geben, die die günstige Gelegenheit einer Pensionierung dazu nutzen, die freiwerdende Stelle nicht wiederzubesetzen und die entsprechende Tätigkeit einzusparen. Wie ist das mit Deiner Stelle, wenn du in den Ruhestand gehst?

Sauerborn: Herrn Wesseler war es wichtig, die Stelle früh neu zu besetzen – mein Nachfolger, Herr Frank Rohmann, macht seit Anfang September gemeinsam mit mir Dienst, so dass er gut eingearbeitet ist, wenn ich dann ab Mitte März nur noch ganz sporadisch auf der Dienststelle erscheinen werde, und sogar das werde ich ab den 1.7. dann gar nicht mehr tun. Die Versetzung in den Ruhestand ist ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt, das klingt sehr juristisch, aber dieser Vorgang bringt mehr als einen Hauch Freiheit mit sich.

Gerrens: Vielen Dank für das interessante Gespräch.

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