Das Olympia-Attentat vor 50 Jahren
Vor fünfzig Jahren, am 6.September 1972 hielt Bundespräsident Gustav Heinemann eine Ansprache bei der Trauerfeier für die Opfer des Terroranschlags während der Olympischen Spiele in München (Gustav Heinemann, Allen Bürgern verpflichtet, Reden des Bundespräsidenten 1975, S. 105f). Sie dürfen beim Lesen überlegen, welcher Satz des Bundespräsidenten ein Mitglied der damaligen Bundesregierung ärgerte.
„Vor 11 Tagen habe ich hier in dieser Arena die Olympischen Spiele München 1972 eröffnet. Sie begannen als wahrhaft heitere Spiele im Sinne der olympischen Idee. Ein großartiges Echo in der weiten Welt begleiteten sie, bis sich gestern Morgen der Schrecken einer Mordtat auf sie legte. In der vergangenen Nacht haben sich Schrecken und Entsetzen ausgeweitet. Der Versuch zur Rettung der israelischen Geiseln schlug fehl.
Wo vor kurzem noch frohe Gelöstheit herrschte, zeichnen jetzt die Ohnmacht und Erschütterung die Gesichter der Menschen. Fassungslos stehen wir vor einem wahrhaft ruchlosen Verbrechen. In tiefer Trauer verneigen wir uns vor den Opfern des Anschlags.
Unser Mitgefühl gilt ihren Angehörigen und dem ganzen Volk Israel.
Dieser Anschlag hat uns alle getroffen. Waren der Anschlag und sein Ausgang abzuwenden? Niemand wird im Augenblick eine abschließende Antwort geben können.
Wer sind die Schuldigen dieser Untat? Im Vordergrund ist es eine verbrecherische Organisation, die da glaubt, dass Hass und Mord Mittel des politischen Kampfes sein können. Verantwortung tragen aber auch jene Länder, die diese Menschen nicht an ihrem Tun hindern.
Allen Menschen in allen Teilen der Welt ist in den letzten Stunden vollends klageworden, dass Hass nur zerstört. Die Opfer auch dieses Anschlages rufen uns abermals auf, unsere ganze Kraft für die Überwindung des Hasses einzusetzen.
Gerade angesichts der neuen Opfer gilt es jetzt dem Fanatismus, der die Welt aufschreckt, den Willen zur Verständigung entgegenzubringen. Die olympische Idee ist nicht widerlegt. Wir sind ihr stärker verpflichtet als zuvor. Bei dem, was wir erleben mussten, besteht keine Trennungslinie zwischen Nord und Süd. Hier besteht eine Trennungslinie zwischen der Solidarität alle Menschen, die Frieden wollen und jenen anderen, die in tödliche Gefahr bringen, was das Leben lebenswert macht.
Das Leben braucht Versöhnung. Versöhnung darf nicht dem Terror zum Opfer fallen.
Im Namen der Bundesrepublik Deutschland appelliere ich an alle Völker dieser Welt:
Helft mit, den Hass zu überwinden.
Helft mit, der Versöhnung den Weg zu bereiten.“
Ist Ihnen der Satz aufgefallen? Ich hätte nichts bemerkt, wenn ich nicht die 2014 erschienene Heinemann-Biographie von Thomas Flemming gelesen hätte (S. 430-433). Es gab eine Kontroverse zwischen Bundespräsidialamt und Auswärtigem Amt. Beide waren sich einig, dass die palästinensische Terrororganisation „Schwarzer September“ die Entführung und die Morde begangen hatte. Doch stritten sie über den Satz, wonach „auch“ jene Länder Verantwortung trügen, die diese Menschen „nicht an ihrem Tun hindern“. Im Auswärtigen Amt zeigte man sich besorgt, dass diejenigen arabischen Staaten – wie etwa Ägypten, Jordanien oder Lybien – die zwar nicht ausdrücklich genannt waren, aber hätten gemeint sein können, sich verärgert zeigen würden. Hinter vorgehaltener Hand hielt man es im Auswärtigen Amt für angebracht, sich von diesem Satz zu distanzieren. Das Bundespräsidialamt wiederum erklärte, dass die Ansprache mit dem Auswärtigen Amt abgesprochen und von Außenminister Scheel gebilligt worden sei. Das wiederum wollte Scheel nicht gelten lassen: Es sei zwar korrekt, dass er gemeinsam mit Heinemann nach München geflogen sei, doch habe es in der Hektik jener Stunden keine endgültige Abstimmung des Textes mit dem Bundespräsidenten gegeben.
P.S. Wenn Sie sich das Video einer damaligen Fernsehsendung des Bayrischen Rundfunks anschauen, fällt auf, dass die Passage zwischen „Dieser Anschlag hat uns alle getroffen“ und „Gerade angesichts der neuen Opfer“ in der Fernsehsendung fehlt. Dort wurde bei 2:10 Min. geschnitten. Man merkt das nicht, da nur der Ton der Ansprache geschnitten wurde, während die Kamera – ungeschnitten – die Zuhörerinnen und Zuhörer einblendet.