Schmerz aus einer soziologischen Perspektive verstehen

von Solomon Victus

[Vorbemerkung: Der folgende Vortrag wurde auf einem Symposium über Schmerz (26./ 27. Oktober 2022) am Christian Medical College in Vellore gehalten, einer Stadt im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu, etwa 140 km westlich von Chennai (vormals Madras). Die Teilnehmenden bestanden aus Personen, die im Gesundheitswesen tätig sind („Health Care Professionals“) sowie Theolog:innen. Indien besitzt ein überwiegend staatliches Gesundheitssystem, doch spielen private Einrichtungen, darunter die oft noch aus der Kolonialzeit stammenden ehemaligen Missionskrankenhäuser eine wichtige Rolle.

Salomon Victus lehrte bis zu seinem Ruhestand am Tamil Nadu Theological Seminary Arasaradi/Madurai, etwa 400 km südlich von Vellore gelegen, und leitete dort als Professor und „research guide“ das „Department for Social Analysis“. Er ist ordinierter Pfarrer und hat an der örtlichen staatlichen Universität in „religion and philosophy“ promoviert. Salomon Victus hat am 8.9.2016 an der Evangelischen Stadtakademie Düsseldorf Überlegungen zu M. C. Kumarappa vorgetragen, einem der wenigen christlichen Weggefährten Gandhis. Ich danke Pfarrer i.R. Klaus Temme für den Hinweis auf den jetzigen Vortrag. Für sämtliche Fehler bei der Übersetzung aus dem Englischen zeichne ich selbst verantwortlich.

Über das Tamil Nadu Theological Seminary können sie sich hier informieren https://en.wikipedia.org/wiki/Tamil_Nadu_Theological_Seminary 

Über Solomon Victus hier http://ftpmirror.your.org/pub/wikimedia/images/wikipedia/commons/5/54/Dr_Solomon_Profile.pdf

Uwe Gerrens]

Einleitung: Im Schmerz spricht unsere gesamte Persönlichkeit, unsere kulturellen Erfahrungen und unsere Beziehungen untereinander. Schmerz ist ebenso persönlich, wie, einer Redewendung zufolge, Politik lokal ist. Die Signatur des Schmerzes steht groß auf leidenden Gesichtern geschrieben: auf die der zusammengeschrumpften [unterernährten] einheimischen Kinder, deren verkrustete Lider ihre tausendjährigen Augen nicht verbergen können; auf die der tragisch überraschten KZ-Opfer bei ihrer letzten Erfahrung des Betrugs in den Gaskammern.[1] „Schmerz hat niemals allein in Anatomie und Physiologie seinen Ursprung. Vielmehr“ … entsteht er an der „Schnittstelle von Körper, Geist und Kultur.“ Die Vorstellung, man könne Schmerz messen, wird zunehmend als problematisch und undenkbar angesehen, „da es Unterschiede in Art, Umfang, Konsistenz, Intensität und Ursache geben kann“[2] Dennoch ist Schmerz in unserem täglichen Leben unbegrenzt und unvermeidlich.

Die moderne Medizin hat sich ernsthaft mit körperlichen Schmerzen befasst und Lösungen dafür gefunden, indem sie ihn bei Mensch und Tier mit Schmerzmitteln oder Betäubungsmitteln lindert. Viele vermeiden den Schmerz vorübergehend mithilfe von Schlaf- und Schmerzmitteln. Es gibt auch einige wenige Erfahrungen mit freiwillig auf sich genommenen Schmerzen: Suizidversuche, Märtyrermentalität, über Feuer gehen, kleine Tempelautos an der Haut des menschlichen Körpers ziehen [eine Form des Piercing wie sie in einigen Hindu-Tempeln geübt wird], Kokosnüsse auf dem Kopf zerbrechen oder das Ausreißen von Kopfhaaren durch bestimmte religiöse Mönche. Solche Erfahrungen zeigen, dass bestimmte Menschen im Namen des religiösen Geistes ein gewisses Maß an Schmerzen ertragen, um ihre Entschlossenheit zu beweisen.

Sozialer Schmerz ist etwas anderes und wird von Einzelpersonen oder Gemeinschaften empfunden, die als machtlose Opfer angesehen werden, während sie grausamen und unbarmherzigen Reaktionen ihrer Mitmenschen an Körper oder Psyche ausgesetzt sind. Diskriminierungen, Spott, Demütigung, Beleidigung, abfällige Bemerkungen, anmaßende Betrügereien usw. können aus einer herrschenden Mentalität heraus entstehen. Wenn jemand einen Nachbarn oder einen Freund vor einer Gruppe mit „du Dummkopf“ anschreit, ist das sehr schmerzhaft. Ein solcher sozialer Schmerz kann nur von denjenigen tief empfunden werden, die in solche Situationen geraten sind. Vielleicht sind diese seelischen Qualen gesundheitlich sogar gefährlicher als körperliche und können zu plötzlichen körperlichen Beschwerden oder lebenslangen seelischen Narben führen. Wenn der seelische Schmerz massiv ist, kann er körperliche Schmerzen übertreffen. Schmerzhafte Ereignisse in unserem individuellen und sozialen Leben, verursacht durch äußere, vielleicht unerträgliche Faktoren der Gesellschaft, können dazu führen, dass sich die Venen zusammenziehen und schließlich das Herz versagt. Viele von uns verwenden vielleicht nicht den Begriff des „Schmerzes“ für solche sozialen Zusammenhänge. Doch in unserem täglichen Leben, wenn jemand sagt: „Mein Herz blutet, ich bin verletzt und kann es nicht ertragen, ich habe ein gebrochenes Herz und bin völlig erschüttert“ – was ist damit gemeint? Wenn wir auf einige der Grausamkeiten stoßen, die unsere Mitmenschen den Schwächeren antun, leiden wir zweifellos alle darunter. Keiner Minderheit der Gesellschaft sind derartige Erfahrungen sozialen Schmerzes fern, es sei denn sie besteht aus lauter Über-Menschen.

Ich persönlich habe sowohl quälende körperliche Schmerzen (Herpes) als auch soziale Schmerzen erlitten. Bei diesen Arten von Schmerz kann man nicht immer davon ausgehen, dass „Schmerz unser Freund ist“, denn er wird von Einzelpersonen oder kollektiven Strukturen für ihre eigene Entwicklung, ihr Geschäft und ihren Profit mutwillig aufrechterhalten. Viele erfahrene Mediziner wie Dr. Paul Brand betrachten bestimmte körperliche Schmerzen als „ein Geschenk, das niemand will“,[3] aber die Schmerzen, die durch Unterdrückung, unmenschliche Behandlung, grausame Diskriminierung und quälende Systeme entstehen, können nicht als Geschenk betrachtet werden, da sie von den systemischen Strukturen der Gesellschaft den Mitmenschen mutwillig aufgezwungen werden, um unerwünschte soziale Hierarchien, Herrschaft, Überlegenheit und Strafen aufrechtzuerhalten. Obwohl es um uns herum enorme soziale Probleme gibt, die den Menschen Schmerz und Tränen bereiten, möchte ich für eine breitere Leserschaft, Diskussion und Forschung im Folgenden ein paar begrenzte Themen aus der Perspektive der Sozialanalyse hervorheben.

1. Schmerz durch soziokulturelle Probleme: Obwohl kulturelle Fragen von vielen Theoretikern als Überbau betrachtet werden, können wir die Kultur bei der Gesamtanalyse nicht einfach ignorieren. Wenn in Indien Fragen der soziokulturellen Probleme und der Menschenwürde auftauchen, beginnt der Schmerz. Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und die schlechte Behandlung ist einer der am längsten andauernden schmerzhaften Kämpfe in unserer Gesellschaft. Es gibt so viele Geschichten von häuslicher Gewalt. Kirubas neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass die Haltung der städtischen Arbeitgeber, insbesondere der Mittel- und Oberschicht, gegenüber ihren weiblichen Hausangestellten in einer Stadt in Tamil Nadu schrecklich, entsetzlich und abscheulich ist. Die weiblichen Hausangestellten werden nicht angemessen für ihre harte Arbeit bezahlt. Überstunden werden nicht vergütet, und sie erhalten keinen Lohnzuschlag. Sie erhalten keinen bezahlten Urlaub und dürfen sich nicht in der Hausangestelltengewerkschaft organisieren. Die Arbeitgeber sind sehr kastenbewusst und misshandeln die so genannten Hausangestellten aus niedrigen Kasten. Die meisten dieser weiblichen Hausangestellten haben geäußert, dass sie sexuell belästigt werden und dass die Männer in ihren Häusern vulgäre und erotische Worte zu ihnen sagen.[4] Alle Arten von häuslicher Gewalt sind aufgrund der chauvinistischen Einstellung der Männer ein internationales Problem. 

Brenda beschreibt die südamerikanische Situation, in der Frauen in der Regel unter sehr harten Bedingungen arbeiten. Hausmädchen, zum Beispiel, verdienen in der Regel etwa fünfzig Dollar im Monat und arbeiten mehr als vierzehn Stunden am Tag, oft sieben Tage die Woche. Oft werden sie von den Männern in den Häusern, in denen sie arbeiten, sexuell belästigt oder missbraucht.[5] Kinderarbeit ist weit verbreitet, und der Missbrauch dieser Kinder beginnt schon sehr früh, sei es durch ihre Chefs oder Familienmitglieder. Viele der Kinder werden sexuell missbraucht. Die vielen Fälle von schwangeren heranwachsenden Mädchen, die von ihren Vätern oder anderen Verwandten zum Sex gezwungen werden, sagen, dass sie mit dem Geld, das sie von den Tätern bekommen, zufrieden sind und dankbar für das Essen sind, das sie, ihre Mütter und ihre Geschwister von den Tätern bekommen.[6]

Auch die täglichen persönlichen Beziehungen verursachen zu Hause und im Büro als Teil der kulturellen Probleme Schmerzen. Anlässe wie der Schmerz von Eltern, die von den Kindern in entscheidenden Phasen ihres Lebens verlassen werden; wenn die Eltern gescholten werden, als ob sie die Last wären; wenn wohlhabende Kinder über die Lebensmittel- und Arztkosten ihrer Eltern klagen; wenn Kinder sie ins Altersheim bringen, obwohl sie finanziell besser gestellt sind usw. – das alles sind sehr schmerzhafte Erfahrungen in unserer Gesellschaft. Der Schmerz der Ohnmacht, des ständigen Spottes, der destruktiven Kritik, der Ausgrenzung, der Frustration, der fehlenden Anerkennung in einem Kontext des Machtkampfes kann sehr groß sein. Wir können all diese Schmerzen nicht einfach als ein Problem der Elite abtun; es könnte auch ein Problem der einfachen, verletzbaren Menschen sein. 

Die Realität der durch das Kastensystem geschaffenen sozialen Hierarchie wirft für jeden, der versucht, die indische Gesellschaft zu verstehen, entscheidende Fragen auf. Das Kastensystem bedeutet Diskriminierung in großem Ausmaß, die oft sehr grausame und mörderische Formen annimmt, insbesondere bei der Behandlung der Dalits [der ‚Unberührbaren‘].[7] Die rigideste Trennung in der sozialen Struktur ist die, die durch die grausame, entmenschlichende Praxis der Unberührbarkeit gekennzeichnet ist. Im Laufe der Zeit hat sich diese Praxis der Segregation und Verunglimpfung immer mehr verschärft, da sie sich als sehr wirksames Mittel erwiesen hat, um die Integration der „gebrochenen Menschen“ zu verhindern und ihre Unterordnung aufrechtzuerhalten, indem man ihnen die Latrinenreinigung und andere niedere Arbeiten zuwies und gleichzeitig den Zugang zu Ressourcen, insbesondere zu Land und Wasser, verweigerte.[8] Nach James Massey sind die Dalits heute in mehr als 750 Untergemeinschaften unterteilt, und zwar auf der Grundlage der ihnen von der indischen Gesellschaft zugewiesenen Berufe. Diese Gesellschaft begnügt sich nicht mit dieser einfachen Unterteilung, sondern hat auch Berufe eingeführt, die auf dem Grad der Sauberkeit und Unreinheit basieren. Heute sind die Dalits sowohl horizontal als auch vertikal gespalten. Daher sind sie gezwungen, für ihre Selbstachtung als Privileg zu kämpfen.[9] Das indische Kastensystem ist grausam und schmerzhaft und spaltet die Menschen; und so verstand B.R. Ambedkar, dass es sich nicht nur um „Arbeitsteilung, sondern um die Teilung von Arbeitskräften“ handelt.

Hass zwischen den Gemeinschaften und ethnische Gewalt auf der Grundlage von Religion und Kultur werden im Rahmen rein exklusivistischer Ansätze praktiziert. Im Frühjahr 2002 brach in Gujarat ein stürmischer Sturm des konstruierten konfessionellen Hasses aus, der viele Monate lang wütete, brutale Morde, oft durch Verbrennung von schätzungsweise 2000 Männern, Frauen und Kindern bei lebendigem Leibe, dabei kam es zu Massenvergewaltigungen, enormen Schmerzen, Verlust, Verrat und Ungerechtigkeit.[10] Solch sektiererischer Hass und eine solche Lynchjustiz wurden in Indien in jüngster Zeit an unschuldigen Menschen verübt, nur weil sie verdächtigt wurden, Rindfleisch zu konsumieren oder am Viehhandel beteiligt zu sein. Die alarmierenden Fälle von Lynchjustiz an Minderheiten durch Kuhschützer („cow vigilanteas“) zeigen genau den soziopolitischen Rahmen des politischen Spiels, das diejenigen, die die heilige Kuh verehren, gegen die Muslime und Dalits spielen, die dazu nicht gezwungen waren. Zwischen 2014 und 2019 wurden mehrere Dutzend gewalttätige Übergriffe und Morde durch den Mob gemeldet, und die meisten Opfer waren Bauern, Viehhändler und Transporteure, die durch orchestrierte Gewalt, die von Kuhschutzgruppen im Namen der „heiligen Kuh“ verursacht wurde, ums Leben kamen. 

Zu den interethnischen Problemen, die uns bekannt sind, gehören die Kämpfe zwischen zwei ethnischen Stämmen in Ruanda, Hutus und Tutsi, bei denen 1994 innerhalb von vier Monaten acht Tausend Tutsi getötet wurden. Die ruandische Menschenrechtskommission wurde sogar nach dem Massaker Zeuge, wie ein Hutu-Mann menschliche Knochen von Tutsi als Brennholz zum Kochen seiner Mahlzeit verwendete. Der Mann antwortete auf eine Frage: „Ja, sie sind gestorben, warum sollten sie verschwendet werden? Hier zeigt sich, dass der Hass auf die grausamste Art und Weise wirken konnte. Solange das brennende Feuer der Rachegefühle in den Köpfen nicht erlischt, erscheint ein erneutes Auflodern der Flammen unvermeidlich.[11] Eine Million Rohingyas, eine ethnische Gruppe, wurde kürzlich vom Militär in Myanmar aufgrund von Rassenvorurteilen aus dem Land geworfen. Der Völkermord an den Rohingyas-Muslimen fand 2017 statt, als eine große Zahl von Menschen gelyncht, Kinderkörper verstümmelt und Frauen vergewaltigt und ermordet wurden.[12]

Aus vielen zeitgenössischen jüdischen Berichten geht hervor, dass die Juden als semitische ‚Rasse‘ unter dem antisemitischen Ansturm am gnadenlosesten zu leiden hatten: „Diese Menschen starben einen grausamen und bitteren Tod. Einige wurden bei lebendigem Leib gehäutet und ihr Fleisch den Hunden vorgeworfen; anderen wurden Hände und Gliedmaßen abgehackt und ihre Körper auf die Straßen geworfen, um von Wagen zertrampelt und von Pferden zermalmt zu werden; einigen wurden Wunden zugefügt … einige Kinder wurden von Speeren durchbohrt, auf dem Feuer geröstet und dann zu ihren Müttern gebracht, um gegessen zu werden. Bei diesen Massakern starben Tausende von Juden in den Städten östlich des Dnjepr (Osteuropa) und anderswo.“[13]

Die Stimme der Opfer, die sich in Begriffen wie „Demütigung“ ausdrückt, bezieht sich direkt auf alles, was die Würde der menschlichen Person und die kulturellen, moralischen und geistigen Werte einer Gemeinschaft oder eines Volkes verletzt.[14] Es gibt Demütigungen mit abwertenden Worten: Für Behinderte werden beispielsweise grobe Begriffe verwandt wie „blind“, „lahm“ oder „taubstumm“, obwohl würdevollere Begriffe zur Verfügung stehen wie „anders begabt“, „unterschiedlich begabt“, „sehbehindert“ etc. Menschen, die mit Worten verletzen, können größere Wunden verursachen als Feuer. Der heilige tamilische Dichter Thiruvalluvar sagt in seiner Schrift „The Possession of Self-restraint“, dass die Wunde, die durch Feuer eingebrannt wurde, heilen kann, aber eine Wunde, die durch die Zunge eingebrannt wurde, nicht.[15] Der Jakobusbrief warnt uns: „…die Zunge ist ein Feuer, eine Welt der Ungerechtigkeit. Die Zunge ist unter unseren Gliedern, sie befleckt den ganzen Leib und entzündet den ganzen Lebenslauf“ (Jak. 3,6).

2. Der Zusammenhang zwischen Schmerz und sozioökonomischer Krise: Harte wirtschaftliche Realitäten und ihre schmerzhaften Folgen sind nicht nur auf eine nationale Situation zurückzuführen, sondern auch auf eine ungerechte internationale Wirtschaftsordnung. Sie sind Teil der Produktionsweise, die die Mitgliedsstaaten in unserer Gesellschaft planen und durchführen. Wir alle wissen, dass der Vetternwirtschaftskapitalismus [„crowney capitalism“] von dem Profit lebt, der aus der überschüssigen Arbeit herausgepresst wurde. Das ist auch unsere indische Erfahrung. Die politischen Ökonomien des Kapitalismus sind offensichtlich entschlossen, die Interessen des Kapitals um jeden Preis zu schützen. Wir können kein kapitalistisches System ohne Profit und Akkumulation finden.[16] Im Prozess der dynamischen Anhäufung von Reichtum und der Ausweitung der Macht werden die Menschen vom Kapital entwurzelt, das keinen anderen Zweck als seine eigene Expansion verfolgt.[17] Was wird das Ergebnis eines solchen Systems sein, in dem die gesamte Gesellschaft auf Ausbeutung, Verdrängungswettbewerb, Aggressivität, hohe Geschwindigkeit und Profit ausgerichtet ist?[18] In einem kapitalistischen  Wirtschaftssystem werden sowohl die Gemeinschaften als auch die Individuen in vielerlei Hinsicht unter Druck gesetzt, und schließlich treten alle Arten von physischen und psychischen Problemen auf. Dringlichkeit, Mechanisierung des Lebens, Abgabetermine und schneller Service sind zum Mantra der modernen industriellen Entwicklung geworden. Und wer sind die Opfer eines solchen Systems? Sozioökonomische Probleme wie Armut, Arbeitslosigkeit, Unfälle, Bürgerkriege, Waffenkultur und Umweltkatastrophen nehmen im Alltag der Länder der Dritten Welt alarmierend zu. Jedes dieser Probleme hängt mit den Strukturen der politischen Ökonomie der jeweiligen Länder sowie mit den globalen wirtschaftlichen Entwicklungen zusammen.[19] Seelische Not ist kein isoliertes Problem: Sie hat ihren Ursprung in der Art des sozioökonomischen, politischen und kulturellen Systems, in das wir eingebunden sind.

Vandana Shiva beklagt die schmerzliche Situation der indischen Armut: „Es gibt keinen Grund, warum Indien mit Hunger und Unterernährung zu kämpfen hat und warum unsere Bauern Selbstmord begehen sollten. Indien ist mit den fruchtbarsten Böden der Welt gesegnet. Unser Klima ist so großzügig, dass wir stellenweise vier Ernten im Jahr anbauen können, im Vergleich zu nur einer in den meisten westlichen Industrieländern. Unsere Landwirte gehören zu den fleißigsten der Welt. Obwohl Indien immer reicher wird, haben wir uns zur Hauptstadt des Hungers und der Unterernährung entwickelt.  Laut der National Family Health Survey (NFHS) waren 42,5 Prozent der Kinder unter fünf Jahren untergewichtig… Unsere Nahrungsmittelproduzenten, die Kleinbauern, die mehr als eine Milliarde Inder mit Nahrungsmitteln versorgen und das Potenzial haben, gesunde Lebensmittel für alle zu liefern, sterben wegen einer Landwirtschafts- und Handelspolitik, die Unternehmensgewinne über die Rechte und das Wohl unserer Kleinbauern stellt.  Mehr als 3.00.000 Landwirte haben in Indien seit 1995 Selbstmord begangen…[20] Indien rangiert auf dem Welthunger-Index 2022 auf Platz 101 von 116 Ländern, was zeigt, dass das Ausmaß des Hungers eine ‚ernsthafte‘ Angelegenheit für den Staat ist, auch wenn die [indische ] Bundesregierung den Index als fehlerhaft abqualifizierte.[21] Ist es nicht ein schmerzhaftes Thema wenn die meisten armen Menschen mit einem hungrigen Magen ins Bett gehen?

3. Schmerz durch ökologische Probleme: Schmerzen aufgrund von Umweltzerstörung sind ein neueres Phänomen, und sie sind strukturell auch mit wirtschaftlichen Problemen verbunden. Die Eingriffe des Menschen in die Natur, insbesondere in die Erde, das Meer und die Atmosphäre, nehmen auf allen Ebenen zu. Je mehr wir unser Land im Einklang mit den westlichen technologischen Entwicklungsmodellen modernisieren, urbanisieren, individualisieren und industrialisieren, desto mehr werden wir mit neuen Krankheiten, Berufskrankheiten, Depressionen usw. konfrontiert, was letztendlich zu immer mehr medizinischen Einrichtungen, pharmazeutischen Industrien und transnationalen Konzernen führt. 

Die Folgen der globalen Erwärmung führen zu immer mehr klimatischen Veränderungen wie Dürren, Überschwemmungen und Wolkenbrüchen, die die neue Situation noch verschlimmern. Es entstehen Umweltflüchtlinge, und die einheimische Bevölkerung wird für die so genannten „Entwicklungsprojekte“ der Staaten ausgerottet. So werden zum Beispiel viele Mega-Dämme und Bergbauminen im Stammesgebiet gebaut, was zu Erdrutschen und Bodenerosion führt, und Flughäfen werden auf fruchtbarem Ackerland errichtet. Die einheimische Bevölkerung wie Stammesangehörige, Adivasi, Dalits und Bauern werden mit Hilfe von Bulldozern, Polizei und Militär evakuiert. Die Menschen vor Ort schreien buchstäblich laut gegen solche Projekte, da ihnen ihr eigenes Land und ihre Haushalte weggenommen werden und ihre Lebensgrundlage gefährdet ist. Das ist wirklich ein irreparabler Verlust für sie, und ein solch schmerzlicher Schrei wird von den meisten von uns selten gehört. Hinter jeder Einheit Strom, die wir verbrauchen, und jedem Komfort, den wir im Namen des modernen Fortschritts und der Entwicklung genießen, steckt ein Schrei. Wenn wir die andere Seite der Geschichte betrachten, erkennen wir, dass eine große Zahl von Menschen ihr Leben auf dem Altar der Entwicklung opfert.

Wir alle wissen, dass im Dezember 1984 in einer Pestizidfabrik von Union Carbide in Bhopal ein Gasleck auftrat, das innerhalb weniger Tage Tausende von Menschen tötete, wobei Schätzungen von 7.000 bis 15.000 Toten reichen. Weniger bekannt ist, dass das Grundwasser von Bhopal durch die unsachgemäße Entsorgung von Industrieabfällen durch Union Carbide verseucht wurde. Heute, Generationen später, steigt die Zahl der Todesopfer von Bhopal immer noch: über 25.000 Menschen sind Krankheiten erlegen die mit der Gasexposition und dem verseuchten Wasser zusammenhängen.[22]

Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), eine Sonderorganisation der WHO, gab bekannt, dass sie die Luftverschmutzung im Freien als krebserregend für den Menschen eingestuft hat. Dies ist das erste Mal, dass Experten dies getan haben und behaupteten, dass es genügend Beweise dafür gibt. Die wichtigsten Quellen dieser Verschmutzung sind der Verkehr, die sanitäre Stromerzeugung, industrielle und landwirtschaftliche Emissionen sowie das Heizen und Kochen in Haushalten.[23] In einer umfassenden Studie des Indian Institute of Technology, Mumbai, wurde über die negativen Auswirkungen der von Mobilfunkmasten ausgehenden Strahlen berichtet, darunter irreversible Unfruchtbarkeit, Blut-Hirn-Schranke, DNA-Schäden, Gehörschäden, Hautprobleme, erhöhtes Krebsrisiko und Risiken für Kinder und schwangere Frauen.[24] In den modernen städtischen Zentren, insbesondere in Indien, sind weder die Konfliktrate noch die Kriminalitätsrate, die Scheidungsrate, die Krankheitsrate oder die Umweltverschmutzung zurückgegangen, sondern das Leid nimmt in jeder Hinsicht zu.

4. Der Schmerz wird durch starre, unsichtbare Strukturen aufrechterhalten: Die meisten Menschen sind sich vielleicht nicht bewusst, dass die meisten sozialen Schmerzen durch unsichtbare Strukturen des globalen Systems verursacht werden. Jede einzelne Aktivität unseres Lebens wird indirekt von der Politik der so genannten Supermächte und der Länder mit Imperiumsambitionen diktiert. Kriegswirtschaft, neue Flüchtlinge und Ölpreise gehören zu den immerwährenden Problemen, mit denen wir konfrontiert sind. Die meisten internationalen Pakte gegen die intensive Militarisierung laufen angesichts des mächtigen Wettrüstens ins Leere. Helen Caldicott, eine Ärztin und Anti-Atomkraft-Kämpferin, schreibt: „Um zu verstehen, was Amerikas erschreckend militaristische Haltung und Kriegstreiberei antreibt, muss man dem Geld folgen. Nach dem Ende des Kalten Krieges versprachen die US-Verhandlungsführer Michail Gorbatschow, dass Amerika die NATO nicht erweitern würde, und die Welt genoss eine Zeit des relativen Friedens. Doch nur wenige Jahre später hielten die Vereinigten Staaten ihr Versprechen nicht ein: ‚Kein Krieg‘ war schlecht fürs Geschäft! 1997 reiste Norman Augustine, der Chef von Lockheed Martin, nach Rumänien, Ungarn, Polen, in die Tschechoslowakei und in die neu befreiten osteuropäischen Länder und fragte: ‚Wollt ihr der NATO beitreten und eine Demokratie sein?‘ Aber um der NATO beizutreten, mussten diese kleinen Länder erst einmal Milliarden von Dollar für den Waffenkauf ausgeben.[25]   

Dieser Ansatz ebnete schließlich den Weg für den aktuellen, zerstörerischen Krieg zwischen der Ukraine und Russland, der Tausende von unschuldigen Menschen tötet und die Natur schwer beschädigt. Modernes neoliberales marktwirtschaftliches Denken wie „Krieg stimuliert die Volkswirtschaft“ ist in der Fachsprache als „broken window effect“ bekannt, weil jedes zerbrochene Fenster eine Beschäftigungsmöglichkeit schafft. Obwohl Wissenschaft und Technologie Wunder vollbracht haben und aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken sind, sind für einen Forscher wie Claude Alvares „die dominierenden, beherrschenden Bilder unserer Welt die von Wissenschaft und Gewalt. Erstere wird als das Gute schlechthin akzeptiert, letztere als das Böse schlechthin. Doch paradoxerweise gilt: Je mehr Wissenschaft, desto mehr Gewalt.“[26] Die Welt unserer Zeit bietet dem modernen Menschen auch ein anderes Bild – nicht das der Schöpfung, Produktion oder Leistung, sondern das der Tragödie und Zerstörung:  Weltkriege, Hiroshima, Nagasaki.[27] Zwei verschiedene Arten von Atombomben wurden auf Japan abgeworfen: eine mit Plutonium, die andere mit Uran. Die Uranbombe war jedoch die erste ihrer Art in der Geschichte; sie wurde an der Bevölkerung von Hiroshima sowohl als wissenschaftliches Experiment als auch als Waffe getestet.[28] Die Strukturen und Quellen des Schmerzes müssen auch in der wissenschaftlichen Welt sorgfältig identifiziert und beseitigt werden.

Nach jedem Krieg stoßen wir auf die Problematik von Kriegsgefangenschaft, Verfolgung und Folter. Verschiedene Arten der Folter werden wissenschaftlich erfunden, um Schmerzen zu erzwingen. Es heißt, dass in den USA Handbücher über Folter nicht für Opfer, Ärzte oder Menschenrechtsaktivisten, sondern für Folterer geschrieben werden. Bei der Lektüre eines solchen Buches hatte Ashis Nandy das Gefühl, dass der Autor eine sadomasochistische Freude daran hatte, den tatsächlichen Ablauf und die Technik der Folter zu beschreiben. Das Buch machte auch deutlich, dass die Folter eine Form der menschlichen Beziehung war. Es war eine dunkle, pathologische, extreme Form der Beziehung, aber es war dennoch eine Beziehung. Die unbeabsichtigte Botschaft des Buches war, dass keine Folter außerhalb menschlicher Beziehungen möglich ist.[29] Ashis Nandy ist der Ansicht, dass „wenn Folter erst einmal „normalisiert“ ist und als unvermeidlicher Teil der Staatsführung, des Regierens und der alltäglichen Polizeiarbeit sowie als notwendiger Bestandteil eines nationalen Sicherheitsapparats erscheint, die Kultur der Folter das Ziel oder die Aufgabe überlebt, für die sie ursprünglich eingesetzt wurde, um Angst oder ein extremes Gefühl der Demütigung zu erzeugen, um Informationen zur Gewährleistung der Sicherheit zu erhalten oder um Andersdenkende oder potenzielle Rebellen einzuschüchtern. Ist die Folter erst einmal in einem Gemeinwesen eingeführt, stirbt die Kultur der Folter auch dann nicht, wenn die ursprünglichen Gründe für die Folter wegfallen, das Opfer stirbt oder der Folterer von der Bildfläche verschwindet.[30]

„Bei der Bekämpfung der Sezessionisten durch außergerichtliche Tötungen und die Anwendung von Folter nahm die Polizei des Punjab viele Eigenschaften des Feindes an, den sie bekämpfte. Als der Aufstand endete, wurde die Polizei des Punjab durch Korruption und Kriminalisierung praktisch zur größten terroristischen Gruppe des Landes. Sie stand zur Verfügung, um Eigentumsstreitigkeiten zu schlichten, ungewollte Bräutigame im Auftrag wählerischer oder konservativer Eltern zu entführen und zwischen streitenden Geschäftsleuten zu schlichten, natürlich alles gegen eine Gebühr.“ Und Ashis Nandy schreibt: „Am Ende müssen wir feststellen, dass Folter auf lange Sicht etwas bewirkt, was keine Militanz oder kein Terrorismus je zu erreichen hoffen kann. Sie verändert die Menschen in einem Land dahingehend, dass sie Grausamkeit als eine Lebensweise und ein normales Mittel zur Beilegung politischer Differenzen, ideologischer Debatten und sogar persönlicher Streitigkeiten akzeptieren.“[31] Folter beginnt vielleicht mit einem internationalen Feind, wird dann zur Staatskunst und schießt auf den Einzelnen über, so dass wir sie als normal und Teil unseres Lebens ansehen. Man nennt das so etwas wie Staatsterrorismus, der von Staaten gegen ihre Untertanen eingesetzt wird, wenn sich die Herrscher unsicher fühlen. ‚Strike one and terrorize many‘, ist das Mantra der modernen Staaten, und so gibt es viele Opfer des Staatsterrorismus.

Abschließende Bemerkungen: Gibt es einen Ausweg aus solchen gesellschaftlich schmerzhaften Erfahrungen? Fritjof Capra, ein bekannter, in Österreich geborener amerikanischer Physiker und Systemtheoretiker, schreibt, dass ein Phänomen, das schlecht verstanden wird, das Phänomen des Schmerzes ist, weil die biomedizinischen Wissenschaftler nicht in der Lage sind, physische und psychologische Elemente zu integrieren. „Weder wissen medizinische Forscher genau, was Schmerzen verursacht, noch verstehen sie die Kommunikationswege zwischen Körper und Geist vollständig … Um Schmerzen zu verstehen und um sie im Heilungsprozess lindern zu können, müssen wir ihren weiteren Kontext sehen, der die mentalen Einstellungen und Erwartungen des Patienten, sein Glaubenssystem, die emotionale Unterstützung durch Familie und Freunde und viele andere Umstände einschließt“.[32]

Erich Fromm stellt in seinem Werk „Die gesunde Gesellschaft“ die Frage, ob eine Gesellschaft krank sein kann, und er diskutiert die Pathologie der Normalität. Er zitiert Spinoza, der sich mit sozial bedingten Defekten beschäftigt und sagt: „Viele Menschen werden mit großer Beständigkeit von ein und demselben Affekt ergriffen. Alle seine Sinne werden so stark von einem Gegenstand beeinflusst, dass er glaubt, dieser Gegenstand sei anwesend, obwohl er es nicht ist. Geschieht dies, während der Mensch wach ist, so hält man ihn für wahnsinnig … Denkt aber der Gierige nur an Geld und Besitz, der Ehrgeizige nur an Ruhm, so hält man ihn nicht für wahnsinnig, sondern nur für lästig; im Allgemeinen verachtet man ihn. Tatsächlich aber sind Habgier, Ehrgeiz usw. Formen des ‚Wahnsinns‘.[33] Wenn das zutrifft, wie können wir dann Schmerz und Leid, die von Menschen verursacht werden, bagatellisieren?

Im Großen und Ganzen dürften viele von uns zu der Einsicht gelangt sein, dass Wohlbefinden und Heilung nicht möglich sind, ohne sich um gerechte Strukturen zu kümmern.[34] In gewisser Weise sind wir alle Teil der mörderischen Strukturen. Wir haben vielleicht niemanden direkt ermordet, aber wir sind vielleicht Teil der mörderischen Strukturen und profitieren von ihnen. In diesem Fall neigen wir dazu, die Realität nicht so zu sehen, wie sie ist.[35] Nur echte Korrekturen an den mörderischen Strukturen können die Intensität der sozialen Schmerzen verringern. 

Schmerz ist überall und unvermeidlich,aber seine Intensität hängt davon ab, wie wir darauf vorbereitet sind, damit umzugehen. „Schmerz ist (sogar) vorhanden, wenn wir uns den Entscheidungen der Freiheit stellen und uns überhaupt nicht sicher sind, was der richtige Weg für uns selbst oder für andere sein wird. Schmerz ist da, wenn wir herausgefordert werden, jemand anderem wirklich zu vertrauen, und wir wirklich Angst davor haben, es zu tun. Das ist immer der wahre Preis des Vertrauens, von dem man so leicht spricht und das man so schwer schenken kann.“[36] Für G. Buttrick „ist der schärfste Schmerz für scharfsinnige und sensible Menschen die Strafe, die auf die „Unschuldigen“ fällt, so etwa die Verkrüppelung eines Kindes, das von einem betrunkenen Fahrer überfahren wurde.“[37] Unsere Aufgabe ist es daher, herauszufinden, wo mutwilliger und absichtlicher Schmerz bei Unschuldigen entsteht, und wie man ihn beseitigt und wie man damit lebt. Schmerz kann nicht mit Rache und Vergeltung wie „Auge um Auge und Zahn um Zahn“ gelöst werden, aber die Lösung liegt darin, schmerzhafte Probleme aus der Perspektive des Opfers zu betrachten und zu versuchen, sie zu lösen. „Wenn uns das gegenseitige Blutvergießen zu Feinden macht, macht uns das Teilen der Tränen zu Brüdern und Schwestern.“[38] Eine der Antworten könnte sein, die unnötigen systemischen Schmerzen vorsichtig zu identifizieren und sie politisch und strukturell auszumerzen. Es ist keine übermäßige Angelegenheit, die gelöst werden muss, aber wir brauchen geistliche Augen und Willenskraft, um dieser Herausforderung zu begegnen.

Gandhi bot einem der Opfer der Unruhen in Kalkutta eine Lösung an. Ein Hindu kam zu ihm, um über seinen kleinen Sohn zu sprechen, der von einem muslimischen Mob getötet worden war, und über die in ihm zunehmende Wut und das Bedürfnis nach Rache. Gandhi soll geantwortet haben: „Wenn Sie wirklich Ihren Schmerz überwinden wollen, suchen Sie sich einen Jungen, genauso alt wie Ihr eigener Sohn, einen muslimischen Jungen, dessen Eltern von hinduistischen Mobs getötet wurden. Erziehen Sie ihn wie Ihren eigenen Sohn, aber in dem muslimischen Glauben, in dem er geboren wurde. Nur dann werden Sie feststellen, dass sie Ihren Schmerz, Ihre Wut und Ihre Sehnsucht nach Vergeltung heilen können“[39] Überall dort, wo die gemeinsame oder kollektive Verantwortung in einer Gesellschaft langsam verschwindet, können Schmerzvorfälle zunehmen.

Eine der Stärken Jesu war es, Menschen von Schmerzen, Lasten und Tränen zu befreien. Daher kommt der Ausdruck verwundeter Heiler von Nouwen, einem Theologen, der davon spricht, dass der Leib Christi schrecklich verwundet wurde und dadurch am Schmerz Gottes teilhat.[40] Die Vision eines „neuen Himmels und einer neuen Erde“ im Buch Offenbarung 21,3 -4 lautet: „Und ich hörte eine laute Stimme vom Thron sagen: ‚Siehe, die Wohnung Gottes ist bei den Menschen. Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und Gott selbst wird als ihr Gott bei ihnen sein. Er wird jede Träne von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch wird es Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz mehr geben, denn das Erste ist vergangen.‘ “ Nach jüdischer und christlicher Tradition wird gelehrt, dass die messianische Ära mit den Todesschmerzen der alten Welt und den Geburtsschmerzen der neuen Welt beginnt.[41]


[1] Eugene Kennedy, The Pain of Being Human, Mumbai: Better Yourself Books, 1998, p.13-14.

[2] https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/09699260.1995.11746713?journalCode=yppc20 (abgerufen am 20.9.2022).

[3] Dr Paul Brand and Philip Yancey, Pain: The Gift Nobody Wants, New York: Harper Collins Publishers, 1995.

[4] Kirubaikumari Jesudason, “Female Domestic Workers in Christian Houses of Madurai City: A Pastoral Response”, Unpublished Thesis submitted to the D.Min. Degree at Serampore University, West Bengal, 2021. 

[5] Brenda Consuelo Ruiz, “Pastoral Counselling of Domestic Violence Victims in Nicaragua” in Render Unto God:  Economic Vulnerability, Family Violence, and Pastoral Theology by James Newton Poling, Missouri (US): Chalice  Press, 2002, p.35. 

[6] Brenda Consuelo Ruiz, “Pastoral Counselling of Domestic Violence Victims in Nicaragua”, Ibid., p.36.

[7] Gabriele Dietrich & Bas Wielenga, Towards Understanding Indian Society, Thiurvalla: Christava Sahiya Samithi,  2009, p.51.

[8] Gabriele Dietrich & Bas Wielenga, Ibid., p.51.

[9] James Massey, “An analysis of the Dalit situation with special reference to Dalit Christians and Dalit Theology” in  Religion and Society, Bangalore: CISRS, Vol.52, No.3-4, Sept.-Dec. 2007, p.60.

[10] Harsh Mander, Fear and Forgiveness: The Aftermath of Massacre, New Delhi: New Delhi, 2009, pp.ix-xv.

[11] Solomon Victus, “Healing the Memory: Dalit Experience in the midst of the experience of victims around the  world”, Gurukul Journal of Theological Studies, Chennai: GLTC & RI, Vol. XXIV, Nos. 1&2, Jan.-June, 2013, p.75. 

[12] https://en.wikipedia.org/wiki/Rohingya_genocide (abgerufen am 10. Oktober 2022).

[13] Dan Cohn-Sherbok, The Crucified Jew: Twenty Centuries of Christian Anti-Semitism, Michigan: W.B. Eerdmans  Publishing Company, 1992, p.106.

[14] Leonardo Boff and Virgil Elizondo (eds), 1492-1992 The Voice of the Victims, London: SCM Press, 1990, p.79.

[15] Ziffer 129 unter https://www.projectmadurai.org/pm_etexts/pdf/pm0153.pdf (abgerufen am 14.9.2022).

[16] Erich Fromm, The Sane Society, New York: Fawcett Premier, 1995, S. 85.

[17] Gabriele Dietrich & Bas Wielenga, S. 99.

[18] Erich Fromm, S. 93.

[19] James N. Polling, S.91ff.

[20] Vandana Shiva, „Anna Swaraj (Ernährungssouveränität)“ in Re-visioning Paradigms, by Mercy Kappen (Ed), Bangalore:  Visthar, 2015, pp.157-58. 

[21] https://www.livemint.com/news/india-ranks-101-on-global-hunger-index-govt-says-not-true-picture 11658487085245.html, abgerufen am 7. Oktober 2022

[22] Caitlyn Schuchhardt, „Von Bhopal zum Bakken: A Transnational Tale of Two Aquifers“ in Re-visioning Paradigms von Mercy Kappen (Ed), Bangalore: Visthar, 2015, S.78.

[23] Aarti Dhar, „Outdoor pollution is Carcinogenic: WHO“ The Hindu, Madurai, Freitag, 18. Oktober 2013.

[24] „Meeting to discuss law on cell phone towers“, The Hindu, Bangalore Edition, 9/11/12, S. 9. [Ref. Down to Earth Jan.16-31, 2011; Mar.16-31, 2011, S.8].

[25] Helen Caldicott (Hrsg.), Sleepwalking to Armageddon: The Threat of Nuclear Annihilation, New York: New Press, 2017, S.x. 

[26] Claude Alvares, „Science, Colonialism and Violence: A Luddite View“ in Science, Hegemony and Violence: A Requiem for Modernity, herausgegeben von Ashis Nandy, Delhi: OUP, 1990, S. 69

[27] Claude Alvares, „Wissenschaft, Kolonialismus und Gewalt: A Luddite View“, S. 68.

[28] Claude Alvares, ebd., S. 82

[29] Ashis Nandy, „How to live happily with torture“ in Re-visioning Paradigms by Mercy Kappen& others (Eds), Bangalore: Visthar, 2015, S.92.

[30] Ashis Nandy, ebd., S. 96.

[31] Ashis Nandy, ebd., S. 99.

[32] Fritjof Capra, The Turning Point: Science, Society and the Rising Culture, London: Flamingo, 1984, S. 141.

[33] Erich Fromm, The Sane Society, New York: Fawcett Premier, 1990, S. 24.

[34] Ref: Solomon Victus „Care and Counselling in Inter-Religious Context of India and the Necessity of Social Change“ in Care, Healing and Human Well-being within Interreligious Discourses (Eds) Helmut Weiss, et al., Germany: Gesellschaft für Interkulturelle Seelsorge und Beratung (SIPCC) & African SUN Media, 2021.

[35] Bas Wielenga, „Learning Social Analysis in a Theological Perspective“, in Venturing into Life: The Story of the Tamilnadu Theological Seminary (Hrsg.) von Samuel Amirtham & C.R.W. David, Madurai: TTS, 1990, S.183.

[36] Eugene Kennedy, The Pain of Being Human, Mumbai: Better Yourself Books, 1998, p.35.

[37] George A. Buttrick, God, Pain and Evil, New York: Abingdon, 1966, p.79.

[38] Eugene Kennedy, The Pain of Being Human, Mumbai: Better Yourself Books, 1998, p.15.

[39] Harsh Mander, Fear and Forgiveness: The Aftermath of Massacre, New Delhi: New Delhi, 2009, p.xvi.

[40] Israel Selvanayagam, “Pastoral Counselling for Creative Encounters with People of Other Faiths” Madurai: Arasaradi Journal of Theological Review (AJTR), Vol.VIII, 1&2 Jan-Dec. 1995, p.56-57

[41] Jürgen Moltmann, On Human Dignity: Political Theology and Ethics, London: SCM Press Ltd, 1984, p.186.

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