Schöne Sommerferien – mit Musik!

von Dr. Martin Fricke

Einen sommerlichen Blogbeitrag wünscht sich die Schriftleitung. Leicht soll er sein, ermutigend, passend für´s Urlaubsgepäck. Gar nicht so einfach, denke ich; am Ende eines Schuljahres gehen einem erbauliche Ideen aus, nach einer langen Kirchenkreis-Saison ist das Gespür für Leichtigkeit ziemlich geschrumpft. Also beschließe ich, einfach von meinem Übergang in die Sommerferienzeit zu erzählen. Der stand in diesem Jahr ganz im Zeichen zweier musikalischer Ereignisse. Ich habe sie beide genossen und möchte keines missen. Allerdings konnten sie unterschiedlicher kaum sein… Freitagabend, Tonhalle: Walpurgisnacht an Mittsommer. In Düsseldorfs Konzerttempel werden unter anderem Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy und seiner Schwester Fanny Hensel aufgeführt. Wie immer großartig: die „Düsis“ und der Chor des Städtischen Musikvereins, ebenso die Solist*innen. Hochkultur pur! Musik, die Brücken schlägt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Tod und Leben, Freude und Leiden. Fanny, vier Jahre älter als Felix und mindestens so talentiert wie er, hat 1831 ein tongewaltiges „Oratorium nach Bildern der Bibel“ komponiert. Sie selbst nannte das Werk „Choleramusik“, denn es war dem Gedenken an die Opfer einer Cholera-Epidemie gewidmet, die Berlin in jener Zeit heimsuchte. Bezeichnenderweise wurde das Oratorium anlässlich des Geburtstages ihres Vaters privatissime uraufgeführt und geriet danach in Vergessenheit. Denn anders als ihrem Bruder Felix war ihr als Frau eine öffentliche Karriere verwehrt. „Fortan“, lese ich im Konzertprogramm, „fühlte sich Fanny wie ein Vogel im goldenen Käfig, während Felix die große Bühne betrat. Das Band zwischen ihnen hielt dennoch: Sie kannte jede Note, die ihr Bruder komponierte und umgekehrt. Sie führten eine Art `Korrespondenz in Tönen´ – ein Verhältnis, das sich in ungezählten Briefen manifestierte und bis zu Fannys jähem Lebensende fortdauern sollte. Während einer Probe zu seiner `Walpurgisnacht´ erlitt sie einen Schlaganfall und verstarb – mit seiner Musik im Herzen.“ Auch „Die erste Walpurgisnacht“ wird am Freitagabend gespielt. Und sie ist ebenfalls großartig. Inhaltlich geht es in dieser „weltlichen Kantate“ um den Konflikt zwischen christlicher und heidnischer Religiosität. Dass das „Pfaffenchristentum“ bei Mendelssohn nicht gut wegkommt, lässt mich zwischenzeitlich die Stirn runzeln. Aber nicht lange! Den hymnenartigen Schlusschor „Dein Licht, wer kann es rauben?“ höre ich so, dass er alle Glaubensgegensätze und überhaupt alles, woran wir im Leben und Sterben unser Herz hängen, auf einer höheren Ebene umgreift. Und ich frage mich, was sonst so etwas vermag – außer die Musik.

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Samstagabend in der Arena in Stockum, kontrastiger könnte das Programm nicht sein: „Die Toten Hosen“ im Fußballtempel, 40 Jahre „Alles aus Liebe“. Die Show ist gigantisch, die Bässe wummern, Text und Musik gehen ohne Umweg über die Großhirnrinde direkt dahin, wo der Alkohol schon ist. Pogo im Innenraum, Party, Emotion, Ekstase. Ich lasse mich mitreißen und träume in ein, zwei rührseligen Momenten davon, wir könnten in der Kirche derartig enthusiastische Gemeinschaftserfahrungen erzeugen. Und Augenblicke, in denen Menschen das Leben spüren. Genau das passiert beim Pogo: Wie aus dem Nichts entsteht mitten im Gedränge eine kreisrunde Fläche, in die auf das entsprechende musikalische Signal hin meist junge Männer, aber auch einige Frauen springen, um einander wild zu schubsen; nicht gewalttätig, aber durchaus handfest; sobald jemand stürzt, wird ihm oder ihr sofort aufgeholfen. Gewiss, das ist nicht jedermanns Sache. Doch davon abgesehen: sich (und einander) spüren und Gemeinschaft erleben – vielleicht ist das das Geheimnis, das die 40.000 an diesem Abend in der Arena verbindet. Die Hosen jedenfalls sind meisterhafte Mystagogen dabei. Und wären nicht bei „Hier kommt Alex“ oder „An Tagen wie diesen“ längst schon alle Dämme gebrochen – wenn als Zugabe „You´ll never walk alone“ geschmettert wird, fühlt sich auch der Letzte endgültig in einer höheren Gemeinschaft aufgehoben, die in (fast) allen Höhen und Tiefen trägt. (Campino selbst hat das biographisch in seinem Buch Hope Street auf den Seiten 305-318 beschrieben.)

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Zwei musikalische Events, die unterschiedlicher kaum sein könnten… Tatsächlich? Ich frage mich, was ein Außerirdischer sagen würde, der die Klänge aus Tonhalle und Arena in die Weiten des Alls aufsteigen hört; oder der in hunderten von Jahren das Musiklager der Menschheit auf Spitzbergen durchstöbert. Würde er, sie, es diese Unterschiedlichkeit wahrnehmen? Oder einfach nur, dass die Musik, dass Rhythmen und Töne, Harmonien und Melodien offenbar etwas Urmenschliches sind? Etwas, das uns als Menschen ausmacht und uns, so unterschiedlich unsere Geschmäcker, kulturellen Eigenheiten und Ansprüche und sozialen Rollen auch sein mögen, viel stärker verbindet, als dass es uns trennt? Würde er / sie / es uns durch die Musik nicht vielleicht sogar erst als die eine Menschheit erkennen?

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen von Herzen eine musikalische Sommerferienzeit! Wenn Sie in den Urlaub fahren oder sich auf die heimische Hängematte freuen, packen Sie doch eines dieser beiden ganz unterschiedlichen Bücher in´s Reisegebäck beziehungsweise in die Campingtasche. Oder, besser noch, beide!

  • Peter Härtling, Liebste Fenchel! Das Leben der Fanny Hensel-Mendelssohn in Etüden und Intermezzi, Köln 2011 (ISBN 978-3-462-04312-9)
  • Campino, Hope Street. Wie ich einmal englischer Meister wurde, München 2020 (ISBN 978-3-492-07050-8)

Wenn Sie die Lektüre inspiriert – wer weiß, vielleicht haben Sie dann selbst Lust, einmal (wieder) Musik zu machen. Möglicherweise holen Sie Ihre Blockflöte aus Kindertagen hervor oder Ihre alte Geige. Oder sie entstauben das Schlagzeug im Keller. Oder sie summen und singen einfach, wenn Ihnen danach ist. Wenn mich nicht täuscht, was ich in den Musiktempeln unserer Stadt erlebt habe, erfüllt selbst das in der Freude und im Leiden unsere Seele, was in den Ohren anderer ausgesprochen gewöhnungsbedürftig klingen mag. Und vor dem Ewigen wird es wie ein Gebet sein.

Seien Sie behütet! Ihr Martin Fricke.

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