So oder so – Betrachtungen zu einem vielfarbigen Phänomen

von Dr. Gabriela Köster

Ein Regenbogen scheint etwas Besonderes zu sein. Bisher habe ich noch niemanden getroffen, der einen Regenbogen sieht und sich desinteressiert abwendet. Regenbögen sind ein echter Hingucker – manchmal treten sie sogar zu zweit auf oder wie hier mit Nebenbögen oder anderen Spezialeffekten. Die meisten Menschen sehen in ihm etwas Schönes: den meist kurzen und unerwarteten Moment, da Regen und Sonnenschein kooperieren und ein Naturschauspiel auf die ganz große Bühne bringen, zur spontanen, quasi unreflektierten Freude der Menschen.

Quelle: Johannes Bahrdt.jpeg

Ob sich Viktor Orbán und seine Mitläufer:innen in ihrer allgemeinen Verblendung an dem Naturschauspiel auch erfreuen können? Oder sehen sie gleich die Regenbogenfahne und die drohende Illumination von Stadien (soweit diese über die notwendige Technik verfügen), die nach ihrer und nach der Ansicht der UEFA verboten gehören?

Könnten Sie eine Regenbogenfahne freihändig malen? Gelb in der Mitte und von dort ausgehend in Richtung Violett und auf der anderen Seite in Richtung Rot – soweit wäre ich freihändig gekommen. Aber wo ist unten und oben? Und wie viele Streifen soll man malen? Sechs oder sieben, und wirklich das Gelb in die Mitte? Ich hätte es nicht so genau gewusst. Zum Glück gibt es einen Wikipedia-Artikel dazu.

Am Anfang der Corona-Zeit hat eine mir näher bekannte Leiterin eines Kindergartens vor Sehnsucht nach den Kindern, die zuerst ein paar Wochen alle zuhause bleiben musste, mit ihrem Team zwei Dinge getan: Masken genäht für die Erwachsenen und Regenbogen gemalt für alle 100 Kinder. Man wusste noch nicht, wie gefährlich die Epidemie (und kurz später Pandemie) denn sei. Die Regenbogen wurden als Postkarten verschickt mit dem Satz: „Alles wird gut.“ Der Regenbogen als Symbol der Hoffnung, unmittelbar verständlich für Menschen ab drei Jahren. Die Menschen, mit denen ich darüber gesprochen habe, empfinden den Regenbogen als schön und „irgendwie“ als ein Hoffnungszeichen, ein Symbol für etwas Großes: für Frieden, Toleranz, Akzeptanz, Vielfalt von Lebensformen, Hoffnung und Sehnsucht. Oder als Hinweis auf Transzendenz.

Und so war der Regenbogen auch gemeint, als er aus Gottes persönlicher Bundesschluss- Festschmuck-Manufaktur geliefert wurde, wie man in Genesis 9,12-17 nachlesen kann:  Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich geschlossen habe zwischen mir und euch und allem lebendigem Getier bei euch auf ewig. Meinen Bogen habe ich in die Wolken gesetzt; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde. Und wenn es kommt, dass ich Wetterwolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken. Alsdann will ich gedenken an den Bund zwischen mir und euch und allem lebendigem Getier unter allem Fleisch, dass hinfort keine Sintflut mehr komme, die alles Fleisch verderbe. Darum soll mein Bogen in den Wolken sein, dass ich ihn ansehe und gedenke an den ewigen Bund zwischen Gott und allem lebendigem Getier unter allem Fleisch, das auf Erden ist. Und Gott sagte zu Noah: Das sei das Zeichen des Bundes, den ich aufgerichtet habe, zwischen mir und allem Fleisch auf Erden. Ganz schön redundant, was Gott da gesprochen hat. Fängt Gott langsam an, vergesslich zu werden? Vielleicht braucht weniger Gott ein Erinnerungszeichen, das an den Bund zwischen Gott und allen Menschen (und nicht zuletzt den Tieren) erinnert, sondern vielleicht sollen wir Menschen des Bundes gedenken, in dem Gott und wir verbunden sind. Dieser Bund, der in Fachkreisen „noachidischer Bund“ heißt, ist bis heute ebenso ungekündigt wie der spätere Bund Gottes mit dem Volk Israel am Sinai, in den wir Christen dann durch Zugehörigkeit zu Jesus Christus dann noch später nachträglich hinzu aufgenommen worden sind. Auch dieser Bund hat wie der vom Sinai ein paar Gebote, aber nur sieben.

Quelle: Gemälde von Joseph Anton Koch:
Noahs Dankopfer um 1803

Wir Menschen haben diese sieben Gebote schon 7 mal 70 mal übertreten und doch sind wir aus der EU Gottes nicht ausgeschlossen worden. EU steht dabei nach meiner Kenntnis für „Ewige Union“. Oder auch für „einheitliche Union“. Laut Genesis 1,27 schuf Gott den Menschen zu seinem Bilde, also alle Menschen und nicht nur die weißen, heterosexuellen, männlichen Menschen ohne Behinderung, sondern auch die bis heute nicht voll anerkannten weiblichen, homosexuellen, People of Colour mit und ohne Behinderung und alle Geschlechter dazwischen. Zumindest bei der Geburt ist die Ebenbildlichkeit jedes Menschen mit Gott exakt von derselben, ein-heitlichen Qualität. Soweit der – ich gebe zu: beinahe unzulässig verkürzte – theologische Exkurs. Und jetzt noch einmal zurück zum Regenbogen: Der amerikanische Geistliche James William van Kirk entwarf 1913 eine Friedensflagge mit Regenbogenstreifen, Sternen und einem Globus und unternahm mit ihr zwei Friedenreisen durch Europa. Der Weltfriedenskongress übernahm sie später als „Flagge des Weltfriedens“: sieben Farben, Gelb trotzdem nicht mittig.

Quelle: Peace Congress Flag.jpeg

Eine andere Form der Regenbogenfahne steht für die internationale Friedensbewegung, die Bandiera della Pace kam zum ersten Mal bei einem Friedensmarsch im September 1961 zum Tragen. Später wurde sie weltweit zu einem Anti-Kriegs-Symbol. Anders als auf der unteren Abbildung sind normalerweise die sieben Farben von Violett nach Rot angeordnet, also andersherum als bei einem natürlichen Regelbogen. Manchmal ist Violett auch an einer anderen Stelle oder fehlt, was aus Sicht früherer Feministinnen gar nicht geht.

Quelle: Bernd_Schwabe_Hannover.jpeg

Seit den 1970er Jahren ist die Regenbogenfahne ein internationales schwul-lesbisches Symbol. Dabei unterscheidet sie sich von der Pace-Fahne in drei Details: nur sechs statt sieben Farben in umgekehrter Reihenfolge (Rottöne oben, Blautöne unten, wobei Violett zu den Blautönen gezählt wird) und der Schriftzug (Pace, Peace, Paix, Schalom, Salam, Frieden in anderen Sprachen) fehlt. Die Geschichte dieser Fahne ist interessant, aber so umfangreich, dass sie hier nicht nacherzählt werden kann.

Vielleicht machen Sie es wie ich und achten in Zukunft noch ein bisschen mehr auf die Regenbogenflagge, wo sie Ihnen begegnet und wo sie fehlt: an Kindergärten, an Greenpeace-Schiffen, am Arm von Nationaltorhütern, als Umhang und als Winkelemente von Fans im Stadion, an der Stadionaußenseite, am Rathaus, an Kinderbekleidung, an Einhörnern, auf Geschenkpapier, auf dem Christopher Street Day (wird zu unterschiedlichen Terminen als Parade gefeiert), auf Ostermärschen, an Schwulenbars, an Kirchen. Gerne können Sie Ihren Fundort in die Kommentare schreiben oder mir ein Foto davon zumailen (Gabriela.Koester@evdus.de). Besonders raffiniert fand ich die Lösung, die die Berliner Parochialgemeinde gefunden hat für ihre Fahne: Wenn schon nicht bogenförmig wie damals, als Gott noch selbst den ersten Bundesschluss mit Regenbogen beflaggt hat, dann eben als Verweis auf die Transzendenz vertikal. Und die Leserichtung der Farben bleibt offen: die Naturform oder die Symbolform, beides liegt im Auge der Betrachter:innen. Oder an der Windrichtung.

Quelle: Regenbogenfahne an der Parochialkirche in Berlin 2020
Foto: Gabriela.Köster.jpeg

Ob sich Orbán und Konsorten am Regenbogen noch erfreuen können oder ob ihnen schon jegliche Form kindlicher, kreatürlicher oder auch reflektierter Menschenfreude abhandengekommen ist, ist – wie der Kabarettist Jürgen Becker zu sagen pflegt – „für misch persönlisch unintressant“. Oder auch: „So leid es mir tut, so egal ist es mir auch!“

Quelle: Renate_Hoffmann_Korth.jpeg

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