Grußwort zur Verabschiedung von Katja Kriener aus der Evangelischen Stadtakademie Düsseldorf in den Ruhestand, Johanneskirche Düsseldorf 17.11.2024
Liebe Katja, meine sehr geehrten Damen und Herren,
was sagt man, wenn man eine liebe Kollegin in den Ruhestand verabschiedet? In Vertretung von Gabriela Köster mache ich so etwas heute zum ersten Mal in meinem Leben. Wie macht man das? Ich habe mich im Internet informiert. Die Homepage der Firma Workingoffice bietet ihre Dienste an. „Der Abschied aus dem Arbeitsleben ist ein einschneidendes Ereignis“, lese ich auf deren Homepage, „Daher erfordert eine Rede zur Verabschiedung in den Ruhestand viel Fingerspitzengefühl“. Das war doch gut zu wissen. Darauf wäre ich ohne fremde Hilfe nicht gekommen.
Die meisten Musterreden der Firma Workingoffice waren hinter einer Paywall verborgen. Doch von einer war der Anfang frei zugänglich:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, heißt es da
heute ist ein besonderer Tag für uns, denn wir sagen einem langjährigen Mitarbeiter und Freund „Auf Wiedersehen“ und wünschen ihm alles Gute für seinen wohlverdienten Ruhestand. [Name des Mitarbeiters] war ein integraler Bestandteil unseres Teams und hat uns in den letzten [Anzahl der Jahre] Jahren mit seiner harten Arbeit, seinem Engagement und seiner Expertise bereichert. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, dass unser Unternehmen in den letzten Jahren große Erfolge feiern konnte und hat uns immer wieder mit neuen Ideen und Impulsen inspiriert.
Das war die empfohlene Einleitung. Danach, so schreibt die Firma Workingoffice, folgt der Hauptteil, und den soll man am besten persönlich und individuell gestalten und mit einer amüsanten Anekdote oder einem Zitat beginnen. Heutzutage, so habe ich gelernt, müssen Zitate nicht mehr unbedingt von Goethe stammen, die Zeiten haben sich geändert, gerade international aufgestellte Unternehmen wie Workingoffice ziehen gern allgemein bekannte amerikanische Schriftsteller heran. Empfohlen wird von Josh Billings der Spruch: „Ein Mann im Ruhestand ist oft ein Mann, der auch in seiner aktiven Zeit zu beschäftigt war.“
Findest Du Dich darin wieder, liebe Katja? Ich war mir nicht sicher, ob ein so dezidiert männlich konnotiertes Zitat nicht auch einen gewissen Ärger hinaufbeschwören könnte. Ich habe das Zitat also fallen gelassen und greife zur anderen Möglichkeit, dem Einstieg mit einer amüsanten Anekdote aus der gemeinsamen Arbeit. Bald, nachdem Du bei uns angefangen hast, mussten wir aus der Bastionsstraße ausziehen. Was macht man mit vierzig Bibeln, von denen man nicht weiss, an welchem Ort man sie gebrauchen wird und wo man sie lagern kann? Wie ich feststellte, passen sie in einen Trekking-Rucksack, aber eine einzige Bibel wiegt 995 Gramm, etwas viel, um den Rucksack in den vierten Stock zu tragen. Ich war entsetzt, verzweifelt und vielleicht auch emotional blockiert über den planlosen Umgang mit der Heiligen Schrift. Wie kann es sein, dass es für diese vierzig Kilo Buch keinen Ort gibt? Aber Du bist damit pragmatisch umgegangen, zwölf in die Südstraße, ein wenig mehr in einen zu besorgenden Schrank in der Hohen Straße und der Rest eingemottet in Gerresheim für die Zeit nach dem Umzug.
Im Herbst 22 stiegst Du in das laufende Programm ein, das Gabriela und ich erstellt hatten. Im Dezember, kurz nach der Synode, kam die Nachricht, dass das Haus in der Bastionsstraße geschlossen wird, Ende Januar erfuhren wir, dass das unser Programm, üblicherweise im Mai fertig, diesmal in vier Wochen fertig sein muss. Wie sollte das gehen? Wir waren alle schockiert, aber Du hast gesagt, ich verspreche nicht, dass ich das hinbekomme, aber fange sofort an und sehe, was geht. Ich weiss nicht, was Du gemacht hast, aber ich vermute, du hast alle Deine alten Bekannten von früher angerufen, und eine nach dem anderen bekniet, Dir aus Patsche zu helfen. Jedenfalls wurdest du fertig, sogar einige Tage zu früh, und hattest es ein tolles und abwechslungsreiches Programm auf die Beine gestellt. Ich war schwer beeindruckt und konnte nicht ganz mithalten. Wirklich kennengelernt haben wir uns erst danach.
IIn der Studienleitung waren und sind Gabriela, Du und ich ein Team ausgeprägter Typen, alle drei ausgeprägt, nur in verschiedene Richtungen. Ein Schokoladenhersteller würde uns fünf wahrscheinlich unter „große Vielfalt“ vermarkten. Es war nicht selbstverständlich, dass wir menschlich und in der Sache miteinander klarkommen würden. Selten waren wir uns einig, weder in der ‚großen‘ Politik, die in den letzten beiden Jahren leider weniger groß war, noch in der lokalen Kirchenpolitik. Wir mussten dann diskutieren und haben uns erstaunlich schnell geeinigt, entweder indem eine Seite die andere überzeugte oder indem wir Kompromisse fanden, mit denen alle leben konnten. Insgesamt habe ich die Unterschiede zwischen uns nicht als Problem, sondern als Bereicherung empfunden. Gemeinsam können wir mehr erreichen als die Summe von fünf Einzelpersonen. Gabrielas demokratischer Führungsstil hat uns das erleichtert. Als Typ bist du eher eine, die schnell aufbraust, drei oder fünf Minuten wild gestikulierend auf die anderen einredet. Am Anfang fand ich das mühsam, doch bald habe ich gelernt, dass du schnell auch wieder mit dem Thema durch bist. Man kann Dir widersprechen, du bist kompromissbereit, und wenn der Ärger verraucht ist, bist Du nicht nachtragend und kannst auch vergessen. Ich bin eher umgekehrt, am Anfang ruhig, manch mal auch zu sehr, gebe leicht nach, aber hinterher erinnere ich mich jahrelang an jedes Detail und trage nach oder ärgere mich über mich selbst. Das ist auch nicht besser, eher schwieriger.
In der Erwachsenenbildung spielte in den vergangenen zwei Jahren die Politik eine besondere Rolle. Die Stadtakademie, da waren wir uns einig, ist weder eine Aktionsgruppe noch eine politische Partei. Referentinnen und Referenten, die zu uns kommen, dürfen eine politische Meinung haben und sollen die auch entfalten. Sonst wird es langweilig. Nicht alle, die zu uns kommen, müssen einer Meinung sein. Die Qualität einer Veranstaltung hängt nicht zuletzt davon ab, dass auch Andersdenkende Gewinn aus ihr ziehen können. Diese Grundhaltung hat sich selbst in der Schule als sog. Beutelsbacher Konsens durchgesetzt. Lehrkräfte in der Schule dürfen nicht indoktrinieren, sollen aber eine eigene Meinung haben und dürfen die auch artikulieren. Sie sollen heranwachsenden Schülerinnen und Schülern dabei helfen, sich eine eigene Meinung, möglicherweise eine andere als die eigene, zu bilden. Bei Heranwachsenden, die ja abhängig sind, ist das manchmal schwer durchzuhalten. Bei uns ist das leichter. Die Menschen kommen freiwillig in die Stadtakademie, sind erwachsen und haben sich zu vielen Fragen bereits eine eigene Meinung gebildet. Sie müssen nicht erst dazu ermuntert werden, zu widersprechen, sie machen das sowieso und von sich aus. Gut so. Das belebt die Diskussion.
Als ich Dich in den letzten Wochen vertreten musste, lernte ich die von Dir eingeladenen Referentinnen und Referenten kennen. Ehrlich gesagt, nicht immer hatte ich Lust dazu, weil es einfach zu viel war, zwei Kolleginnen auf einmal zu vertreten. Mehrmals bin ich lustlos hingegangen, aber, und das ist doch überraschend, mehrmals bin ich beschwingt wieder herausgekommen. Ich finde, Du hast tolle Leute ausgesucht. Sie waren alle Pluralismus-kompatibel, und ich kann mir nicht vorstellen, in der Erwachsenbildung je eine bestimmte Position autoritär vorzuschreiben.
Wir leben in schwierigen Zeiten. Da kann es nicht das oberste Ziel einer Stadtakademie sein, eine fertige kirchliche Position möglichst effektiv im Volk zu verbreiten. Unsere Aufgabe sollte es sein, aktuelle Streitfragen mal tastend, mal unsicher und auch mal kontrovers zu diskutieren. Als Bildungseinrichtung sind wir Teil der Kirche und haben einen Auftrag. Zwar bemühen wir uns, nicht jedes Fettnäpfchen mitzunehmen, doch solange wir uns dabei an Jesus Christus orientieren, werden wir es auch nicht vermeiden können, von Zeit zu Zeit mal anzuecken. In der Vergangenheit haben wir vor keinem kontroversen Thema gekniffen, nicht vor dem Bürgerkrieg im sich auflösenden Jugoslawien und dem Völkermord von Srebrenica, nicht vor dem arabischen Frühling oder der gescheiterten grünen Revolution im Iran, nicht vor dem Streit zwischen Erdogan und Gülen oder dem Ankauf von Steuer-Sünder-Dateien durch die nordrhein-westfälische Landesregierung. Auch jetzt beschäftigen wir uns mit heißen Eisen, Donald Trump, Frauen-Kopftuch-Proteste im Iran, der Nahost-Konflikt und der Ukraine-Krieg. Wir werden keine patentierbare Schnelllösung für sehr große Probleme liefern. Wir haben den Anspruch, einen Schritt zurückzutreten, in die Tiefe zu bohren, Lieb gewordenes zu hinterfragen und Positionen außerhalb des Main-Stream einzubeziehen. Obwohl ich selbstverständlich nicht alle Deine Positionen zu all diesen Themen teile, finde ich Deine Programmteile im laufenden Programm gut. Ungeplant habe ich jetzt viele der von Dir geplante Veranstaltungen moderiert, ich fand sie alle und ausnahmslos prima und möchte mich dafür noch einmal förmlich bedanken.
Die Stadtakademie hat seit ihrer Gründung vor fast sechzig Jahren immer jemanden gehabt, der sich hauptberuflich mit dem jüdisch-christlichen Dialog beschäftigt hat. Auch Dein Leben ist geprägt durch den Rheinischen Synodalbeschluss „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“ von 1980. Ich ging damals noch zur Schule, aber Du hattest mit dem Studium schon begonnen und die Debatten recht hautnah mitbekommen, wenn ich mich richtig erinnere nicht vorher, aber zumindest nach dem Beschluss. Wie geht es bei uns jetzt weiter, wenn Deine Stelle nicht wiederbesetzt wird und statt zweieinhalb nur noch eineinhalb Studienleitende tätig sind? Ich weiss es nicht. Das wird von den zuständigen Gremien entschieden werden, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass schwierige Themen dabei ausgeschlossen werden sollen.
Wie beendet man das Grußwort zur Verabschiedung eines verdienten Mitarbeiters in den wohl verdienten Ruhestand? Die Firma Workingoffice bietet dazu einige rhetorische Anregungen. Eine gute Ansprache, sagt sie, besteht aus drei Teilen, Einleitung, Hauptteil und Schluss. Der Schlussteil soll vor allem einen Dank für die langjährigen Leistungen und gute Wünsche für die Zukunft enthalten. Wenn der Ruheständler eine angemessene Wertschätzung erfahre, erhalte nicht nur er einen positiven Eindruck, sondern auch die anwesenden Mitarbeiter und Kollegen erführen, wie wichtig und ernst Arbeit genommen werde.
Wie Sie alle wissen, ist unser Unternehmen seit mehr als zweitausend Jahren international aufgestellt und gehört damit zu den weltweit größten und nachhaltigsten Anbietern überhaupt. Talenten wie Katja Kriener bieten wir zahlreiche Chancen, ihr Karrierepotential zu entfalten. So begann sie mit einem HiWi-Posten bei dem Neutestamentler Wolfgang Schrage in Bonn, es folgte ein Vikariatsplatz bei Rainer Stuhlmann in St. Augustin, später kamen Studienleitungsstellen an unserer Melanchthon-Filiale in Köln, dann einige Auslandsjahre Nes Ammin und zuletzt der Höhepunkt ihrer Karriere die Evangelische Stadtakademie Düsseldorf. Übersprungen habe ich einige Jahre als Referentin für jüdische-christlichen Dialog im Landeskirchenamt. In den meisten Firmen der Welt schimpft der Außendienst über den Innendienst und umgekehrt. In unserem rheinischen Unternehmen ist das anders. Immer ziehen Gemeinden und Landeskirchenamt am selben Strick, manchmal ziehen sie sogar am selben Ende. Katja Kriener konnte vom Außendienst in den Innendienst wechseln und wieder zurück. Jetzt wird sie uns verlassen, um die wiedervereinigte Hauptstadt aufzumischen. Das gibt mir die Chance, mit einem weiteren für den Ruhestand vorgeschlagenen Zitat zu enden, religionsneutral, wie man das heute so macht. Workingoffice empfiehlt eine Lebensweisheit von Konfuzius: „Wohin du auch gehst, geh mit deinem ganzen Herzen.“ Wir vier, die wir hier in unserem Dorf an der Düssel zurückbleiben möchten Dir unseren Dank aussprechen und Dir, Katja, alles Gute für die Zukunft wünschen. Vielen Dank