Abendmahl in Zeiten von Corona:
Auf Karikaturen zum Gründonnerstag diesen Jahres ist die berühmte Wandmalerei Leonardo da Vincis zu sehen: Entweder (1) Jesus feiert allein und die Jünger sind wegretuschiert oder (2) sie werden als Videokonferenz dazugeschaltet oder (3) Polizisten mit Mundschutz lösen die Versammlung auf oder (4) ein einzelner inszeniert das Bild, indem er nacheinander Jesus und alle zwölf Jünger spielt.
- https://rp-online.de/nrw/panorama/kirche-in-zeiten-von-corona-das-einsame-abendmahl_aid-49666813
- https://twitter.com/sharkcrypto/status/1246922418570104833
- https://www.reddit.com/r/blursedimages/comments/g08lhz/blursed_last_supper/
- https://www.evangelisch.de/videos/168477/09-04-2020/7-wochen-ohne-2020-zuversicht-challenge-abendmahl-gruendonnerstag-da-vinci
Die Karikaturen treffen alle denselben Punkt: Wie feiert man ein Gemeinschaftsmahl ohne Gemeinschaft?
Leib und Blut Christi kann man nicht „virtuell“ essen und trinken, sondern nur richtig oder gar nicht. Dennoch wird diskutiert, was man in unserer gegenwärtigen Diskussion machen soll, wozu man theologische Grundbegriffe auf ein gegenwärtiges Problem „anwendet“, die zwischen der alexandrinischen und der antiochenischen Schule des zweiten bis vierten Jahrhundert entstanden und zwischen Luther und Zwingli bzw. Calvin im sechzehnten Jahrhundert fortentwickelt wurden.
Der griechische Philosoph Aristoteles unterschied zwischen “Substanz“ und „Akzidenz“, einem „Zugrundeliegenden“ und seinen „Eigenschaften“. Die durch ihn geprägten in Antiochia ansässigen christlichen Theologen meinten, beim Abendmahl wandle sich die „Substanz“ von etwas Irdischem zu etwas Himmlischen, während die „Akzidenz“ (der Geschmack, die Farbe, heute: die chemische Zusammensetzung) dieselbe bliebe.
Dieses Gedankenmodell tendierte dahin, das Abendmahl als rein geistiges Geschehen zu verstehen. Plato hingegen unterschied zwischen Bild und Abbild, wobei die ihm folgenden alexandrinischen Theologen eher zu einer Deutung tendierten, derzufolge Brot und Wein ganz zum eucharistischen Leib gehoben werden, womit Christus im Abendmahl ganz und gar gegenwärtig ist, mit den Worten lutherischer Theologie „in mit und unter“ Brot und Wein. Doch hat auch Calvin bei aller Betonung der Geistigkeit des Geschehens nie behauptet, dass man aufs Essen und Trinken verzichten könne. Umgekehrt hat lutherische Theologie nie die Wichtigkeit des Glaubens beim Essen und Trinken geleugnet, sondern nur besonderen Wert darauf, dass man ihn nicht zur Voraussetzung für den Empfang des Abenmahls machen könne, sondern er Folge des Abendmahle sei; die Präsenz Christi dem persönlichen Glauben also „voraus“ gehe.
Wahrscheinlich macht es auch heute einen Unterschied, ob man Fernsehkamera und Fernsehbildschirm, Internetkamera und Streamingabruf in platonischen oder in aristotelischen Kategorien analysiert, also als Bild und Abbild oder als Substanz und Akzidenz. Allerdings kann man auf beiden Wegen jeweils zu unterschiedlichen praktischen Schlussfolgerungen kommen. Auch ist Philosophie seither weitergegangen. Insofern empfinde ich die Debatte ein wenig mühsam und möchte ich im Folgenden versuchen, ohne diesen Begriffsapparat auszukommen:
Schon immer blieb im Gemeindegottesdienst, wer (aus welchen Gründen auch immer) nicht am Abendmahl teilnehmen wollte, auf seiner oder ihrer Bank sitzen. Diese Möglichkeit besteht auch heute vor dem Bildschirm. Allerdings würden einige Menschen gerne am Abendmahl teilnehmen, können aber nicht und wären enttäuscht. Erwartbare Enttäuschungen sollten bei der Planung virtueller Gottesdienste möglichst vermieden werden. Seit es evangelische Fernsehgottesdienste gibt, feiert man sie fast immer ohne Abendmahl. Auch sonst änderte sich die Gottesdienstpraxis mit dem neuen Medium: Im Fernsehgottesdienst (ganz zu schweigen vom Radiogottesdienst) wäre ein längeres stilles Gebet schwer vorstellbar; schon 3 Sekunden Schweigen gelten als Zumutung.
Einen virtuellen Abendmahlsgottesdienst, bei dem ich „Zuschauer“ bleibe und Brot und Weit zwar sehen, aber nicht empfangen kann, finde ich emotional blöd und theologisch daneben. Im Gottesdienst bin ich kein Zuschauer, auch kein Kunde, der ein kirchliches „Angebot“ wahrnimmt, sondern Teil derselben Gemeinde Christi wie die „Amtsträger“, die irgendwo fern von mir vor einer Fernsehkamera agieren. Deren Essen und Trinken kann meines nicht ersetzen.
Vorstellbar wären (und werden auch diskutiert) Abendmahlsfeiern, bei denen ich mir zuvor mein eigenes Brot und meinen eigenen Wein besorgt habe, sie „gemeinsam“ mit anderen vor ihren Bildschirmen und vor der Kamera als virtuelle Gemeinde esse und trinke, im Falle des Streaming auch zeitlich versetzt. Im Netz findet man mit etwas Suchen entsprechende Gottesdienste; ich habe da eine emotionale Sperre und muss das nicht haben. Dennoch sehe ich auch nicht ein, warum man dagegen die ganz schweren Geschütze lutherischer Theologie auffahren müsste: „In, mit und unter“ Brot und Wein war Christus nach lutherischer Theologie schon immer an mehreren Orten gleichzeitig präsent, wenn in mehreren Kirchen gleichzeitig Abendmahl gefeiert wurde. Neu wäre am virtuellen Abendmahlsgottesdienst, dass der ordinierte Pfarrer, die ordinierte Pfarrerin nicht vor Ort ist, sondern nur virtuell zugeschaltet, doch sehe ich nicht, wieso das der realen Präsenz Christi „in, mit und unter“ Brot und Wein vor Ort irgendetwas nehmen könnte. Sofern ich mit anderen meiner Hausgemeinschaft gemeinsam esse und trinke, bilden wir vor Ort eine echte (Kleinst-)Gemeinde, die biblischen Anforderungen genügt („Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind“).
Doch seit wann benötigt man Flachbildschirme und Internetanschlüsse, um Abendmahl zu Hause zu feiern. Geht es nicht sowieso ohne ordinierten Pfarrer, ordinierte Pfarrerin? Der EKD kamen da Bedenken, während die Evangelische Kirche im Rheinland für die Ostertage zu Hause eine Notliturgie inklusive Abendmahlfeier präsentierte.
https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/Hinweise%20zum%20Umgang%20mit%20dem%20Abendmahl%20in%20der%20Corona-Krise.pdf
https://www.medienpool.ekir.de/A/Medienpool/91299?encoding=UTF-8
Margot Käßmann, die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD aus Hannover, argumentierte tendenziell eher auf der Linie der rheinischen Kirche: „Nach evangelischem Verständnis ist jeder getaufte Christ Bischof, Priester, Papst. Also du kannst auch taufen, du kannst auch das Abendmahl vollgültig feiern im Familienkreis. Ich kann meinen Glauben leben, auch wenn eine Pfarrerin, ein Pfarrer im Moment nicht erreichbar ist.“
Die Geschwindigkeit, mit der Käßmann jahrhundertealte Amtsdiskussionen wegwischt und von der EKD (mit Rücksicht auf die Ökumene?) unterzeichnete amtheologisch steile Papiere nicht einmal diskutiert, empfinde ich als ein wenig flach. Dennoch möchte ich im Ergebnis sowohl Käßmann als auch der rheinischen Kirchenleitung Recht geben.
Weitere Debattenbeiträge:
https://zeitzeichen.net/node/8291
https://zeitzeichen.net/node/8223
https://zeitzeichen.net/node/8235
https://zeitzeichen.net/node/8222
https://www.evangelisch.de/inhalte/168406/08-04-2020/evangelische-theologen-debattieren-ueber-das-online-abendmahl
Dr. Uwe Gerrens, Ev. Stadtakademie