Warum zahle ich so viel Kirchensteuer?

Dr. Uwe Gerrens
von Dr. Uwe Gerrens

Im Jahr 2019, dem letzten „normalen“ Jahr vor der Corona-Krise, nahm die EKD € 5,95 Milliarden Euro Kirchensteuer ein. Die EKD hatte 20,71 Millionen Mitglieder, pro Kopf macht das monatlich 23,94 € (zum Vergleich: bei der katholischen Kirche sind es 29,91 €). In der öffentlichen Diskussion werden um die Kirchensteuer Glaubenskriege geführt. Entweder ist man dafür oder dagegen, und das jeweils ganz und gar. Die Zahlen geben das allerdings nicht her, zumindest der durchschnittlich erhobene Beitrag nicht.

23,94 € monatlich sind für einige Menschen eine Menge Geld, für andere eher nicht. Die Summe entspricht in etwa dem Mitgliedsbeitrag eines Düsseldorfer Tennisvereins (ohne Platzmiete), liegt aber über dem für preisgünstigere Sportarten (z.B. beim Post-Sportverein Düsseldorf: 15 € monatlich).

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Problematischer als die durchschnittliche Summe erscheint, besonders aus der Perspektive einer Trennung von Kirche und Staat, die Form der Erhebung: Die Kirchenmitgliedschaft wird beim Einwohnermeldeamt auf der elektronischen Lohnsteuerkarte eingetragen. Die Buchhaltung des Arbeitgebers führt die Kirchensteuer ab und muss dazu wissen, wer Kirchenmitglied ist und wer nicht. Aus Arbeitnehmerperspektive ist dazu zu sagen, dass das eigentlich den Arbeitgeber nichts angeht. Aus Arbeitgeberperspektive ist schwer einzusehen, warum man selbst die Verwaltungskosten für religiöse Privatangelegenheiten der Arbeitnehmer tragen soll, ohne für den erhöhten Aufwand bei der Erstellung des Gehaltszettels entschädigt zu werden. Aus kirchlicher Perspektive ist fragen, wieso das Finanzamt für das Einziehen der Lohnsteuer einen Fixbetrag erhebt und in Rechnung stellte, obwohl der viel zu hoch ist, seit die Lohnsteuer elektronisch und vollautomatisch abgewickelt wird und der Verwaltungsaufwand für das Finanzamt erheblich gesunken ist. – Logisch ist das alles nicht, aber es ist so, und es funktioniert.

Formal privilegiert das gegenwärtige Kirchensteuersystem nicht die Kirchen, sondern diejenigen „Religionsgesellschaften“, die Körperschaften öffentlichen Rechtes ist. Nur sie dürfen „auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen“ Steuern erheben. So steht es in Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung. Diesen (und eine Reihe weiterer) Religionsartikel hat das Grundgesetz mit Art 140GG übernommen, ein praktischer Kompromiss, nachdem man sich 1948/49 im Parlamentarischen Rat auf eine Neuregelung nicht einigen konnte.

Schon in der Weimarer Republik besaßen die evangelische (Landes-)kirchen, die katholische Kirche, die jüdischen Gemeinden und diverse kleinere Religions- und Weltanschauungs-gemeinschaften Körperschaftsrechte. Weitere Religionsgesellschaften können „auf ihren Antrag hin“ bis heute im jeweiligen Bundesland gleiche Rechte erwerben, „wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten.“

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Die meisten orthodoxen Kirchen in Deutschland sind seit den siebziger oder achtziger Jahren Körperschaften öffentlichen Rechtes geworden, erheben aber aus eigenem Antrieb heraus keine Kirchensteuer, weil sie diese Tradition nicht kennen und weil sie auf Spendenbasis höhere Einnahmen zu erzielen glauben. Viele Moscheevereine und -dachverbände würden gerne Körperschaft öffentlichen Rechtes werden. Doch wurden derartige Anträge bisher weitgehend mit dem Argument abgelehnt, sie erfüllten nicht die gesetzlichen Voraussetzungen. Ein Kriterium, an dem es bisher meistens scheiterte, sind unklare Mitgliedschaftsverhältnisse (etwa bei Familienbeiträgen), ein anderes sind die (in manchen Bundesländern bei Neuanträgen sehr hohen) Hürden in Bezug auf den Anteil der Vereinsmitglieder an der Bevölkerung.

Viele Muslim:innen hoffen, viele sog. Islamkritiker:innen befürchten, dass im Falle einer Anerkennung bestimmter Moscheevereine oder Dachverbände als Körperschaft öffentlichen Rechtes ein warmer Geldregen auf die Moscheen niederginge. Beide gehen von ökonomisch falschen Voraussetzungen aus. Realistischerweise steht nicht zu erwarten, dass die Einnahmen einer etwaigen Moscheesteuer die protestantische Durchschnittssumme von 23,94 € pro Mitglied übersteigen. Zwar haben die meisten Moscheevereine ein Finanzproblem, aber das liegt vor allem an ihren geringen Mitgliederzahlen, nicht an der Summe, die pro Kopf gezahlt wird. In den meisten Fällen stünden die Moscheevereine nach sofortiger Einführung einer Moscheesteuer finanziell schlechter da als bisher. Das könnte sich nur ändern, wenn sie auf höhere Mitgliederzahlen kämen. Darum können Sie sich im Rahmen existierender Strukturen allerdings schon jetzt bemühen – genauso wie jeder andere Verein. So wichtig ich es aus Gründen der Gleichbehandlung fände, wenn auch Moscheevereine den Körperschaftsstatus erwürben; ökonomisch brächte es nicht viel.

In Nordrhein-Westfalen beträgt der Kirchensteuerhebesatz 9 % der Lohn- und Einkommensteuer. Die Grundlogik ist sehr einfach: Wer 100€ Euro Lohn- oder Einkommensteuer zahlt, muss als Kirchenmitglied 9€ Kirchensteuer berappen, wer 200 € zahlt, 18 € usw. Die Berechnung der Höhe der Lohn- oder Einkommensteuer ist sehr kompliziert. Sie bemisst sich nach allen möglichen Faktoren, die allenfalls Steuerberater verstehen, unter anderem nach der nominellen Höhe ihres Lohns oder Einkommens, nach den Möglichkeiten, Werbungskosten und dergleichen vom Nominallohn wieder abzusetzen, nach Wohnort, Familienstand, Arbeitsweg usw.

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Vielleicht fragen sich einige von Ihnen sich jetzt, warum Sie deutlich mehr Kirchensteuer zahlen als 23,94 € im Monat. Dafür gibt es nur eine einzige und sehr schlichte ökonomische Erklärung: Sie verdienen mehr als der Durchschnitt der Kirchenmitglieder. Dazu müssen sie kein Krösus sein; das hat auch etwas mit den Tücken der Statistik zu tun: In die Pro-Kopf-Zahlen fließen auch diejenigen ein, die keine Kirchensteuer zahlen. Die meisten Minijobber, Kurzarbeitenden, Arbeitslosen, Minderjährigen, Auszubildenden und Studierenden, sehr viele Rentner:innen, Hausfrauen und Hausmänner usw. zahlen nichts oder fast nichts. Insgesamt macht das weit über die Hälfte der Kirchenmitglieder aus. Daraus folgt auch: Diejenigen, die Kirchensteuer zahlen, zahlen für mindestens eine andere Person mit.

In NRW wird die Kirchensteuer auf Antrag bei 3,5 bis 4% vom Lohn- oder Einkommen gekappt. Bei den historisch niedrigen Spitzensteuersätzen der Gegenwart spielt das keine wesentliche Rolle. Dennoch können 3,5 bzw. 4 % des Lohns oder Einkommens bei Spitzenverdienern beträchtliche Summen ausmachen. Damit wird die Kirchenmitgliedschaft für einige zu einem teuren „Hobby“, dem keine entsprechenden kirchlichen „Leistungen“ entgegenstehen. Das ist die Konsequenz dessen, dass auch die Kirchen ihren Mitgliedern Solidarität zur Pflicht machen, angelehnt an die Progression der Lohn- und Einkommensteuer. Wer nur in der Kategorie von Preis und persönlichem Nutzen denkt, wird irritiert sein. Der Preis für die Butter oder der Mitgliedsbeitrag im Sportverein steigen nicht, wenn man selbst mehr verdient. Der Preis für die Kirchenmitgliedschaft aber schon. Man kann sich dem nur entziehen, indem man austritt.

Schaut man sich das Arbeitsaufkommen kirchlicher Mitarbeiter:innen an, fällt auf, dass ein beachtlicher Teil kirchlicher Arbeit bei denjenigen Altersgruppen anfängt, die keine Kirchensteuer zahlen, also im Kinder- und Jugendbereich sowie bei den Seniorinnen und Senioren. Konfirmand:innen müsste man für den zweijährigen Konfirmandenunterricht vierstellige Beträge abknöpfen, wollte man sie nötigen, anteilig Pfarrersgehalt, Raummiete, Heizung, Kirchenrenovierung etc. zu bezahlen. Wenn verurteilte Straftäter die Kosten aufbringen müssten, gäbe es keine Gefängnisseelsorge. Wahrscheinlich würden sich auch Krankenhauspatienten die Krankenhausseelsorge nicht leisten können. Die Krankenkasse zahlt es jedenfalls nicht. Eine Trauung oder Beerdigung kostet Pfarrer:in inklusive Vorgespräch, Vorbereitung und Fahrtzeit vielleicht acht, manchmal auch zehn Arbeitsstunden, wird aber nicht nach Stunden abgerechnet. Bei meiner ersten Beerdigung als Vikar war ich ein wenig schockiert, dass nur zwei Trauernde kamen; aber es war selbstverständlich, dass ich das genauso ernst nahm wie jede andere Beerdigung und mich auch völlig normal vorbereitet hatte.

Das deutsche Kirchensteuersystem ist keineswegs das einzige kirchliche Finanzierungssystem. In anderen Ländern kommt die Kirche anderswie zu Geld, und es funktioniert auch. Für mich unvorstellbar wäre ein System kirchlicher Finanzierung bei dem – wie in einigen Sportvereinen – der Mitgliedsbeitrag pro Kopf erhoben wird und das solidarische Teilen unterbleibt. Auch in den USA, wo sich die Kirchen ganz und gar aus Spenden finanzieren, geben diejenigen, die mehr verdienen sehr viel größere Summen. Als ich dort studierte, wurde mir von der Gemeinde, in die ich in den Gottesdienst ging, auf Rückfrage beschieden, irgendeine regelmäßige Summe gebe hier jede:r, aber Studierende selbstverständlich nicht, die hätten ja nichts. Im Ergebnis hat – ganz wie in Deutschland – jemand anderes für mich mitgezahlt.  

In der Gruppe derer, die nach deutschem Kirchensteuersystem die Evangelische Kirche wesentlich finanzieren, sind gut verdienende erwerbstätige Männer zwischen 40 und 65 überproportional häufig vertreten. Das ist derselbe Personenkreis, der im Gottesdienst (zum Teil auch bei Akademieveranstaltungen) eher unterproportional repräsentiert ist. Hingegen treffe ich – zumindest meinem Gefühl nach – bei ehrenamtlichen Tätigkeiten Hausfrauen mit älteren Kinder und Rentnerinnen häufiger an. Wahrscheinlich haben die einen mehr Geld und die anderen mehr Zeit. So gleicht sich manches wieder aus, anderes aber auch nicht. Diejenigen, die überproportional viel Kirchensteuer zahlen, sind aufgrund des Steuergeheimnisses auch in der Kirche namentlich nicht bekannt. Niemand sieht, wer sie sind, was sie für die Kirche tun und, warum. Deshalb kann man sich bei ihnen auch nicht persönlich bedanken. Ich hoffe, dass mein Dank auf diese indirekte Weise doch zumindest einige davon erreicht, jedenfalls diejenigen unter ihnen, die diesen Artikel lesen. Vielen Dank, Sie haben damit, vielleicht ohne es zu bemerken, auch etwas für andere getan.

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