„Wie der Syrienkonflikt nach Deutschland kam“

Virtueller Salon der Stiftung Mercator

Dr. Uwe Gerrens
Ein Beitrag von
Dr. Uwe Gerrens

Zu den besonderen Privilegien eines Studienleiters gehört es, sich selbst fortbilden zu dürfen. Besonders gerne nehme ich an den Tagungen der Essener Stiftung Mercator teil, weil man dort nicht nur spannende Themen und interessante Menschen kennenlernen kann, sondern weil es dort auch ein ausgezeichnetes Essen gibt. Da die Räume zwar groß und schön sind, aber immer noch weniger Menschen fassen, als sich interessieren, benötigt man allerdings eine Einladung.

Dieses Jahr fiel die Fahrt nach Essen wegen Coronas aus, gut für meine Figur, schlecht für meine Kontakte mit Menschen, die sich für dieselben Themen interessieren. Doch fand die Veranstaltung im Netz statt und ist als  „virtueller Salon“ jetzt frei zugänglich, ein youtube-Video mit eineinhalb Stunden Gespräch, keine raffinierte Kameraführung, kein „Methodenwechsel“, nicht die eineinhalbminütigen „Teaser“, die bei den Polit-Talk-Sendungen im Fernsehen für Abwechslung sorgen sollen, sondern Inhalte pur: „Wie der Syrien Konflikt nach Deutschland kam“.

Wenn Sie sich auf eine spröde Präsentationsform einlassen mögen, schnörkellos sachlich, unprätentiös und frei von Infotainment, aber zielgerichtet, mit Herzblut für das geschundene Land und ohne langes Herumgerede um den heißen Brei, sind sie hier am richtigen „Ort“. Meinem Temperament kommt diese Form sehr entgegen.

Foto: Stiftung Mercartor.jpg

Der Schauspieler und Journalist Louis Klamroth interviewt die Journalistin und Politikwissenschaftlerin Kristin Helberg, von 2001 bis 2008 die einzige offiziell akkreditierte westliche Journalistin in Syrien, die jetzt als Fellow der Stiftung über die etwa 800 000 Syrerinnen und Syrer in Deutschland forscht. Wir erfahren, wie sie arabisch lernte, drei Jahre um ihre Akkreditierung kämpfte und wo für den syrischen Geheimdienst die roten Linien waren, die sie als Journalistin nicht übertreten durfte. Bei vielen Prozessen gegen Oppositionelle war sie, neben den Vertretern der Konsulate, die einzige Beobachterin; manchmal half ihr, dass man in Syrien die Bedeutung einer Rundfunkjournalistin unterschätzte und froh war, wenn sie keine Fernsehkamera mitbrachte.

Die aktuelle Lage der Syrer in Deutschland schätzt sie sehr disparat ein. Während es sich bei den ersten 30 000 Syrern, die schon in den sechziger und siebziger Jahren nach Deutschland kamen, meist um Ingenieure und Ärzte handelte, bilden die Syrer, die seit dem Bürgerkrieg nach Deutschland kamen eine bunte Mischung, stammen aus der Stadt ebenso wie aus ländlichen Gebieten, sind Christen, Sunniten, Alawiten oder anderes. Sie stammen auch aus fast allen sozialen Schichten, mit Ausnahme der Allerärmsten, die es meist nicht bis nach Deutschland geschafft haben und deren Flucht vor dem Bürgerkrieg innerhalb Syriens endete oder in den Nachbarländern, im Libanon oder in der Türkei.

Auch politisch ist von Oppositionellen bis zu ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern alles möglich; ein erster Prozess gegen einen Folterer, nach Völkerrecht inzwischen in Deutschland rechtlich zulässig, läuft zurzeit in Koblenz. Wie sieht die Zukunft für den „Wiederaufbau“ aus, nachdem Assad den Bürgerkrieg gewonnen hat und der Westen die Opposition, die noch im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ zu seinen Verbündeten zählte, nicht mehr unterstützt?
Helbergs Prognose sieht kurz und mittelfristig düster aus. Solange das gegenwärtige Regime an der Macht ist, wird es nicht besser werden, jedenfalls nicht grundsätzlich.
Eine gewisse Chance bietet die UNO-Geber-Konferenz für den Wiederaufbau Syriens, bei der auch Deutschland 1,6 Milliarden Euro an Hilfe zugesagt hat. In Helbergs Augen wäre es sinnvoll, dass die Geber bei der Vergabe ihrer Gelder als alleiniges Kriterium die humanitäre Hilfe zuließen und jedwede Hilfe an die Bedingung knüpften, dass das Geld nicht zu hundert Prozent vom Regime und von Regime-nahen Unternehmen vereinnahmt wird. Das ist sehr schwer zu realisieren, weil Geld und Macht in Syrien stark verknüpft sind. Berlin müsste bereit sein, sich unbeliebt zu machen. Gleichwohl besteht eine gewisse Chance, weil das Argument insbesondere im Auswärtigen Amt kontrovers diskutiert wird und weil hier der seltene Fall vorliegt, dass eine Sanktionierung den deutschen Steuerzahler einmal nichts kosten würde. Humanitäre Hilfe ist also dringend notwendig, sollte aber Helbergs Meinung nach konditioniert werden.

https://www.youtube.com/watch?v=klYnV9CnulM&feature=youtu.be

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