Er war Lehrer und, wider Willen, Leiter einer Volksschule im niederösterreichischen Gablitz. Für kurze Zeit nur, denn sein Leben lang suchte ihn eine tiefe Schwermut heim. Doch es gehört zu den wunderbaren Eigentümlichkeiten unserer Existenz, dass ein Mensch, gefangen im Kerker der eigenen, verdunkelten Seele und außerstande, die Schönheiten des Lebens zu sehen, Gedanken hervorbrachte, die uns die ganze Welt erschließen.
Ferdinand Ebner, geboren 1882 in der Wiener Neustadt, gestorben 1931 in Gablitz, hat Österreich nie verlassen. Aber sein Geist überwand Grenzen. Überhaupt dachte er groß vom Menschen. Wenn der Mensch mehr als nur ein Naturwesen ist, wenn ihn vielmehr etwas ausmacht, das wir „Geist“ nennen, dann ist dieses „Geistige“, so Ebner in seinem 1921 erschienenen Hauptwerk Das Wort und die geistigen Realitäten, „vom Grund aus angelegt (…) auf ein Verhältnis zu etwas Geistigem außer ihm, durch das es ist und in dem es existiert“.
Der Mensch ist ein Beziehungswesen. Immer stehen wir in einer aktiven Beziehung zu der Welt, in der wir leben, sei sie auch noch so klein. Den objektiven Ausdruck dessen, dass das so ist, finden wir in der Tatsache, dass wir sprechen. Weil wir erleben, dass außer uns ebenfalls „etwas Geistiges“, ein „Du“ existiert, sprechen wir. Und umgekehrt wird „das Geistige“ in uns erst wirklich, indem wir sprechen. Das Ich existiert nur im Verhältnis zu einem Du.
Worte sind also mehr als Kommunikationsmittel. Sie sind der Grund unserer geistigen Existenz. Und auch unserer geistlichen! Denn in jeder Begegnung mit einem Du wohnt für Ebner Gott selbst. Wie unser Leben dem Ewigen entspringt, so bleibt es auch in seinem letzten Sinn auf ihn ausgerichtet. „Gott ist das Du des Ich, das sich selbst gefunden hat.“
Erkennen Sie hierin das dialogische Denken Martin Bubers oder Franz Rosenzweigs wieder? In der Tat gilt Ferdinand Ebner als der christliche Vertreter der sogenannten Dialogphilosophie in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Entschiedener noch als seine jüdischen Brüder hat er betont, dass Gott im Wort ist. Der Ewige spricht uns nicht nur an, und seine Anrede ist mehr als Grund und Gegenüber. „Gott war das Wort. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“ (Johannes 1,1.14)
„Worte sind Brücken“, soll Ebner einmal gesagt haben. In einer Zeit, in der wir physisch Abstand voneinander halten müssen, bleibt uns das Wort, bleibt uns die lebendige Sprache. In ihr ist und wirkt der Ewige selbst, der uns mit Geist begabt hat und nicht will, dass wir verkümmern und verloren gehen. Das können wir von Ferdinand Ebner lernen – jenem Lehrer, der, obwohl er in sich selbst gefangen war, groß vom Menschen dachte und Grenzen überwand.
Seien Sie behütet!
Dr. Martin Fricke
Pfarrer, Leiter der Abteilung Bildung im Evangelischen Kirchenkreis Düsseldorf