In der Akademie am Morgen bearbeitet Sören Asmus zur Zeit das Thema „Würde“ und von einer Teilnehmerin kam der Wunsch, das gleichnamige Buch von Gerald Hüther zu verhandeln, was ich als Theologin mit diesem Blogbeitrag versuche: „Würde. Was uns stark macht – als Einzelne und als Gesellschaft“
Im Buch umschreibt Hüther Würde als „das zutiefst Menschliche“ und vertritt die Auffassung, dass jeder Mensch von Geburt an ein Gespür dafür hat, wie es sich anfühlt, wenn wir jemandes Würde verletzten und dabei immer auch unsere eigene Würde verletzen: Es fühlt sich an, als ob etwas nicht stimmt. Manche Menschen bewahren sich dieses Gefühl zeitlebens und richten sich danach; es ist ein biologisch verankerter Kompass. Viele Menschen aber schütten das Gefühl zu durch Leistungsstreben um der Anerkennung willen, durch Streben nach Reichtum und durch Ablenkung vom Wesentlichen. Und sie fügen dabei anderen Menschen Leid zu. Anderen Menschen, die für sie nur Mittel zum Zweck sind, genau wie die Umwelt.
Auf diese Weise „würdelos“ zu handeln fühlt sich an, als ob etwas nicht stimmt. Für diesen Zustand haben Theologen ein eigenes Wort: Wir nennen sowas Sünde. Und die Tatsache, dass wir alle mitspielen in diesem globalen Spiel, das die Umwelt zerstört durch Massentierhaltung und Plastikmüll, Spritverbrauch und menschenverachtende Produktionsbedingungen bei Lebensmitteln und anderen Gütern. Dass wir alle dabei mitspielen, dass nennen wir „Strukturelle Sünde“ und wissen auch nur ungefähr und mehr so theoretisch, wie man rauskommt aus der Nummer. Gerald Hüther ist da kühner und sagt: Wer sich seiner eigenen Würde bewusst ist, ist nicht mehr verführbar.
Wenn es aber einem Menschen nicht gelingt, ein inneres Bild davon zu entwickeln, was sein Menschsein ausmacht und wer er sein will, dann fehlt ihm die Orientierung, die seinem Leben eine Ordnung xxx gibt, wissenschaftlich ausgedrückt: Kohärenz. Gerald Hüther meint – und da muss man ihm wohl zustimmen -, dass es mit der Erde nicht mehr lange gutgehen kann, wenn so viele Menschen sich vor der Frage nach der Würde drücken. Ganz überkonfessionell wie die Menschenrechtserklärung von 1948 oder auch unser Grundgesetz von 1949 gilt ja der Satz: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Und weiter heißt es dann bei Gerald Hüther: „Die Vorstellung von der Würde, die jeder Mensch besitzt, ist die entscheidende Voraussetzung jeder demokratischen Gesellschaft.“ Auf die gesellschaftliche Dimension will ich jetzt nicht näher eingehen, denn auch nach Gerald Hüther funktioniert die Rettung der Welt nicht in erster Linie durch politische Aktionen, sondern indem jeder bei sich selbst anfängt. Wissen und Denken hilft zwar, nützt aber nicht viel. Es muss im Gefühl ankommen, und zwar in dem Gefühl: Es muss sich etwas ändern! Vielleicht bei einem selber, ganz bestimmt aber gesellschaftlich und weltweit. Ja, zugegeben, diesem Blogbeitrag fehlt es an Leichtigkeit. Ich lese wohl zu viel Zeitung. Ich lese überhaupt zu viel. Wo bleibt das Positive? Das Buch von der Würde ist insgesamt viel positiver, als was ich hier gerade schreibe. Darum zitiere ich nochmal Gerald Hüther: „Wer sich seiner eigenen Würde bewusst ist, ist nicht mehr verführbar.“
Der braucht sich dann also nicht mehr so einen krassen Stress zu machen, indem er zu viel zu arbeitet, um möglichst viel Geld zu verdienen, um sich davon Sachen zu kaufen, die ihm selbst keine Freude machen, sondern die er nur braucht, um dem Nachbarn zu imponieren, den er womöglich nicht einmal leiden kann. Oder sagen wir mal so: von den Geschäften an der Kö würde man dann nicht mehr alle benötigen.
So einfach ist es in der Umsetzung der Maxime der Würde ja nicht, wie jede(r) von uns weiß. Aber Bewusstsein von Würde ist ja auch nur der Kompass, nicht schon ein Freifahrtschein. Was auch schon Augustinus gesagt hat: „Liebe und tu was du willst.“ Nur im Rahmen dessen, dass wir den anderen Menschen als gleich würdiges Subjekt sehen und behandeln (= lieben), dürfen wir handeln (= tun, was wir tun wollen).
Wie bekommt man den Kompass namens „Würde“? Indem man sich die Frage stellt: Was für eine(r) will ich sein? Wie will ich leben, um diesem Bild zu entsprechen, das ich mir da von mir gemacht habe? Wie muss ich mich den ganzen Tag verhalten, damit ich abends in den Spiegel schauen und sagen kann: „Ja, hat heute einigermaßen hingehauen mit meiner Würde. Ja, ist auch noch hier und da verbesserungswürdig, war anstrengend, hat sich aber gelohnt.“
Wie dem auch sei. Das Buch ist schön und ermutigend zu lesen, nur das letzte Kapitel hat mich ein wenig enttäuscht. Es hat die Überschrift: Wie wäre es, in Würde zu leben, bevor wir in Würde sterben? Die Antwort fällt dann ein bisschen spärlich aus, so etwa nach dem Motto: Geht mehr raus in die Natur, bewegt euch mehr, hört besser zu, seid freundlicher zu anderen Menschen und zu euch selbst. Seid neugierig, lasst euch inspirieren. Benehmt euch so, dass jeder Mensch ein Subjekt sein kann und nicht als Objekt, als Mittel zu einem Zweck, angesehen und missbraucht wird. Macht niemanden zum Objekt eurer eigenen Absichten, Bewertungen oder gar Maßnahmen.
Also was ist denn nun wahr und hilfreich? Und was wird sich auf meinem Totenbett als falsch, überflüssig und nutzlos rausstellen von all den Sachen, die ich gemacht oder gekauft habe und von all den Büchern, die ich gelesen habe? Jetzt könnte ich noch einen Schlenker zur Bibel machen. Das ist aber nicht nötig. Denn die Auseinandersetzung mit dem Thema Würde ist ja bereits eine Übersetzung dessen, was wir Theolog*innen unter dem Zusammenhang von Sünde und Gottebenbildlichkeit verstehen. Dazu können wir uns gern ein andermal ins Gespräch kommen. Gern können Sie etwas in die Kommentare schreiben oder mich bei der Akademie am Morgen ansprechen.
Liebe Frau Dr. Köster,
ich danke Ihnen sehr, dass Sie meine Anregung zu G. Hüther aufgegriffen und Ihre Gedanken zu seinem Buch geschrieben haben. Obwohl Hüther in seinen Veröffentlichungen selten Bezug zum Christentum nimmt, sehe ich bei ihm eine deutliche Nähe zu dieser Botschaft. Sein Würdeverständnis und die Gespräche in der Düsseldorfer Würdekompass – Gruppe haben mich selbst gestärkt und auf der Suche nach neuen Wegen ermutigt. In diesem Sinne ist auch die Vortragsreihe mit Herrn Asmus ein Gewinn. Es grüßt Sie herzlich Rosemarie Roßberg aus Ratingen-Hösel