Warten auf Godot – unfassbar virtuell

Wir sind nicht mehr gewohnt zu warten. Falls ich doch mal in eine Warteschleife gerate, z.B. am Telefon, schalte ich auf Lautsprecher  und tue noch schnell irgendwas Nützliches, bevor der Typ vom Callcenter in der Leitung ist und meine Fragen zu meinem Handyvertrag zu beantworten geruht oder mich doch nur auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verweist. An der Straßenbahnhaltestelle, in der Bahn, sogar an der Kasse im Supermarkt, statt tapfer zu warten, macht man sich etwas zu tun. Das Virus lehrt uns wieder das Warten.

Wie wartet man richtig? Nur selten spart es Zeit, zwei Sachen gleichzeitig zu tun, sagt die Multitaskingforschung, die herausgefunden hat, dass es die früher hochgelobte Multitaskingfähigkeit gar nicht gibt und man sich mit Versuchen in dieser Richtung nur die Konzentrationsfähigkeit verdirbt. Ich habe mich über eine Woche lang in den Konflikt gebracht: Um 12 Uhr die Tagesschau gucken, um die aktuellen Zahlen der Corona-Infizierten (und der daran gestorbenen Menschen) zu erfahren und/oder mit ganz vielen Düsseldorfer*innen gleichzeitig, aber kontaktsperrengemäß nicht zusammen Psalm 121 zu beten. Bevor ich mir dafür den Wecker gestellt habe, habe ich meistens beides nicht hinbekommen. Inzwischen hat mein Sohn mir den Link https://experience.arcgis.com/experience/478220a4c454480e823b17327b2bf1d4 geschickt und ich kann jederzeit alle Zahlen abrufen: für NRW, für Deutschland, für weltweit, mehrmals täglich aktualisiert. Ich habe also keine Ausrede mehr, nicht pünktlich beim Gebet zu sein. Wenn man sich richtig leibhaftig treffen würde, in einer Kirche, im Wald, im Raum der Stille – wo auch immer. Da wäre ich mit Leichtigkeit pünktlich da. Aber wir treffen uns nicht leibhaftig. Nicht einmal beim abendlichen Klatschen für die Menschen in den systemrelevanten Berufen habe ich jemals mitgemacht. In meiner Straße wohnt man dafür zu weit auseinander. Ich will lieber meine Stimme schonen für die Zeit nach Corona und dann schreien für höhere Gehälter in den unterbezahlten systemrelevanten Berufen. Weil da die allermeisten Menschen grob unterbezahlt sind. Ich habe von einem Seniorenheim gehört, wo  ein Großteil  des Personals beschlossen hat, auf unbestimmte Zeit im Heim selbst zu wohnen, damit niemand ein infektiöses Tröpfchen einschleppen kann für die Bewohner, die naturgemäß zu 100 % zur Risikogruppe gehören. So viel Hingabe an Menschen, mit denen man nicht verwandt ist, macht mich sprachlos.

Auch Gott gegenüber bin ich zur Zeit ziemlich sprachlos. Sprachlos auf eine wortreiche Art.  Ich bete, was das Zeug hält, aber alle meine Gebete sind  (außer Psalm 121 und dem Vaterunser) nur eine Litanei von Namen von  Menschen, die Gott behüten und bewahren soll: Die  mit denen ich nah oder weniger nah verwandt bin, meine  Freund*innen,  die, die besonders gefährdet sind, die, die Angst haben und vor lauter Ichweißnichtwohinmitmir Toilettenpapier horten, die, die selber krank sind oder jemanden haben, der schwer krank ist, die, die vor dem Ruin stehen, die, die arbeiten bis zum Umfallen, die, die sich vor Trägheit langweilen und auf der Couch pummelig werden, bis sie sich selbst nicht mehr leiden können und alle Menschen, die mir jemals begegnet sind und alle Menschen, die ich nicht kenne auf der ganzen Welt. Sogar für Johnson und Trump bete ich, wenn auch zugegebenermaßen weniger um ihretwillen, sondern um bessere Entscheidungen – die alle soll Gott bewahren und behüten. Und zum Teil tut Gott das auch. Wenn ich das nächste Mal dran bin mit diesem Blog, schreibe ich etwas tiefsinniger über das Beten. Alles zu seiner Zeit. Gott könnte es uns wirklich leichter machen, wenn er nicht so unfassbar virtuell wäre.

Dr. Gabriela Köster, Ev. Stadtakademie

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