Zum 100. Geburtstag von Kurt Marti
Geboren am 31. Januar 1921 als Sohn eines Notars und dessen Frau in Bern, besuchte Marti das gleiche Freie Gymnasium wie Friedrich Dürrenmatt, dessen 100. Geburtstag ebenfalls in diesem Monat zu würdigen ist. Nach zwei Semestern Jurastudium hat sich Marti für die Theologie entschieden, zunächst in Bern, später in Basel, wo er von Karl Barth geprägt wurde. In seiner Zeit als Pfarrer an der Nydeggkirche in Bern von 1961-1983 wurde er bekannt als streitbarer Protestant im Kampf gegen den Vietnamkrieg und Atomwaffen. Und er reihte sich ein in die lange Kette der dichtenden (Schweizer) Pfarrer von Johann Peter Hebel über Jeremias Gotthelf, Friedrich Oser usw.
Als er 2017 im Alter von 96 Jahren verstarb, hinterließ er ein umfangreiches Werk. Dutzende Bücher mit Texten, die irgendwie Essay sind und irgendwie Predigt, mit Gedichten voller Poesie, voller Glaube, voller Zweifel. Auch den Aphorismen hat er vertraut, weil er wusste, dass Reden immer ein Anfang ist. Gerade ein Reden von Gott. „Leichter wäre es, von Gott zu schweigen als von ihm zu reden. Wer schweigt, blamiert sich nicht. Wer schweigt, ist nicht angreifbar. Wer schweigt, scheint weise zu sein.“ Aber, darin ganz Schüler Karl Barths, er kann und will nicht schweigen: „Wer jedoch konsequent und immer von Gott schweigt, läuft Gefahr, zum Komplizen – sagen wir mal – des Teufels zu werden. Dieser hat es nicht nötig zu reden und auch nicht, dass von ihm geredet wird. Erfreut lässt er die Dinge treiben, wohin sie bereits unterwegs zu sein scheinen, dem Abgrund, dem Chaos entgegen. Demgegenüber signalisieren das Reden und Singen von Gott, das Hören auf ihn und das Rufen zu ihm Widerstand, Aufstand, Auferstehung zum Leben. Wer von ihm redet, ohne sich dabei in Widersprüche zu verwickeln, redet wahrscheinlich nicht mehr von ihm oder jedenfalls an ihm vorbei.“ Darin ist Kurt Marti Dichter und Theologe zugleich: „Von Gott reden, wie von ihm wohl geredet werden müsste, ist unmöglich. Noch unmöglicher aber ist es, nicht von ihm zu reden.“
Wohl gemerkt: bei aller Sympathie für die Vorsichtigen, für die, die nicht mit dem verbalen Füllhorn Gottesgesülze verteilen: Marti hat keine Scheu vor der Tradition und vor der Auseinandersetzung mit der Tradition. Ganz im Gegenteil. Er distanziert sich von den Oberflächlichen, von denen, die ihr Gottesbild so hinbiegen wie es Ihnen gerade passt, den Populisten, den Zeitgeistern, denjenigen, die es schon für Theologie halten, wenn sie irgendwelche Bibelverse zitieren. Mit denjenigen, die die komplette Kirchengeschichte in Bausch und Bogen für irrelevant erklären, gerade weil oder obwohl sie zu bequem sind, diese zur Kenntnis zu nehmen als Quelle neuer Erkenntnisse und vor allem bleibender Fragen, hat er nichts am Hut. Seine ganze Sympathie gilt den Suchenden, den leidenschaftlich Ringenden. „Die Widersprecher, die Ketzer von gestern, setzen Maßstäbe für morgen. Ihr Widerspruch richtet sich nicht nur gegen religiöse und politische Herrschafts- und Denkformen, er richtet sich wie bei Hiob oder bei Jesus gegen gängige Gottesvorstellungen, Gottesbilder, was alsbald zum Vorwurf der Gotteslästerung führt. Erst hinterher wird deutlich, daß, was Widerspruch gegen Gott zu sein schien, genau das Gegenteil war, nämlich ein Wegräumen von Hindernissen, die das Gespräch mit Gott – also unsere Existenz! – verstellt und blockiert haben.
Der Widerspruch gegen wohlfeile Gottesvorstellungen, gegen nicht mehr lebendige, nicht mehr reflektierte Gottesselbstverständlichkeiten, gegen Gottesbilder, die nur noch gesellschaftserhaltende Funktion haben, öffnet den Weg zu dem Gott, der lebendig, der ´dialogisches Mysterium` ist. Die geschwätzige Langweiligkeit so vieler Predigten und Gebete, so vieler Theologie, scheint mir daher zu kommen, daß Gottesklischees reproduziert oder stillschweigend vorausgesetzt werden. Der Kirche fehlen Ketzer, die dem kirchlich und gesellschaftlich längst vereinnahmten, längst domestizierten Gott, an den fast alle ein bißchen ´glauben`, ohne aber im Gespräch mit ihm zu sein, widersprechen. Der Theologie fehlt, was allein ihre Existenz rechtfertigt, nämlich der leidenschaftliche Streit um Gott.“
An Lesern hat es Kurt Marti nie gefehlt. An Gegnern aber auch nicht. Denn er wusste was er tat: „Vielleicht hält Gott sich einige Dichter (ich sage mit Bedacht: Dichter!), damit das Reden von ihm jene heilige Unberechenbarkeit bewahre, die den Priestern und Theologen abhanden gekommen ist.“
Kurt Marti hat nicht nur die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit in der Schieflage der Weltwirtschaft immer und immer wieder gestellt. Er hat mit seinem Lob des Zweifels auch und gerade seine Kirche wach gehalten:
„Zweifel: ein Instrument zur Qualitätskontrolle von Fundamenten, selber jedoch kein Fundament.“
„Die Zwei im Zweifel rebelliert gegen jede Einheitsideologie.“
„Und doch kennt das biblische Hebräisch kein Wort für ´Zweifel`. Dafür gibt´s mehrere Ausdrücke für s´Staunen`. Staunen bewahrt den Zweifel davor, in generelle Verzweiflung umzuschlagen.“
Noch seitenlang könnte man Herzerfrischendes von Kurt Marti zitieren. Oder man könnte seinen Lebensweg weiter würdigen. Aber:
„Welchen Lebensweg ich gegangen sei? Keinen.
Es war das Leben, das mit mir auf und davon ging.
Was hinterher bewegt aussieht, hat sich unmerklich an meine Fersen geheftet.“
Zu diesen „Fersenanhaftungen“ gehören auch ein paar lesenswerte Bücher, die anlässlich des 100. Geburtstages publiziert wurden.
Im Theologischen Verlag Zürich erschien sowohl eine biografische Würdigung: Sprachkünstler, Pfarrer, Freund; hg. von Klaus Bäumlin
als auch eine Auswahlausgabe: Kurt Marti: Gottesbefragungen. Ausgewählte Predigten; hg. von A. Mauz und R. Kunz.
In dem von Klaus Bäumlin zusammengestellten Band kommen zahlreiche Weggefährten Martis zur Sprache. Vielleicht ist das der beste Zugang, wenn man denn einen Lebensweg rekonstruieren möchte.
Bei Wallstein gibt es sogar bislang Ungedrucktes zu entdecken:
Kurt Marti: Der Alphornpalast: Prosa aus dem Nachlass, hg. von S. Leuenberger. Und: Hannis Äpfel: Gedichte aus dem Nachlass.