Auf nach Narragonien!

von Harald Steffes

Zum 500. Todestag des Sebastian Brant, Autor des Narrenschiffs

Wir sind im Jahr 1494 und ein Humanist der frühen Neuzeit wundert sich über die Zustände, die er beobachten muss. Die ausgehende Welt des Mittelalters ist voller Dummheit, Laster und Narrheit soweit das Auge des gottesfürchtigen Sebastian Brant reicht. Er ist zu dieser Zeit ca. 37 Jahre alt und außerordentlicher Professor an der juristischen Fakultät der Universität Basel. Und er schreibt einen Bestseller: „Das Narrenschiff“. Spätestens als sein Schüler Jacobus Locher die lateinische Ausgabe („Stultifera navis“) vorlegt, ist der europäische Erfolg des Buches nicht mehr zu bremsen. In weniger als 100 Jahren erscheinen mehr als 20 offizielle Auflagen dieser Narrenrevue. Abgesehen vom abgebrochenen Jurastudenten Martin Luther und dessen Bibelübersetzung wird kein deutscher Autor vor dem Juristen Goethe und dessen „Werther“ jemals einen solchen Erfolg landen.

Woran liegt das und was muss man über den Autor wissen?

Sebastian Brant, Holzschnitt von Nicolaus Reußner, 1590

Sebastian Brant 1457 (oder 1458) – 10. Mai 1521

Über die Biographie des Sebastian Brant sind wir einigermaßen informiert. Geboren wird er vermutlich am 31. August 1457 als Sohn eines begüterten Gastwirts. Im Herbst 1475 wird er an der Universität Basel immatrikuliert. Dort trifft er vermutlich auf den zwei Jahre älteren Johannes Reuchlin und wird von ihm möglicherweise unterrichtet. Neben seiner Tätigkeit als außerordentliche Professor an der juristischen Fakultät Basel (ab 1489) hält er freiwillig Vorlesungen über Poesie, die großen Anklang fanden. Noch wichtiger ist, dass er als Lektor,  Übersetzer, Korrektor, Kommentator, und Autor bei einigen der berühmtesten Verlegern und Druckern Basels arbeitet, wie zum Beispiel Amerbach, Froben und Petri.[1]
Auf der Schwelle zwischen Mittelalter und früher Neuzeit lässt er sich schwer einordnen. Einerseits vertritt er einen konservativen Humanismus. Andererseits gelangt er nicht zur wirklich freien Geisteshaltung eines Konrad Celtis oder Erasmus von Rotterdam.

Im Jahr 1500 kehrt er aus nicht ganz geklärten Gründen der Stadt Basel den Rücken und kehrt zurück in seine Heimatstadt Straßburg. Der dortige Münsterprediger Johann Geiler von Kaysersberg hatte ihn dem Rat empfohlen und so wurde er Rechtskonsulent (Syndikus) des Straßburger Rates und hatte schließlich ab 1503 das mit großem Einfluss verbundene Amt des Stadtschreibers inne.
In seinen letzten Aufzeichnungen aus dem Jahr 1521 finden wir auch Notizen, die den Reichstag zu Worms betreffen, an dem er persönlich wohl aus gesundheitlichen Gründen  nicht teilnahm. Seine Stellung zur Reformation ist einigermaßen ambivalent. Einerseits bleibt er Katholik, andererseits lässt er die Reformatoren Straßburgs, allen voran Matthias Zell, ungehindert öffentlich predigen. Genau 14 Tage nach Luthers legendärem Auftritt auf dem Reichstag verstarb Brant am 10. Mai 1521 in seiner Geburtsstadt.
Neben seinen juristischen Tätigkeiten fand er auch in der späten Straßburger Zeit immer wieder die Gelegenheit, an großen aufwändigen Klassiker Ausgaben mitzuwirken. Genannt seien die Vergil-Ausgabe von 1502 und die Terenz-Ausgabe von 1503. Warum? Weil diese beiden Autoren von ihm ausgiebig und bevorzugt in jenem Hauptwerk zitiert werden, dem er seinen Weltruhm verdankt.

Hans Burgkmair d.Ä.: Bildnis des Sebastian Brant, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

Das Narrenschiff

So sehr Brant also mit der Buchproduktion der Zeit vertraut ist, so wenig scheinen ihm Bücher wirklich zur Verbesserung der Lage beizutragen:

Alle Lande sind jetzt voll heiliger Schrift
Und was der Seelen Heil betrifft:
Voll Bibeln, heiliger Väter Lehr
Und andrer ähnlicher Bücher mehr,
So viel, daß es mich wundert schon,
Weil niemand bessert sich davon.
Ja, Schrift und Lehre sind veracht’t,
Es lebt die Welt in finstrer Nacht ….

In 112 Kapiteln erläutert er die Narrheiten der Zeit. Jedem Kapitel ist ein Holzstich beigefügt. Der Umstand, dass der Großteil (ca. 75%) dieser Abbildungen aus der Hand Albrecht Dürers stammt, hat nicht unwesentlich zum Erfolg des Buches beigetragen.

Unbestritten ist, dass kein Zeitgenosse dem „Narrenschiff“ auch nur annähernd ein vergleichbares Druckwerk an die Seite stellen konnte. Neben den zahlreichen Auflagen sprechen auch die kaum zählbaren Raubdrucke eine deutliche Sprache. Es ist bemerkenswert wie dieses Buch, das Literatur, Bildende Kunst und handwerkliches Niveau in der Buchproduktion auf neuartige Weise vereint, eine weitverzweigte Leserschaft fand.

Dabei ist Brant völlig bewusst, dass derjenige, der die Unzulänglichkeiten der Zeitgenossen aufzeigt, nicht eben mit deren Sympathie rechnen darf:

Sie müssen hören Wahrheit alle,
Ob ihnen es auch nicht gefalle.
Wiewohl Terentius saget, daß
Wer Wahrheit ausspricht, erntet Haß;

A. Dürer: Das Narrenschiff, Titelseite der ersten Ausgabe

Erstaunlich ist, wer den Reigen der Narren anführt. Es ist derjenige, der Bücher hortet ohne sie zu verstehen. Damit richtet sich Brant gegen diejenigen, die in Büchern soziales Prestige, Geldanlage und Ähnliches suchen. Also spricht der erste Narr:

Von unnützen Büchern
Daß ich im Schiffe vornan sitz,
Das hat fürwahr besondern Witz;
Nicht ohne Ursache ist das:
Auf Bücher ich mich stets verlaß,
Von Büchern hab ich großen Hort,
Versteh ich selten auch ein Wort,
So halt ich sie doch hoch in Ehren:
Will ihnen gern die Fliegen wehren.
Wo man von Künsten reden tut,
Sprech ich: »Daheim hab ich sie gut!«
Denn es genügt schon meinem Sinn,
Wenn ich umringt von Büchern bin.
Von Ptolemäus wird erzählt,
Er hatte die Bücher der ganzen Welt
Und hielt das für den größten Schatz,
Doch manches füllte nur den Platz,
Er zog daraus sich keine Lehr.
Ich hab viel Bücher gleich wie er
Und lese doch nur wenig drin.
Zerbrechen sollt ich mir den Sinn,
Und mir mit Lernen machen Last?
Wer viel studiert, wird ein Phantast!
Ich gleiche sonst doch einem Herrn,
Kann zahlen einem, der für mich lern‘!
Zwar hab ich einen groben Sinn,
Doch wenn ich bei Gelehrten bin,
So kann ich sprechen: »Ita! – So!«
Des deutschen Ordens bin ich froh,
Dieweil ich wenig kann Latein.
Ich weiß, daß vinum heißet »Wein«,
Gucklus ein Gauch,
Und daß ich heiß‘: » domine doctor!«
Die Ohren sind verborgen mir,
Sonst sah man bald des Müllers Tier.[2]

Brant:  Die Unsinnigkeit

Wie viele Humanisten erweist sich Brant hier als entschiedener Gegner einer angemaßten oder formalen Bildung. Damit ist er ganz dicht bei Luther, der 1521 beginnt, sich von der Verleihung von Doktorhüten zu absentieren. Erst im Jahr 1533 wird die Tradition der Disputationen in Wittenberg wieder aufgenommen. Dann aber nicht zur Verleihung von  akademischen Graden, sondern zur gesprächsweisen Lösung von strittigen Fragen. Wahre Bildung erkennt man nicht an Titeln, sondern an der Fähigkeit, in einer Diskussion standzuhalten, möglichst ohne Karteikärtchen und andere Spickzettel.

Mit dem „Narrenschiff“ eröffnet Brant quasi die Gattung der Frühneuzeitlichen Narrenliteratur. In seinem Gefolge finden wir neben vielen anderen auch Hans Sachs, Erasmus („Lob der Torheit“, 1509), Thomas Murners „Narrenbeschwörung“ und – wenig überraschend – Luther.
In dessen Vorrede zur „Adelsschrift“ lesen wir ein klares Bekenntnis:: „Ich bin vielleicht meinem Gott und der Welt noch eine Torheit schuldig und habe mir jetzt vorgenommen, wenn mir´s gelingen mag, sie redlich zu zahlen und auch einmal Hofnarr zu werden.“ An anderer Stelle lesen wir aus seiner Feder: „Die Heilige Schrift ist ein Buch, das alle Weisheit anderer Bücher zur Narrheit macht“. Und in der 29. These der Heidelberger Disputation heißt es programmatisch: „Wer ohne Gefahr in Aristoteles philosophieren will, muss notwendigerweise zuvor in Christus richtig zum Narren gemacht werden.“

Wer genau liest, wird erkennen, dass das Narrentum einerseits ein Ziel, andererseits eine abschreckende Vorstellung ist. Wie bei der Bildung geht es also auch beim Narrsein darum, worin dieses genau begründet ist.[3]

Zugleich ist das Narrenschiff mit seinen zahlreichen Anleihen bei antiken Autoren aber auch bei den biblischen Schriften ein Klassiker der humanistischen Weisheit, durchaus vergleichbar mit Erasmus´ „Adagia“ und Sebastian Francks „Sprichwörter“.

Albrecht Dürer, Portrait des Sebastian Brant

Mehr als nur der Autor des Narrenschiffs

Aber Sebastian Brant ist viel mehr als nur der Autor des Narrenschiffs. Seine Persönlichkeit und seine Biografie stehen exemplarisch für einen Menschen der Reformationszeit, der eingebunden ist in verschiedene Diskurse.[4]

Ganz bestimmt kein Narr ist, wer das Jubiläum zum Anlass nimmt, auch andere Texte von Sebastian Brant wahrzunehmen. Wunderbar ist seine Sammlung und Bearbeitung von Fabeln[5], die in größeren Bibliotheken einzusehen ist. Und ganz sicher gefreut hätte sich der Freund verlegerischer Großprojekte über die Sorgfalt, mit der seine kleinen Schriften nach langer Zeit erstmals wieder zugänglich gemacht wurden.[6] Genannt seien sein Gedicht an Amor, sein Gedicht über die Jurisprudenz, sein Gedicht über den Weltherrscher und die Gesetze, und seine beiden Gedichte über das Hochwasser des Rheins. Auch der Jungfrau Maria hat er 1498 elf Distichen gewidmet. Immer wieder wird sie auch später von ihm bedichtet, wie auch einige Kirchenväter, Päpste und Kaiser. Neben den Gedichten bietet diese Ausgabe auch Widmungsschreiben, Vorreden, Inschriften, Briefe und andere kleinere Prosatexte.

Bleibt zum Schluss nur noch zu betonen, dass eine allgemeine Lobhudelei im Blick auf Brant unangemessen wäre. In der Vorrede zum Narrenschiff erkennen wir auch, dass er volksaufklärerischen Tendenzen ausgesprochen kritisch gegenübersteht. Er warnt regelrecht vor der unkontrollierten Ausbreitung des Wissens. Das wäre unverzeihlich, wenn nicht ausgerechnet er uns darauf aufmerksam gemacht hätte, dass als weise nur derjenige gelten kann, der die eigene Narrheit erkennt. Es bleibt viel zu tun.


[1] Zwischen 1488 und 1501 ist Brant an mindestens 95 Drucken in Basel direkt beteiligt. Basel ist zu dieser Zeit so etwas wie die europäische Buch-Hauptstadt.
[2]  Das etwas holprige Versmaß verdankt sich eher der Übersetzung aus dem Frühneuhoch-deutschen als der Vorlage.
[3]  Ganz gewiss ist es kein Zufall, dass der Klassiker des freiwilligen Narrseins zur Lebzeit Brants erstmals mit Druckausgaben geehrt wird, nachdem seine „Streiche“ lange Zeit nur mündlich überliefert wurden: Till Eulenspiegel.
[4] Zum 550. Geburtstag Brants trafen sich zu diesem Thema ausgewählte Fachleute zu einem Symposium. Die bemerkenswerten und vielschichtigen Ergebnisse lassen sich in einem opulenten Tagungsband nachverfolgen, der 2010 in Wiesbaden erschienen ist: Bergdolt, Knape, Schindling, Walther (Hg.): Sebastian Brant und die Kommunikationskultur um 1500
[5] Sebastian Brant: Fabeln, hrsg. und übersetzt von Bernd Schneider, Stuttgart-Bad Cannstatt 1999
[6] Sebastian Brant: Kleine Texte. hrsg. von Thomas Wilhelmi, Stuttgart-Bad Cannstatt 1998

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