Der lange Weg zum Monotheismus (Teil 1)

Dr Dietrich Knapp
von Dr. Dietrich Knapp

Es hat sich nicht so zugetragen, wie man manchmal in populärwissenschaftlichen Hochglanzmagazinen oder aufwändig bebilderten historischen Zeitschriften liest. Der Monotheismus des alten Israel geht nicht zurück auf den Monotheismus des berühmten Pharao Echnaton. Er hat seine Wurzeln also nicht im Ägypten des 14. vorchristlichen Jahrhunderts. Auch Mose, die große Gestalt aus der Frühzeit der Geschichte Israels, ist weder der erste Monotheist noch der Begründer des Monotheismus gewesen. Der Monotheismus des alten Israel stand nicht am Anfang der israelitischen und jüdischen Religionsgeschichte. Vielmehr ist er erst in relativ später Zeit entstanden – nach einer langen und komplexen Vorgeschichte.

Zunächst ist es unumgänglich, sich Klarheit über drei zentrale Begriffe zu verschaffen: Polytheismus, Monolatrie und Monotheismus. Eine neuere Definition grenzt diese drei folgendermaßen voneinander ab: „Während als Monotheismus der Glaube an einen einzigen universalen Gott bezeichnet wird, der den Glauben an die Existenz anderer Götter grundsätzlich ausschließt, ist Polytheismus der Glaube an eine Vielzahl von Gottheiten, die häufig in Form eines Pantheons organisiert und in ein genealogisches und kulturell determiniertes Verhältnis zueinander gesetzt sind. Von beiden Kategorien zu unterscheiden“ ist „die Monolatrie, die langfristige Alleinverehrung eines Gottes neben anderen als existent angenommenen Göttern.“ (Bauks, Michaela: Art. Monotheismus, WiBiLex 2006, http://www.wibilex.de). Wie die neuere religionsgeschichtliche Forschung hat zeigen können, gab es in Israel vor dem Aufkommen des Monotheismus sowohl Polytheismus als auch Monolatrie.

Ein weiterer Gedanke ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung: Die Religion des alten Israel ist viele Jahrhunderte lang kein monolithischer Block gewesen. Zu unterscheiden sind die familiäre Religiosität, die lokale Religionsausübung und der Staatskult. Die Israelitinnen und Israeliten lebten ihren Glauben in ihren einfachen Häusern und an den meist offenen Kultplätzen in der näheren Umgebung. Der König in Jerusalem residierte in unmittelbarer Nähe des Tempels, wo Priester im Sinne und im Interesse des Staates den Kultbetrieb aufrecht erhielten. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Religion auf allen drei Ebenen immer dieselbe Gestalt hatte. Polytheismus und Monolatrie haben durchaus nebeneinander existiert. Das bedeutet, dass die religiöse Realität insgesamt komplexer war als die Vorstellungen, die spätere Zeiten von ihr gehabt haben.

Darüber hinaus hat es vom ausgehenden 10. bis zum Ende des 8. vorchristlichen Jahrhunderts in Israel nicht nur einen, sondern zwei Staaten gegeben, das Nordreich mit Samaria und das Südreich mit Jerusalem als Hauptstadt. Diese beiden Staaten unterschieden sich ebenfalls auf vielfache Weise voneinander. Auch in Bezug auf die Religion waren ihre Wege nicht immer die gleichen. Das bedeutet, dass auch in dieser Hinsicht das Bild noch einmal zu differenzieren ist.

Polytheismus: Der Glaube an eine Vielzahl von Gottheiten

Weite Strecken der älteren Geschichte Israels sind durch den Polytheismus geprägt. So sind im Nordreich wie im Südreich neben dem Gott mit Namen Jahwe männliche wie weibliche Gottheiten verehrt worden, wie Archäologie und Bibelwissenschaft in neuerer Zeit haben zeigen können.

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Unter ihnen war zunächst El, der auch im syrischen Raum angebetet wurde. Er galt als Schöpfer und Vater von Göttern und Menschen. Meist wurde er auf einem Thron sitzend und von daher eher statisch dargestellt, weise und freundlich, von überaus hohem Alter. Ein ebenfalls mächtiger Gott war Baal, von dem auch immer wieder in den Schriften des Alten Testaments die Rede ist. Er gehört zum Typus der Wettergötter und gebot daher über die Wetterphänomene wie Sturm, Blitz und Regen. In diesem Zusammenhang war er auch für Fruchtbarkeit zuständig. Dargestellt wurde er als jugendlicher und dynamischer Gott, meist anthropomorph, manchmal auch in Stiergestalt.

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Daneben spielten wie in anderen Regionen des Alten Orients weibliche Gottheiten eine große Rolle. Besonders die Göttin Aschera ist hier zu nennen. Im syrischen Bereich ist sie unter etwas anderem Namen als Partnerin des Gottes El bekannt (Aschirat). Dort war sie als Naturgottheit zuständig für die Fruchtbarkeit der Menschen, der Tiere und der Pflanzen. In Texten des Alten Testaments, aber auch in nichtbiblischen Inschriften taucht ihr Name viele Male auf. Archäologen haben in Wohnhäusern aus dem 7. Jahrhundert zahlreiche Tonfiguren gefunden, die Frauengestalten darstellen. Diese Figuren werden meist als Darstellungen der Göttin Aschera gedeutet, die im Rahmen der privaten und familiären Frömmigkeit verehrt worden ist.

Aber auch der Gestirnskult hat im alten Israel wie an anderen Orten des Vorderen Orients eine Rolle gespielt. So ist hier Schamasch, der Sonnengott, neben Sin, dem Mondgott, zu nennen. Nicht nur Texte des Alten Testaments belegen das, sondern auch Abbildungen auf zahlreichen Roll- und Stempelsiegeln aus der Zeit des alten Israel.

Interessanterweise haben sich Erinnerungen an einen derartigen Polytheismus in Israel in verschiedenen Texten erhalten. So wird von dem bedeutenden König Salomo (965-926) Folgendes überliefert (1. Kön 11, 1-8): „Aber der König Salomo liebte viele ausländische Frauen: die Tochter des Pharao und moabitische, ammonitische, edomitische, sidonische und hetitische – aus solchen Völkern, von denen der HERR den Israeliten gesagt hatte: Geht nicht zu ihnen und lasst sie nicht zu euch kommen; sie werden gewiss eure Herzen ihren Göttern zuneigen. An diesen hing Salomo mit Liebe. Und er hatte siebenhundert Hauptfrauen und dreihundert Nebenfrauen; und seine Frauen verleiteten sein Herz. Und als er nun alt war, neigten seine Frauen sein Herz fremden Göttern zu, sodass sein Herz nicht ungeteilt bei dem HERRN, seinem Gott, war wie das Herz seines Vaters David. So diente Salomo der Astarte, der Göttin derer von Sidon, und dem Milkom, dem gräulichen Götzen der Ammoniter… Damals baute Salomo eine Höhe dem Kemosch, dem gräulichen Götzen der Moabiter, auf dem Berge, der vor Jerusalem liegt, und dem Milkom, dem gräulichen Götzen der Ammoniter. Ebenso tat Salomo für alle seine ausländischen Frauen, die ihren Göttern räucherten und opferten.“

Wenn dieser Text auch erst mehrere Jahrhunderte später verfasst worden ist, wenn er auch ein theologischer, ein wertender, ja polemischer und nicht ein im heutigen Sinne historischer Text ist, so hält er doch zutreffend fest, dass zur Zeit Salomos auch die Gottheiten der Nachbarvölker in Israel verehrt worden sind, übrigens höchstwahrscheinlich nicht nur von den Frauen Salomos und Salomo selbst.

Eine wichtige nichtbiblische Inschrift sei als zweites Beispiel erwähnt. Sie belegt ebenfalls das Phänomen des Polytheismus im alten Israel. Die Inschrift stammt aus einer Karawanenstation im nördlichen Negev und wird ins 8. Jahrhundert datiert. In ihr findet sich der Satz „… Ich segne euch bei / vor Jahwe von Samaria und seiner Aschera…“ (Keel, Othmar / Uehlinger, Christoph: Göttinnen, Götter und Gottessymbole: Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen, Freiburg 4. Aufl. 1998). Neben Jahwe, dem später monotheistisch verehrten Gott Israels, steht hier die weibliche Gottheit Aschera als seine Partnerin mit ihm gewissermaßen Seite an Seite.   

Als Fazit dieser Überlegungen ist festzuhalten, dass in Israel neben Jahwe, dem später exklusiv verehrten Gott, zahlreiche andere Gottheiten angebetet worden sind, ganz sicher im privaten und persönlichen Bereich, wahrscheinlich auch im Kontext des Staatskultes.

Fortsetzung am 29.10.2020

 

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