Die Erde ist ein großes Golgatha, Wo zwar die Liebe siegt, doch auch verblutet.

von Harald Steffes

Zum 200. Geburtstag eines Briefes Heinrich Heines

Ja: scharf und polemisch hat sich Heine gegenüber kirchlichen Mißständen geäußert. Ja: er wurde bekannt als Spötter auch und gerade in Sachen Religion.
Und ja: mindestens im gleichen Maße wie von Polemik und Spott ist seine Sprache, ist sein Werk geprägt von der Kenntnis biblischer Texte und Traditionen. Heinrich Heine hat wie kaum ein zweiter Dichter deutscher Zunge in der Sprachwelt der Bibel gelebt.

Anfang März 1821, vor genau 200 Jahren, schrieb Heine einen Brief an seinen Freund Heinrich Staube. Wer diesen Brief per Zufall in die Finger bekommt, mag vielleicht sagen: Na und? Da erzählt ein junger Mann von seiner Verliebtheit, vom nächtlichen Schmachten unter dem Fenster einer schönen Frau. Wer aber diesen Brief in Kenntnis von Heines Werk liest, kommt auch auf andere Ideen:

„Es ging schon gegen Mitternacht, da begab ich mich nach dem Hause meiner Dulcinea de Tobosa, um unter ihren Fenstern die Rolle meines Almansor in der Wirklichkeit zu spielen. Aber ich hatte leider keinen Mantel wie mein Almansor, und muste frieren wie ein Schneider.“[1]

Schon klar: Dulcinea de Tobosa steht hier für Dulcinea del Toboso, Don Quichotes unerreichbarer „Geliebter“. Und gemeint ist Amalie Heine, Heinrichs Cousine und erste große Liebe. Was wichtiger ist: offenbar identifiziert sich Heine mit diesem Almansor.
Wer aber ist dieser Almansor? Es handelt sich um die Titelfigur des dramatischen Erstlings Heines. 1820 beginnt er als 23-jähriger die Arbeit an der Tragödie. In diesem Jahr wechselt er an die Universität Göttingen, beteiligt sich an burschenschaftlichen Versammlungen (damals ein liberales Unterfangen), wird aber bald aus antisemitischen Gründen aus der Burschenschaft ausgeschlossen.
Wegen eines Studienverbotes in Göttingen immatrikuliert er sich an der Uni Berlin, wo er u. a. Vorlesungen bei Hegel hört. 1822 wird Heine wird Mitglied im „Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden“ und besucht im Oktober dieses Jahres Hegel.
1823 erscheint die Sammlung „Tragödien nebst einem lyrischen Intermezzo“ Diese enthält die Dramen „William Ratcliff“ und eben „Almansor“.
D.h.: Heine lernt (erst) Anfang der 1820er den Antisemitismus am eigenen Leib kennen. Diese Erfahrung verarbeitet er im „Almansor“, mit dessen muslimischer und verfolgter Titelfigur er sich im oben genannten Brief identifiziert.

Moritz Daniel Oppenheim – Der Dichter Heinrich Heine, 1831

„Almansor.“ spielt im Spanien des 15. Jahrhunderts in der Welt der Mauren, also der Welt der Muslime arabischer Herkunft, die vom Christentum verfolgt werden. Nach einer öffentlichen Verbrennung des Korans lässt Heine einen Muslim einen Satz sagen, der diese Welt und Heines Weitsicht dokumentiert. Es sollte einer der berühmtesten Sätze Heines werden Nach der Verbrennung des Korans sagt der Muslim:

„Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher
verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“.

In solcher Welt ist die Liebe gefährdet. Auch und besonders die Liebe zwischen den beiden Hauptfiguren Almansor und Zuleima. Als die Verfolgungen stärker werden, tritt Zuleima zum Christentum über, Almansor aber flieht. Als er von Liebe getrieben zurückkehrt, muss er erfahren, dass Zuleima, die ihn für tot hielt, in unmittelbarer Zukunft mit einem Christen verheiratet werden soll. Es kommt zu einer denkwürdigen Begegnung. Almansor trifft Zuleima vor einem Christusbild, betend. Er ist befremdet, erinnert sich aber an ein Erlebnis mit diesem Mann auf dem Bild. Offensichtlich hatte er sich auf seiner Flucht vor seinen „christlichen“ Verfolgern ausgerechnet in einer Kirche versteckt und eine Darstellung des Kreuzweges gesehen. Gerade als er Jesu Leichnam im Schoße Mariens erblickt, erreichen ihn Klänge einer Eucharistiefeier, die ihn zum Erschaudern bringen. Er erinnert sich:

„Aus jeder Nische nickte mir entgegen
Dasselbe Bild, das ich hier wiedersehe.
Doch überall sah schmerzensbleich und traurig
Des Mannes Antlitz, den dies Bildnis darstellt.
Hier schlug man ihn mit harten Geißelhieben,
Dort sank er nieder unter Kreuzeslast,
[ … ] Ich schaute gar
Ein traurig Weib, die hielt auf ihrem Schoß
Des Martermannes abgezehrten Leichnam….“


Zuleima, in die christlichen Riten mittlerweile eingeweiht, erklärt:

„Die Liebe war`s, die du geschaut als Leiche
Im Mutterschoße jenes traur`gen Weibes.
O, glaube mir, an jenem kalten Leichnam
Kann sich erwärmen eine ganze Menschheit;
Aus jenem Blute sprossen schönre Blumen
Als aus Alraschids stolzen Gartenbeeten,
Und aus den Augen jenes traur`gen Weibes
Fließt wunderbar ein süßres Rosenöl,
Als alle Rosen Schiras liefern könnten.
Auch du hast teil, Almansor ben Abdullah,
An jenem ew`gen Leib und ew`gen Blute,
Auch du kannst setzen dich zu Tisch mit Engeln
Und Gottesbrot und Gotteswein genießen,
Auch du darfst wohnen in der Sel`gen Halle,
Und gegen Satans starke Höllenmacht
Schützt dich mit ew`gem Gastrecht Jesu Christ,
Wenn du genossen hast sein Brot und Wein.“


Almansor erwidert:

„Du sprachest aus, Zuleima, jenes Wort,
Das Welten schafft und Welten hält zusammen;
Du sprachest aus das große Wörtlein Liebe!“

Auf dem Hintergrund seiner Erfahrungen mit den Vertretern der Religion der Liebe erhält sein folgender Satz „Nur eine Kirch der Liebe ist die Erde“ einen Unterton, den Zuleima hört und versteht und erwidert:

„Die Erde ist ein großes Golgatha,
Wo zwar die Liebe siegt, doch auch verblutet.“

Zuleima behält Recht. Die Situation spitzt sich zu. Am Ende sehen die beiden Liebenden keinen anderen Weg ihre Liebe zu retten, als den gemeinsamen Sprung von einem Felsen.

Die Erde ist ein großes Golgatha,
wo zwar die Liebe siegt, doch auch verblutet.

Heinrich Heine im Jahre 1829

Die gerade begonnene Passionszeit gibt uns reichlich Gelegenheit, der Wahrheit dieses Satzes nachzudenken. Der Rahmen dieses Nachdenkens darf durchaus etwas weiter gespannt sein. Die Geschichte des Christentums ist auch eine Geschichte großer Schuld. Heine wusste um diese Geschichte (vergleiche auch „Der Rabbi von Bacharach“). Aber es ist ihm gelungen, diese Geschichte zu lesen in der Hoffnung darauf, dass letzten Endes die Liebe siegt.


[1] (HSA Bd. 20, Brief Nr. 17)

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