Einer der bekanntesten Sätze des Apostels Paulus steht im Galaterbrief: Zur Freiheit hat uns Christus befreit. (Galater 5,1a) Freiheit gleich doppelt! Das scheint auf den ersten Blick wunderbar zu unserem neuzeitlichen Freiheitsethos zu passen: die moderne Aufklärung als „Ausgang des Menschen aus einer selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant). So verbinden wir Freiheit für gewöhnlich mit Autonomie, Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung. Unsere Freiheit hat nur eine Grenze: die Freiheit der anderen. Wenn es gut läuft… Wenn nicht, gibt es ein Hauen und Stechen. Auch das kennen wir „aufgeklärten“ modernen Menschen. Damit nicht das Recht des Stärkeren regiert, damit die Grenzen der persönlichen Freiheit respektiert werden, gibt es Gesetze. So mündet die große Verheißung absoluter Freiheit und Autonomie in eine neue Gesetzlichkeit. Und Rousseaus Diktum gilt noch heute: „Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten.“
Paulus spricht von einer anderen Freiheit: von der Freiheit, zu der Christus uns befreit hat, der die Liebe lebte. Die Liebe aber orientiert sich nicht an Gesetzen und kennt keine Grenzen. Das ganze Gesetz ist in dem einen Wort erfüllt: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“, schreibt Paulus (Galater 5,14). Die Freiheit der Liebe endet nicht an der Freiheit anderer, sie fängt in ihr erst an. Sie findet ihre Erfüllung in dem, was mir selbst, aber auch den anderen gut tut. Sie strebt nach Shalom, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, weil sie die einzelne Person nicht ohne Gemeinschaft, nicht ohne die Welt, in der wir leben, sehen kann.
Von dieser Freiheit spricht auch das aktuelle Bildungspapier, das die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland gerade beschlossen hat: „Sensibel für Vielfalt und offen für Gott. Bildung in evangelischer Freiheit“. Es formuliert zwei grundlegende Einsichten: Um die Freiheit, zu der uns Christus befreit hat, zu leben, brauchen wir Bildung; sie macht uns offen für Gott und seine Gaben, stärkt und orientiert unsere Persönlichkeit, lässt uns Bilder gelingenden Lebens malen, um im Geist der Liebe Jesu Christi in der Welt handeln zu können. Und: Was immer wir an Bildungsmöglichkeiten vorhalten, muss sich an den Menschen orientieren; sensibel für ihre Vielfalt, lebensbegleitend, flexibel und vernetzt; nicht unsere Angebotsstrukturen bestimmen die Perspektive, sondern die Fragen der Menschen.
Die Evangelische Kirche braucht Bildung, und ihre Bildung muss auf die Menschen antworten. Darum hat die Landessynode vier konkrete Projekte aufgelegt: Gefördert werden
- vielfaltsensible, barrierefreie Bildungsformate,
- vernetzte Bildungslandschaften,
- die Begleitung und Unterstützung von angehenden Religionslehrkräften,
- ein Podcast zur religiösen Bildung in Familien.
Ob die Projekte nachhaltige Wirkung entfalten, können wir heute noch nicht sagen. Aber sie stehen in jedem Fall für ein Bildungshandeln in evangelischer Freiheit, das den Menschen dient, die Gesellschaft bereichert und die Frage nach dem Ewigen offen hält, der diese Welt nicht verloren gibt. Ich behaupte: Die Freiheit, in der dieses Bildungshandeln geschieht, ist moderner denn je. Und notwendig sowieso. Die befreite Freiheit der Liebe – zu dieser Freiheit hat uns Christus befreit.
Seien Sie behütet!