Maurycy Gottlieb: Jesus predigt in Kafernaum

Dr Dietrich Knapp
Dr. Dietrich Knapp

Bilder, die Jesus von Nazareth zeigen, gibt es zuhauf. Unzählige Male ist er durch die Jahrhunderte von verschiedensten Künstler:innen dargestellt worden. Viele der Bilder sind überaus bekannt. Kürzlich bin ich auf ein Bild gestoßen, das ich bis dahin noch nicht kannte. Es hat den Titel „Jesus predigt in Kafernaum“. Jesus wird dort in einer Synagoge dargestellt. Männer und Frauen sitzen getrennt, die Männer unten, die Frauen oben. Vorn sind viele unterschiedliche Menschen zu sehen. Die Juden sind am Gebetsschal, an ihrer Kopfbedeckung und an ihren Bärten zu erkennen. Aber es ist auch ein Römer dabei, ohne Bart und mit Toga. Die meisten der Anwesenden scheinen nachdenklich zu sein. Einer vergräbt sein Gesicht in der Hand, einer anderer wendet sich mit gefalteten Händen an Jesus. Der Römer scheint nach seinem Gesichtsausdruck etwas skeptisch zu sein. Auch der Künstler hat sich selbst auf dem Bild verewigt: ein junger Mann mit nach rechts geneigtem Kopf. Die Frauen auf der Empore scheinen teils fasziniert zuzuhören, teils wenden sie sich einander zu. Manches ist dort nur angedeutet, da der Maler das Bild nicht ganz fertig gestellt hat.

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Auf der linken Seite des Bildes ist Jesus zu sehen. Er hat lange und dunkle Haare und einen Bart. Er ist dargestellt wie ein Prophet aus der Zeit des alten Israel. Durch den Gebetsschal ist er klar als Jude zu erkennen. Der Blick Jesu geht nicht zu denen, die sich in der Synagoge versammelt haben, sondern nach oben. Die Arme sind weit geöffnet und zum Gebet ebenfalls nach oben gerichtet. Auf diesem Bild ist Jesus konsequent und eindeutig als Jude dargestellt, der zu Juden und Jüdinnen (und einem Römer) in der Synagoge spricht und mit ihnen betet. Das hebt das Bild aus den unzähligen Darstellungen Jesu heraus. In gewisser Weise kommt es dem geschichtlichen Jesus damit sehr nah. Näher als viele andere Darstellungen, die die Kunstgeschichte hervorgebracht hat. Dem Künstler war es wichtig, Jesus erkennbar als Jude darzustellen.

Das Bild „Jesus predigt in Kafernaum“ stammt von dem Maler Maurycy Gottlieb (*1856 in Drohobytsch, + 1879 in Krakau). Er hat im 19. Jahrhundert versucht, eine Brücke zwischen Christentum und Judentum zu schlagen, was in dieser Zeit wirklich bemerkenswert war. Der Kunsthistoriker Markus Helmut Lenhart schreibt dazu: „Die Versöhnung zwischen Christen und Juden brachte er wiederholt zum Ausdruck und sein Interesse daran war zumindest in seinem engeren Umfeld eine offen bekannte Tatsache. Er erklärte ihre Versöhnung geradezu zu seiner Mission … So strebte er zur Umsetzung seiner Mission eines jüdisch-christlichen Brückenschlags die Schaffung einer jüdischen Historienmalerei an – jüdisch in ihrem Inhalt, optisch eine in der christlichen Umgebungsgesellschaft geschaffene Kunstgattung nutzend. Auf diesem Wege konnte er hoffen, beide Seiten zu erreichen“ (aus: Markus Helmut Lenhart: Jesus als Jude bei Maurycy Gottlieb und Marc Chagall, PaRDeS 21, S. 90-91 https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/deliver/index/docId/8581/file/pardes21+s.87-104.pdf)

Maurycy Gottlieb war seiner Zeit weit voraus. Der christlich-jüdische Dialog, den er in seiner Zeit mit Hilfe der Kunst voranbringen wollte, hat sich erst nach 1945 langsam entwickelt. Christen und Christinnen haben den Dialog mit Juden und Jüdinnen gesucht und überlegt, was Christentum und Judentum miteinander verbindet. Auf Seite der Kirchen hat man nach den jüdischen Wurzeln des Christentums gefragt. Die theologische Wissenschaft hat hier sogar noch längere Zeit benötigt. Jesus wirklich als Jude wahrzunehmen und ihn im Kontext des antiken Judentums zu verstehen, ihn zu verorten zwischen den unterschiedlichen jüdischen Richtungen des 1. Jahrhunderts, ist erst ein Resultat der neueren Jesusforschung am Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts („third quest“ for the historical Jesus). Es wäre angemessen gewesen, die Impulse des Malers Maurycy Gottlieb früher aufzunehmen. Aus meiner Sicht ist das Bild „Jesus in Kafernaum“ von Maurycy Gottlieb daher wirklich etwas ganz Besonderes.  

Weitere Informationen zu Maurycy Gottlieb und seinen Jesusdarstellungen sind in dem folgenden Aufsatz zu finden: Markus Helmut Lenhart:  Jesus als Jude bei Maurycy Gottlieb und Marc Chagall, PaRDeS 21, S. 87-104 (https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/deliver/index/docId/8581/file/pardes21+s.87-104.pdf)

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