Im Jahr 48 war Paulus beim Apostelkonzil in Jerusaelm – einem der folgenreichsten Ereignisse der frühchristlichen Geschichte – mit den führenden Judenchristen Petrus, Jakobus und Johannes zusammengekommen. Dort kam es zu einer wichtigen Vereinbarung: Wer Nichtjude war und Christ werden wollte, musste nicht erst Jude werden und daher nicht alle Gebote der Tora erfüllen. Gleichwohl sollte es für Judenchristen weiterhin möglich sein, nach allen Regeln der Tora zu leben. Es gab also fortan gewissermaßen zwei Typen des Christentums.
An das Apostelkonzil schloss sich, nach der nicht so bedeutenden ersten Missionsreise, die so genannte zweite Missionsreise oder –epoche an. Sie führte Paulus durch Kleinasien nach Europa; die wichtigsten Stationen waren Philippi, Thessalonich und besonders Korinth in Griechenland. An diesen Orten entstanden durch seine engagierte Arbeit erste christliche Gemeinden. Hier sind die Überlieferungen der Apostelgeschichte von Interesse, die an dieser Stelle im Großen und Ganzen zuverlässig sein werden (18, 1-4. 7-8. 11): „Danach verließ Paulus Athen und kam nach Korinth und fand einen Juden mit Namen Aquila, aus Pontus gebürtig; der war mit seiner Frau Priszilla kürzlich aus Italien gekommen, weil Kaiser Klaudius allen Juden geboten hatte, Rom zu verlassen. Zu denen ging Paulus. Und weil er das gleiche Handwerk hatte, blieb er bei ihnen und arbeitete mit ihnen; sie waren nämlich von Beruf Zeltmacher. Und er lehrte in der Synagoge an allen Sabbaten und überzeugte Juden und Griechen. … Und er machte sich auf von dort und kam in das Haus eines Mannes mit Namen Titius Justus, eines Gottesfürchtigen; dessen Haus war neben der Synagoge. Krispus aber, der Vorsteher der Synagoge, kam zum Glauben an den Herrn mit seinem ganzen Hause, und auch viele Korinther, die zuhörten, wurden gläubig und ließen sich taufen. … Er blieb aber dort ein Jahr und sechs Monate und lehrte unter ihnen das Wort Gottes.“
Paulus kehrte nach diesem langen Aufenthalt in Korinth ins Heilige Land zurück. Die dritte Missionsreise führte zunächst durch Galatien, dann nach Ephesus in Kleinasien, wo er sich zwei bis drei Jahre aufhielt. Zwischendurch musste er kurz nach Korinth reisen, weil in dieser Gemeinde Probleme aufgetreten waren. Aber auch in der Stadt Ephesus, in der ein berühmtes und weithin bekanntes Artemis- bzw. Dianaheiligtum stand, gab es Probleme. Die Arbeit des Paulus scheint nicht ohne Erfolg gewesen zu sein. Das führte dazu, dass die im Umfeld des Artemistempels ansässigen Andenkenhändler um ihr Geschäft fürchteten. Diese Szene ist auf überaus lebendige und humorvolle Weise in der Apostelgeschichte geschildert (19, 23-40). Es lohnt sich, sie einmal im Detail zu lesen:
„Es erhob sich aber um diese Zeit eine nicht geringe Unruhe über den neuen Weg. Denn einer mit Namen Demetrius, ein Goldschmied, machte silberne Tempel der Diana und verschaffte denen vom Handwerk nicht geringen Gewinn. Diese und die Zuarbeiter dieses Handwerks versammelte er und sprach: Liebe Männer, ihr wisst, dass wir großen Gewinn von diesem Gewerbe haben; und ihr seht und hört, dass nicht allein in Ephesus, sondern auch fast in der ganzen Provinz Asien dieser Paulus viel Volk abspenstig macht, überredet und spricht: Was mit Händen gemacht ist, das sind keine Götter. Aber es droht nicht nur unser Gewerbe in Verruf zu geraten, sondern auch der Tempel der großen Göttin Diana wird für nichts geachtet werden und zudem wird ihre göttliche Majestät untergehen, der doch die ganze Provinz Asien und der Weltkreis Verehrung erweist. Als sie das hörten, wurden sie von Zorn erfüllt und schrien: Groß ist die Diana der Epheser! Und die ganze Stadt wurde voll Getümmel; sie stürmten einmütig zum Theater und ergriffen Gajus und Aristarch aus Mazedonien, die Gefährten des Paulus. Als aber Paulus unter das Volk gehen wollte, ließen’s ihm die Jünger nicht zu. Auch einige der Oberen der Provinz Asien, die ihm freundlich gesinnt waren, sandten zu ihm und ermahnten ihn, sich nicht zum Theater zu begeben. Dort schrien die einen dies, die andern das, und die Versammlung war in Verwirrung, und die meisten wussten nicht, warum sie zusammengekommen waren. Einige aber aus der Menge unterrichteten den Alexander, den die Juden vorschickten. Alexander aber winkte mit der Hand und wollte sich vor dem Volk verantworten. Als sie aber innewurden, dass er ein Jude war, schrie alles wie aus einem Munde fast zwei Stunden lang: Groß ist die Diana der Epheser! Als aber der Kanzler das Volk beruhigt hatte, sprach er: Ihr Männer von Ephesus, wo ist ein Mensch, der nicht weiß, dass die Stadt Ephesus eine Hüterin der großen Diana ist und ihres Bildes, das vom Himmel gefallen ist? Weil das nun unwidersprechlich ist, sollt ihr euch ruhig verhalten und nichts Unbedachtes tun. Ihr habt diese Menschen hergeführt, die weder Tempelräuber noch Lästerer unserer Göttin sind. Haben aber Demetrius und die mit ihm vom Handwerk sind einen Anspruch an jemanden, so gibt es Gerichte und Statthalter; da lasst sie sich untereinander verklagen. Wollt ihr aber darüber hinaus noch etwas, so kann man es in einer ordentlichen Versammlung entscheiden. Denn wir stehen in Gefahr, wegen der heutigen Empörung verklagt zu werden, ohne dass ein Grund vorhanden ist, mit dem wir diesen Aufruhr entschuldigen könnten. Und als er dies gesagt hatte, ließ er die Versammlung gehen.“
Diese dritte Epoche führte Paulus schließlich über Korinth, wo er den Winter über blieb, über die mazedonischen Städte, Troas und Milet in Kleinasien erneut zurück ins Heilige Land, nach Jerusalem.
Dort wollte er die Kollekte, die er in den Weiten des Römischen Reiches gesammelt hatte, übergeben. In Jerusalem wurde er jedoch verhaftet. Der Grund dafür bestand wahrscheinlich darin, dass man ihm fälschlicherweise vorwarf, er habe einen Nichtjuden aus seiner Begleitung in den zentralen Bereich des Jerusalemer Tempels mitgenommen, was Nichtjuden bei Todesstrafe verboten war. In diesem Zusammenhang muss es zu einem Tumult gekommen sein, was dazu führte, dass die römische Wache eingriff und Paulus in Schutzhaft nahm. Aus dieser Schutzhaft wurde dann Untersuchungshaft. Über alles Weitere gibt es nur fragmentarische Angaben. Wahrscheinlich hat Paulus, nachdem er nach Rom überführt worden war, dort Anfang der sechziger Jahre das Martyrium erlitten.
Im 1. Clemensbrief, einer frühchristlichen Schrift, die gegen Ende des ersten Jahrhunderts verfasst worden ist, heißt es: „Wegen Eifersucht und Streit zeigte Paulus den Kampfpreis der Geduld; siebenmal in Ketten, vertrieben, gesteinigt, Herold im Osten wie im Westen, empfing er den echten Ruhm für seinen Glauben; er lehrte die ganze Welt Gerechtigkeit, kam bis an die Grenze des Westens und legte vor den Machthabern Zeugnis ab; so schied er aus der Welt und gelangte an den heiligen Ort, das größte Beispiel der Geduld.“ Die Bedeutung des Paulus ist kaum zu überschätzen. Seit seinem Tod haben sich durch die Jahrhunderte viele bedeutende Theologinnen und Theologen mit seinem Denken auseinandergesetzt. Martin Luther gehörte im 16. Jahrhundert, Karl Barth im 20. Jahrhundert dazu, um nur zwei Beispiele zu nennen. Das alles ist Grund genug, sich heute wieder mit diesem unbequemen Apostel und seinem pointierten Denken zu beschäftigen.