USA verstehen?

von Dr. Bruno Schmidt-Späing

Es ist schon viele Wochen her, dass ich meiner Cousine in Cleveland/Ohio geschrieben habe, ohne eine Antwort zu bekommen. Ich hatte sie gefragt, ob Trump wohl noch mal gewählt würde und erwähnte dabei auch, dass sich viele Deutsche mit ihm schwer täten. Sie hat eine große Familie und alle sind sie – wie viele Deutschamerikaner – Republikaner.
Keine Antwort. Ist das jetzt so eine Art Gesprächsabbruch? Kann man darüber nicht mehr reden,  weil sonst die Beziehung auf der Kippe steht? In den USA selbst ist das schon längst passiert. Familien, Freundschaften haben sich über die Wahlentscheidung entzweit und jeder flüchtet zu dem TV-Sender, der ihn in seiner Meinung bestärkt. Foren, in denen beide Lager sich begegnen, sind selten geworden.

Bevor man (zu lange) auf den anderen wartet – vielleicht muss man in sich selbst so ein Forum bilden, in dem sich die Argumente begegnen, also in dem auch die Gründe der anderen vorkommen, die sie für ihre Position verwenden. Nichts anderes meint ja das große Wort VERSTEHEN. Den anderen von seinen eigenen Voraussetzungen her wahrnehmen und dabei Dinge entdecken, die auch mir einleuchten.
Das passiert mir, wenn  ich die Bergleute und Stahlarbeiter höre, um die sich Hillary Clinton und Barack Obama nicht gekümmert haben und die sich Hilfe von Trump versprechen. Oder die Christen, die sich über die liberale Abtreibungspraxis erschrecken.

Alles das würde mich nicht dazu bringen, Trump zu wählen. Es gibt ja auch die Gegengründe, die uns aus unserer Berichterstattung nur allzu bekannt sind. Mein Verstehen ändert meine Gesprächshaltung, aber führt nicht unbedingt zu einer Billigung. Es bleiben Dissense, die man besser nicht diplomatisch umschifft.

Diese Dissense auszuhalten ist die Kunst der Toleranz, die ja im Wortsinn das Ertragen des schwer Erträglichen meint. Toleranz macht nur Sinn, wo ich etwas ablehne und ist alles andere als Gleichgültigkeit (wie sie oft verstanden wird). Vielleicht lässt sich mit Verstehen und Tolerieren am besten für seine Position kämpfen, in der Hoffnung, dass meine Gründe auch dem anderen einleuchten. Irgendwann.

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Nach der Wahl (ich schreibe noch vor der Entscheidung) werde ich meine Cousine anrufen. Vielleicht muss ich sie trösten, was mir leicht fiele, denn dann wäre es ja in meinem Sinn gelaufen. Vielleicht muss sie mich trösten, was sie als Siegerin dann auch keine Überwindung kostet.

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